Eine „verrückte Kapelle“ in Brandenburg an der Havel

Die Jakobskapelle wurde als Teil des 1315 gegründeten Jakobsspitals südlich der Mauern der Brandenburger Neustadt an der Brücke über den Jakobsgraben errichtet. Als zur Stadt gehöriges Gebäude wurde die Kapelle bereits in Backsteinbauweise und in gotischem Stil errichtet, während zur gleichen Zeit in den Dörfern noch Feldsteinkirchen im romanischen Stil entstanden. Ende des 15. Jh. wurde ein Turm angefügt. Als die Kapelle 1892 der Verbreiterung der Jakobstraße und dem Neubau der Brücke im Wege stand, wurde sie in einer spektakulären Rettungsaktion als ganzes Bauwerk um elf Meter verschoben. Im Volksmund wird sie daher auch als verrückte Kapelle bezeichnet.
Bis 1997 gehörte die Kapelle der evangelischen Kirchengemeinde St. Katharinen. Da die Gemeinde das Baudenkmal weder zu nutzen noch zu erhalten in der Lage war, erwarb die Stiftung Wredowsche Zeichenschule das Gebäude, um es in das Nutzungskonzept ihrer unmittelbar benachbarten Schule einzubeziehen.

DIE JAKOBSKAPELLE in Brandenburg an der Havel Foto: Hans Tödtmann

Bei unserem Baustellenbesuch im August 2021 erläuterte Tobias Öchsle, Direktor der Kunstschule, die traditionsreiche Stiftung biete als eine Art Volkshochschule Jung und Alt eine qualifizierte Ausbildung in den bildenden und darstellenden Künsten an. Die Stiftung beabsichtige, das kleine Baudenkmal als Atelier und Ausstellungsraum aber auch für Konzerte und Lesungen zu nutzen.
Die Architektin Heidrun Fleege gab einen Überblick über die bisher erfolgten Arbeiten zur Sicherung, Instandsetzung und Restaurierung der Kapelle: In einem ersten Schritt wurden im Sommer 2004 der Dachstuhl, die Biberdeckung und das Ziegelmauerwerk denkmalgerecht saniert. Die der Witterung am meisten ausgesetzten Mauerwerkspartien wie die Spitze des Turmhelms mussten unter Verwendung erhaltenen Ziegelmaterials neu aufgebaut werden. Ein geborgenes, die Kreuzigungsgruppe darstellendes Terrakottarelief von 1480 wurde sorgfältig restauriert und wird demnächst in den Innenraum eingefügt werden. Am ursprünglichen Standort in der Fassade des Ostgiebels ist jetzt eine Kopie zu sehen.
In einem zweiten Schritt wurden gravierende Feuchtigkeitsschäden im Sockelmauerwerk beseitigt. Diese Schäden hatten ihre Ursache darin, dass die Südostecke der Kapelle seit deren Verschiebung in die Erdböschung der Brücke über den Jakobsgraben geraten war. 2016 konnte die Böschung durch eine Stützmauer ersetzt werden, so dass die Kapelle jetzt frei steht und das Sockelmauerwerk trocken ist.
Die Kapelle bietet im stützenfreien Inneren etwa 40 qm Nutzfläche. An die steile gotische Dachkonstruktion wurde nach Entfernung der ursprünglichen Holzbalkendecke in der Barockzeit eine hölzerne, geputzte Tonne angehängt, die den Innenraum überwölbt. Dadurch erhält der im Grunde kleine Raum eine gewisse Großzügigkeit.
Um den Innenraum aber für die Zwecke der Kunstschule wirklich nutzen zu können, bedarf es jetzt in einem dritten und letzten Schritt einer Verbesserung der natürlichen Belichtung sowie des Einbaus von Anlagen zur künstlichen Beleuchtung und Temperierung. Die bisher nur provisorisch hergerichteten Wand-, Decken- und Fußbodenflächen müssen gleichzeitig denkmalgerecht restauriert werden. Eine bauarchäologische Untersuchung identifizierte ehemalige Fensterschlitze, Wandnischen und Türöffnungen.

REPLIK DES TERRAKOTTARELIEFS der Kreuzigungsszene Foto: Hans Tödtmann


Die Restauratoren Jochen Hochsieder und Jutta Brumme erläuterten, dass diese bisher verborgenen Öffnungen in der Zeit des Barock vermauert wurden, um einen glatten, malerisch gestalteten Innenputz aufbringen zu können. Von dieser Wandmalerei konnten jedoch nur kaum erkennbare Rudimente freigelegt werden. In Abstimmung mit den Denkmalbehörden wurde daher der stark geschädigte Innenputz bis auf zwei kleine Referenzflächen entfernt. Zum Vorschein kam bei allen Wandflächen das mit kräftig roter (caput mortuum) Lasur überzogene mittelalterliche Ziegelmauerwerk, das jetzt zu dem konservierten hellen Putz der Gewölbetonne in einem eigentümlichen Kontrast steht.
Ein wenig über Kopfhöhe fällt ringsum an den Wänden eine Reihe von blaßrot gefärbten, tellergroßen Kreisflächen auf: Hier befanden sich in vorreformatorischer Zeit Weihekreuze. Neben der Eingangstür konnte die Nische mit dem Rest des Weihwasserbeckens freigelegt werden. In der östlichen Giebelwand wurden beidseitig des nicht mehr vorhandenen Altars die historischen Sakramentsnischen wieder geöffnet. Ebenfalls geöffnet wurden vier größere Nischen an den Längswänden, die vermutlich im Mittelalter gebrechlichen Kirchgängern eine bescheidene Sitzgelegenheit boten. Künftig werden hier wohl Kinder sitzen. Eine Rarität ist die Entdeckung und Wiederöffnung einer Lepraspalte in der westlichen Giebelwand. Solche einer Schießscharte ähnelnden Mauerwerksschlitze erlaubten infektionskranken Menschen außerhalb der Kapelle stehend an der Messe teilzunehmen und die heilige Kommunion zu empfangen.
Hinsichtlich der künftigen Nutzung wohl der größte Erfolg der aktuellen Arbeiten war aber die Wiederöffnung des in der Turmnische gelegenen, bisher vermauerten historischen Westportals. Es wird als Fenstertür ausgebildet werden und reichlich Tageslicht in das Innere der Kapelle bringen.

Hans Tödtmann

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