Harzer Vorland 2022 – ein Reisebericht in drei Akten

Zweimal verschoben und dann ging’s endlich los …

Erster Akt: Voller Erwartung trafen wir uns am 17. Juni am Ostbahnhof zu unserer schon zweimal verschobenen Harzexkursion. Eine deutlich geschrumpfte Schar – 21 Personen einschließlich Reiseleitung und Busfahrer – machte sich auf den Weg. Unser erstes Ziel: Halberstadt. Dort wurden wir von der Kirchenführerin in der Liebfrauenkirche erwartet, die uns mit der Geschichte und den außergewöhnlichen Ausstattungsstücken bekannt machte. Höhepunkt des Rundgangs waren die romanischen Chorschranken. Nicht unerwähnt bleiben sollte die Barbarakapelle. Trotz großer Zerstörungen im zweiten Weltkrieg blieb hier die mittelalterliche Raumfassung erhalten. Musizierende Engel, Evangelisten und Kirchenväter zieren das Kreuzgratgewölbe. Durch eine geöffnete Tür konnten wir zwar noch einen Blick in die Taufkapelle werfen, sie wegen anstehender Instandsetzungsarbeiten am Fußboden jedoch nicht besichtigen. Mit Hinweis auf den sehr interessanten Kreuzgang der Liebfrauenkirche verabschiedete uns Frau Berger und wir machten uns auf den Weg, um diese Örtlichkeit zu erkunden. Uns empfing ein sehr romantischer Ort wie aus vergangenen Tagen mit üppiger Vegetation im Innenhof und einer Vielzahl von Spolien aus dem zerstörten Halberstadt an den Wänden.

Marienfigur aus dem Halberstädter Dom

Nach nur wenigen Schritten über den Domplatz erreichten wir das Restaurant Stephanus, konnten uns bei sehr delikaten Speisen stärken und Kraft für den Besuch des Halberstädter Domes St. Stephanus und St. Sixtus tanken. Unter der sachkundigen Führung von Herrn Kretschmar ging es zunächst in den Dom mit seinen reichen Kunstschätzen aus mehreren Jahrhunderten. Besonders beeindruckten uns das romanische Triumphkreuz aus dem ottonischen Vorgängerbau und eine Marienfigur im nördlichen Chorumgang. Sie gehörte vermutlich einmal zu einer größeren Figurengruppe, vielleicht einem Heiligen Grab. Nach einem wunderbaren Orgelspiel ging es dann durch den Kreuzgang zum Höhepunkt des heutigen Tages – dem Domschatz von Halberstadt. Seine weitgehende Erhaltung verdankt er wohl überwiegend der Einführung des evangelischen Bekenntnisses von 1591 und den komplizierten Besitzverhältnissen. Der Domschatz umfasst ca. 1.250 Einzelstücke, gezeigt werden rund 300 Kostbarkeiten aus mehreren Jahrhunderten. Es fällt sehr schwer, an dieser Stelle nicht auf einzelne Objekte eingehen zu können. Nachhaltigen Eindruck hinterließ der um 1160 entstandene Abraham-Engel-Teppich in seiner erhaltenen Farbigkeit. Nach Kaffee und Kuchen machten wir uns dann auf zu unserem Hotel in Wernigerode, wo wir den Abend in fröhlicher Runde ausklingen ließen.

Zweiter Akt: Am nächsten Tag erwartete uns wieder ein sehr anspruchsvolles Programm. Bei noch sehr angenehmen Außentemperaturen – dies sollte sich im Laufe des Tages jedoch drastisch ändern – ging es zunächst zum Kloster Ilsenburg. Detlef Selz, Vorsitzender des Fördervereis, machte uns mit den wichtigsten Fakten zur Geschichte des Klosters bekannt. Beim anschließenden Rundgang konnten wir u.a. das aufwendig restaurierte Refektorium sowie den Brüder- und den Kapitelsaal aus dem 12. Jahrhundert besichtigen. Im Gespräch wurde deutlich, wie schwierig es für einen kleinen Verein geworden ist, Fördermittel zu akquirieren und neue Projekte auf den Weg zu bringen. Um die gesamte Klosteranlage für die nächsten Generationen zu erhalten, bedarf es noch großer Anstrengungen und wir wünschen dem Verein viel Erfolg bei seiner Arbeit. Den Abschluss bildete die Besichtigung der romanischen Klosterkirche mit ihrer kostbaren barocken Innenausstattung, bestehend aus Hochaltar, Kanzel, Taufengel und einem beeindruckenden Epitaph. Noch ein kurzer Blick auf den Schlossflügel, der um 1862 durch den Architekten Carl Frühling im Auftrag von Graf Otto zu Stolberg-Wernigerode für dessen Onkel Graf Botho als Alterssitz errichtet wurde. Am Botho-Bau, dem Torhaus und dem nördlich gelegenen Marstall nahm Frühling die Romanik der alten Klausur wieder auf und verlieh dem Ensemble aus Schloss und Klostergebäuden damit einen ganz besonderen Charakter.

