Was die „brennenden“ Vasen erzählen

Über Leben und Werk des bedeutenden Havelberger Bildhauers Heinrich Joachim Schultz

Zahlreiche Prignitzer Kirchen sind mit nicht unbedeutenden Kunstwerken der Barockzeit ausgestattet, die auch heute noch ganz selbstverständlich zu liturgischen Zwecken verwendet werden – insbesondere Altäre, Kanzeln und Taufengel. Über die konkrete Entstehungsgeschichte dieser Inventarstücke ist nur sehr wenig bekannt, wofür sich mehrere Ursachen benennen lassen. Zum einen handelt es sich in vielen Fällen sicherlich um Stiftungen der Patronatsfamilien, die ihrerseits mit den ausführenden Künstlern in Verbindung getreten sind. Durch den Verlust der meisten Gutsarchive vor und nach dem Zweiten Weltkrieg lassen sich diese einst zweifellos vorhandenen Kontakte nicht mehr nachweisen. Zum anderen war es im 18. Jahrhundert nicht üblich, Baumaßnahmen an den Kirchen so ausführlich zu dokumentieren, wie es heute unter denkmalpflegerischen Gesichtspunkten die Regel ist. Im günstigsten Fall existieren noch die Kirchenrechnungen jener Zeit, die wenigstens einige Informationen darüber enthalten, was in baulicher Hinsicht verändert worden ist und wer die ausführenden Handwerker waren. Unter diesen Voraussetzungen ist es nicht verwunderlich, dass selbst über künstlerisch herausragende Ausstattungsstücke wie Orgeln, Kanzelaltäre oder Grabdenkmäler oft nur noch wenige oder gar keine Nachrichten vorliegen.

Erst in jüngster Zeit ist es gelungen, durch eine gezielte Inventarisierung und durch stilkritische Vergleiche mit den wenigen signierten Werken eine Reihe von barocken Hinterlassenschaften in den Kirchen der Prignitz einem konkreten Künstler zuzuordnen. Gemeint ist damit der Bildhauer Heinrich Joachim Schultz in Havelberg. Ihm verdanken nicht wenige Orte ihre Altäre und Taufengel von beachtlicher Qualität.

Zu seiner Person ließen sich bisher wenigstens einige Daten ermitteln: Durch das Havelberger Bürgerbuch ist bekannt, dass er aus Dannenberg stammte und sich am 31. Dezember 1703 unter dem Namen Henning Joachim Schultze, Tischler und Bildhauer, in Havelberg niederließ.

Von seinem umfangreichen Schaffen in der Prignitz und im Ruppiner Land zeugen vor allem Kanzelaltäre (Burghagen , Garz, Giesensdorf, Groß Welle, Groß Woltersdorf, Kleinow, Manker, Plänitz, Schönhagen bei Gumtow, Schönhagen bei Pritzwalk, Zernitz), Altaraufsätze (Quitzöbel, Roddan, Stöffin), Kanzeln (Göricke, Holzhausen) und Taufengel (Garz, Holzhausen, Klein Lüben, Kleinow, Plänitz, Schönhagen bei Pritzwalk, Wutike, Zernitz).

Unbekannt war bisher sein Sterbedatum, doch ließ sich nun der Tag seiner Beerdigung aus dem Kirchenbuch der Havelberger Stadtkirche ermitteln, nämlich der 7. Januar 1740. Hierdurch ist gesichert, wann die Tradition der Bildhauerei in Havelberg endete, nämlich 1740. Heinrich Joachim Schultz war verheiratet und hatte zwei Söhne, die ebenfalls in seiner Werkstatt arbeiteten, aber nach seinem Tod als Tischler und nicht mehr als Bildhauer, da offenbar der Bedarf an bildkünstlerischen Werken in der Umgebung bereits umfassend gedeckt war.

Der Altaraufsatz der Dorfkirche Quitzöbel Foto: Horst Podiebrand

Interessant ist es für den heutigen Betrachter, die barocke Bildersprache zu entschlüsseln, was vermutlich nur Wenigen gelingt. Nehmen wir einmal den Altaraufsatz in der Kirche zu Quitzöbel, über dessen Entstehung keine schriftlichen Quellen mehr existieren. Er gehört aber, ebenso wie Altar und Taufengel in der benachbarten Kirche in Roddan, zu denjenigen Stücken, die aufgrund ähnlicher Merkmale der Werkstatt von Heinrich Joachim Schultz zugeschrieben werden können. Näher untersucht werden soll ein Element, das zur Bekrönung des Altaraufsatzes gehört, nämlich zwei links und rechts angeordnete Vasen, aus denen Flammen emporsteigen. Solche „brennenden Vasen“, finden sich auch an zahlreichen anderen Stellen wieder, so etwa auf dem Prospekt der 1738 errichteten Orgel in Rühstädt. Das erinnert sehr an das Pfingstwunder, wo es heißt: Und es erschienen ihnen zerteilte Zungen wie von Feuer. Wir könnten also sagen: Die Vasen, zerbrechliche Gefäße, sind wir Menschen, die Flammen aber sind das Zeichen des Heiligen Geistes.

Dr. Uwe Czubatynski

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