Zwei Räder, sechs Kirchen

Wenn sich eine Kirchentür öffnet …

Wenn sich eine Kirchentür öffnet, so breitet sich unwillkürlich ein bestimmter Moment der Andacht aus. Während man in die großen Kathedralen oder die in Kunstführern beschriebenen Sakralbauten mit einer Erwartungshaltung eintritt, sich vielleicht auch unbewusst als Konsument inmitten von Touristenströmen fühlt, so verhält es sich bei den Dorfkirchen ganz anders. Insbesondere in der Uckermark scheinen die Feldsteinkirchen von außen häufig unscheinbar und auf den ersten Blick gleichförmig. Wer hier an einem Sonntagnachmittag hereinkommt, ohne zu ahnen, was ihn erwarten könnte, wird automatisch ergriffen von der Heiligkeit eines bis dahin unbekannten Raumes und seiner Gegenstände, die den Glauben einer Gemeinde seit Jahrhunderten artikulieren. Man mag sogar einen Moment zurückschrecken, wenn zu Bewusstsein kommt, dass man sich auf diese Weise in einem intimen Rahmen befindet.
Es war eine größere Gruppe, die sich am 10. Juli 2022 zusammengefunden hatte, um sich gemeinsam aufs Fahrrad zu schwingen. Unter dem Motto „2 Räder, 6 Kirchen“ galt es, eine Tour durch die Uckermark zu unternehmen und dabei die Türen von sechs Dorfkirchen zu öffnen, die auf dem Wege lagen. Startpunkt war der Bahnhof in Warnitz, und es ging von dort über Melzow, Polßen, Meichow, Blankenburg nach Seehausen. Gleich in der Dorfkirche von Warnitz wurde ein aktuelles Thema präsent, das die Gemeinden der Uckermark beschäftigt. Weil die Mittel zum Erhalt von Kirchen und Gemeindehäusern immer beschränkter werden, müssen praktikable Wege gefunden werden, trotz allgemeinen Rückgangs ein lebendiges Gemeindeleben aufrecht zu erhalten. In Warnitz wurde bereits in den 70er-Jahren ein Gemeinderaum im Altarbereich eingebaut und der Kirchsaal entsprechend verkürzt. Der Eindruck, dass hier ein notgedrungener Kompromiss vorherrschte, wurde durch eine Ausstellung zur regionalen DDR-Geschichte jener Jahre im Gemeinderaum noch verstärkt — eine künstlerische Zeichnung des leidenden Christus und das Porträtfoto von Willi Stoph so „Tür an Tür“, da trafen zwei Welten aufeinander. Automatisch entspann sich ein lebendiger Gesprächsauftakt, der um die Frage kreiste, was letztlich den geistlichen Kern einer Kirche bildet, und ob er durch ein Bauwerk oder die Menschen, die sich in ihm versammeln, zum Ausdruck gebracht wird.

Besucher in der Dorfkirche Melzow; Foto: Sven Ahlhelm


Der in jeder Beziehung so glücklich restaurierte Altar von Melzow, der idealtypisch für viele Renaissancealtäre der Uckermark steht, verfehlte seine Wirkung nicht – wir waren zwanzig Frauen und Männer, die sich automatisch verlangsamten Schrittes näherten. Es ist nicht leicht, die Worte zu finden, die sich zur Beschreibung dieser besonderen Atmosphäre eignen. Es ist wohl eine natürliche Form der Scheu, die sich einstellt, wenn man in eine lebendige Aura eintritt, die der Altar von Melzow in besonderer Weise ausstrahlt. „Gibt es zwei gleiche Farbtöne in rot, blau oder grün?“, lautete meine Frage und half, die Distanz aufzulösen und Details des reichen Bildprogramms und der ornamentalen Fülle sichtbar zu machen. Die Figur eines „schlafenden Mannes“, in der sich ein unbekannter Künstler vielleicht selbst repräsentiert, gab Anlass zu Spekulationen und zum Gespräch über die Frage, welche Träume und auch unbewusste Hoffnungen uns bewegen, wenn wir an den Übertritt in jene Sphäre denken, welche die Zone über dem oberen Gebälk symbolisiert.
In Polßen ist es ein barocker Kanzelaltar, der vom Chorraum her durch den gotischen Triumphbogen die ganze Kirche prägt. So wie wir über eine zeitgemäße, kaum hinterfragte Vereinbarung verfügen, wie sich „Gott und Welt“ wohl zueinander verhalten, so war es auch zu den früheren Zeiten – wenn auch in jeder Epoche ganz verschieden. Die Fahrt über so unterschiedliche Kirchen an diesem Sonntagnachmittag bot die Gelegenheit, ebenso unterschiedliche Glaubenskonzepte der wechselnden Jahrhunderte seit der Christianisierung der Region im Mittelalter wahrzunehmen und das eigene Welt- und Glaubensbild einmal ins Verhältnis zu setzen. Die aktualisierte Kreuzigungsszene von Rudolf Nehmer (1912-1983), die mit dem Renaissancealtar von Meichow scharf kontrastiert, und die auf Monumentalität setzende Imposanz des Altars von Blankenburg im Empirestil riefen kontroverse Diskussionen hervor, die durch den Melzow ähnelnden Altar von Seehausen glücklich wieder versöhnt werden konnten.
Sven Ahlhelm, der am Kloster Chorin für den Bereich „Spiritualität und Tourismus“ verantwortlich ist, ist für die Idee zu „Zwei Räder, Sechs Kirchen“ zu danken – und gemeinsam freuen wir uns, im Sommer 2023 wieder zu entsprechenden Touren einladen zu dürfen. Bitte informieren Sie sich über die Websites www.kirche-uckermark.de und www.kloster-chorin.org.

Holger Müller-Brandes

Vorheriger Beitrag
Neuendorf (BRB) hat seine Glocke wieder

Regionalbetreuer berichten Neuendorf ist ein idyllisches zur Stadt Brandenburg gehöriges Dorf. Die Neuendorfer Pfarre wird bereits 1286 erwähnt und war von alters her eine Filiale der Altstadtkirche St. Gotthardt. Die […]

weiterlesen
Nächster Beitrag
Die Dorfkirche Kaakstedt (Uckermark)

Ein Schatzkästchen aus Renaissance und Barock In seinen „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“ beklagte Theodor Fontane bereits, dass die protestantischen Kirchen vielerorts durch moderne Umbauten ihren historischen Reiz verlieren würden: […]

weiterlesen