Weiter ging es schnellen Schrittes – wir hatten das Zeitfenster im Kloster Ilsenburg deutlich überschritten – zur Stadtkirche St. Marien. Dort wurden wir von Herrn Hildebrand erwartet, der uns nach einer herzlichen Begrüßung mit der Geschichte der Kirche vertraut machte. So erfuhren wir unter anderem, dass die Gründung der heutigen Pfarrkirche ins 12. Jahrhundert zurückgeht. Sie diente ursprünglich als Hospitalkirche der benachbarten Benediktinerabtei Ilsenburg. Ihr heutiges Erscheinungsbild geht weitestgehend auf die Umbauten des Architekten Carl Frühling am Ende des 19. Jahrhunderts zurück. Aus der alten Zeit haben sich ein kleines Bildfenster – Verkündigung an Maria von 1499 – und ein barocker Taufengel erhalten. Besonders beeindruckte das mittelalterliche Kruzifix über dem heutigen Altar. Ein schneller Blick auf den umgebenden Friedhof brachte eine kleine Überraschung. Hier befindet sich die Grabstelle der Familie Schott. Ursprünglich für den Vater errichtet, wurde hier auch die Urne seines Sohnes Walter Schott beigesetzt, einem bedeutenden Berliner Bildhauer, der u.a. das Denkmal des Markgrafen Albrechts des Bären in der ehemaligen Berliner Siegesallee schuf, und 1861 in Ilsenburg geboren wurde.

Nach kurzer Fahrt erreichten wir unseren nächsten Besichtigungspunkt: Kloster Drübeck. Zwischenzeitlich waren die Außentemperaturen deutlich angestiegen. Dessen ungeachtet wurden die Außenanlagen des Klosters besichtigt. Immer den Schatten suchend, ging es zunächst in den Garten der Äbtissin mit seinen über dreihundertjährigen Eiben und anschließend in die Gärten der Stiftsdamen. Eine Besonderheit hier: die Gebetshäuser. Die Klostergärten sind Bestandteil des Tourismusprojekts „Gartenträume – Historische Parks in Sachsen-Anhalt“ und wurden in Anlehnung an den Gartenplan von 1737 (J.A. Dieckmann) in den zurückliegenden Jahren rekonstruiert.
Der Hitze entfliehend ging es dann in die romanische Klosterkirche. Ihr besonderer Schatz ist ein spätgotisches Altarretabel mit der Darstellung der Marienkrönung, umgeben von Heiligenfiguren. Nach kurzer Verweildauer machten wir uns auf den Weg zur Klosterschänke, in deren Garten wir auf das Vortrefflichste beköstigt wurden und für den Nachmittag neue Kräfte schöpfen konnten.

Detail der Ausmalung des Tonnengewölbes der Theobaldikapelle

Den Abschluss des heutigen Tages bildete der Besuch der Theobaldikapelle in Wernigerode. Hier übernahm unser Mitglied Frau Dr. Lore Gewehr die Führung. Ein reichausgestatteter Kirchenraum mit Kunstwerken aus mehreren Jahrhunderten empfing uns. Zunächst zog uns der spätgotische Altar um 1410 in den Bann: in der Mitte die Muttergottes, umgeben von Szenen aus dem Leben Jesu; ebenso sehenswert die Kanzel und die Orgel. Eine Besonderheit in der Friedhofskapelle sind die zweigeschossigen Emporen mit der reichen Bemalung der Brüstungsfelder. Die einzelnen Bilder sind Epitaphien für die in der Kirche beziehungsweise auf dem umliegenden Friedhof bestatteten Wernigeröder Bürgern. Das Tonnengewölbe schmückt seit 1860 eine Engelschar mit Spruchbändern, auf denen das Te Deum laudamus (Dich, Gott loben wir) in Deutsch zu lesen ist. Zum Abschluss der Führung sangen wir dann auch folgerichtig gemeinsam das Kirchenlied „Großer Gott wir loben dich….“, aber nur 3 der insgesamt 11 Verse. Zurück im Hotel ließen wir den erlebnisreichen Tag bei angeregten Gesprächen ausklingen.
Dritter Akt: Die Zeit ist wie im Fluge vergangen, unser letzter Tag im Harz brach an. Zunächst ging es nach Osterwieck. Hier erwartete uns der gut gelaunte Stadtführer Gerd Schmuck, um uns „die Perle von Sachsen-Anhalt“, wie die Stadt oft genannt wird, näherzubringen. Beeindruckend die Fachwerkhäuser aus den Stilepochen Gotik, Renaissance und Barock. In den malerischen Straßenzügen fühlte man sich tatsächlich um Jahrhunderte zurückversetzt.
Nach dem fast zweistündigen Rundgang, gewürzt mit der einen oder anderen Anekdote aus der Stadtgeschichte, wurden wir dann in der St. Stephanikirche von Herrn Hoffmann in Empfang genommen. Die Kirche ist ein sehr beeindruckender Bau aus mehreren Jahrhunderten: Aus dem 12. Jahrhundert blieb die Doppelturmanlage erhalten, nach Beschädigungen durch ein Hochwasser im Jahre 1495 wurde zunächst der Chor im Stil der Spätgotik erneuert und letztendlich im 16. Jahrhundert das Kirchenschiff neu errichtet. Hauptstück der Ausstattung ist ein spätgotisches Retabel aus der Zeit um 1480. Im Mittelschrein die Marienkrönung, umrahmt von einem Wolkenkranz mit musizierenden Engeln. Aus dem Vorgängerbau wurde die bronzene Fünte (um 1300) übernommen. Die Kanzel kam 1570 in die Kirche, ihre Fassung stammt aus dem Jahre 1650. Das Chorgestühl entstand zeitgleich.
Nach der Mittagspause ging es zu unserem letzten Besichtigungsprogramm, der Wasserburg Zilly. Die Anlage blickt auf eine wechselvolle Geschichte zurück. Die erste Erwähnung der Burg stammt aus dem Jahr 1172, im 13. Jahrhundert wird die Anlage bedeutend erweitert und im 16. und 17. Jahrhundert werden weitere Aus- und Umbauten vorgenommen. Ab 1810 wird die Wasserburg zur preußischen Staatsdomäne und bis 1945 an landwirtschaftliche Betreiber verpachtet. Nach 1945 wird sie weiterhin zu wohnlichen und landwirtschaftlichen Zwecken genutzt, bis dann in den 60er Jahren die Wirtschaftsgebäude im Hofbereich großflächig abgerissen wurden. Seit der Wende kümmert sich ein rühriger Verein um die Erhaltung und Nutzung der Gebäude. Eine Ausstellung zu landwirtschaftlichen Geräten befindet sich im Aufbau und ist bereits jetzt sehenswert. Beim Rundgang durch die Burg treppauf und treppab erfuhren wir viel Wissenswertes. Leider hat die Wasserburg Zilly keine regulären Öffnungszeiten, Interessierte sollten sich zuvor telefonisch beim Verein anmelden. Zum Abschluss erwartete uns eine bemerkenswerte Kaffeetafel – reichgedeckt mit selbst gebackenem Kuchen von den Damen des Fördervereins.
Nach drei erlebnisreichen Tagen im Harzer Vorland kamen wir am frühen Abend wieder in Berlin an. Unser besonderer Dank gilt der unermüdlichen Reiseleiterin Sigrid Riesberg und dem Busfahrer Peter vom Reiseunternehmen Palm.


Text und Fotos: Klaus-Peter Heinecke

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