Auf den Spuren des Kirchenmalers Erich Kistenmacher

Eine Exkursion über die brandenburgische Grenze nach Mecklenburg-Vorpommern

Dorfkirche Polzow, Feldsteinsaal 16. Jh., Bemalung Decken und Ostwand um 1915 von Erich Kistenmacher

Auf den 30. März 2024 fiel der 150. Geburtstag des Angermündener Kirchenmalers Erich Kistenmacher (1874–1948). Hätte sich dort nur jemand an den Sohn der Stadt erinnert! Kistenmacher, der Kirchenliebhabern wegen seiner farbenfrohen Ausmalungen von Decken, Wänden, Emporen und Gestühlen in Dorfkirchen durchaus ein Begriff ist, erlebte seinen Ruhestand in großer Armut in Berlin. Dort hatte er noch vor dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges ein kleines Wohnatelier von 35 qm in der fünften Etage eines Hauses in der Ludwigkirchstraße (Wilmersdorf) angemietet, in das er nach der Militärzeit zurückgekehrt war und wo er bis zu seinem Tod im Jahr 1948 lebte. Noch 1938, also mit 65 Jahren hatte er handschriftlich in einem Formular erklärt: „bin als Künstler voll leistungsfähig und kann die Ursachen meiner schlechten wirtschaftlichen Lage nicht ergründen und angeben“. Zu der Zeit lagen die letzten größeren Aufträge gerade einmal zwei Jahre zurück. Familie Kistenmacher war in Angermünde ansässig gewesen, wo Willimar Otto Erich Kistenmacher als Sohn eines Schneidermeisters mit mehreren Schwestern und einem Bruder aufwuchs. Nach der Volksschulausbildung erlernte Erich Kistenmacher zunächst in einer dreijährigen Ausbildung das „Malerhandwerk“ in Angermünde, wie er in einem Lebenslauf formulierte. Danach ließ er sich bis 1893 an der Königlichen Kunstschule in der kaiserzeitlichen Metropole Berlin ausbilden. In Berlin absolvierte Erich, der sich dort eher „Otto“ nennen ließ, zusätzlich Abendklassen in der Unterrichtsanstalt des Kunstgewerbemuseums und ergänzte die Ausbildung durch Studien an der damaligen Kunstakademie (Abendaktzeichnen) sowie in den Studienateliers für Malerei und Plastik. Den beruflichen Einstieg wählte Kistenmacher in „größeren Berliner Malereigeschäften“ und ging später bei verschiedenen Professoren und Malern als Kirchenmaler in Stellung. Seit 1907 entwarf er eigenständig und selbstständig Ausgestaltungen für Kirchenräume. Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges traten vermehrt „Tafelmalereien in den Vordergrund“, wie er beschrieb. Zuweilen verdiente Kistenmacher sein Geld wie viele der Konkurrenten in Berlin mit Entwürfen für Plakate, Inserate oder „kunstgewerbliche Gegenstände“ als selbstständiger Zeichner. Nach Auszeichnungen und Wettbewerben gefragt, gab er in einem Formular der Reichskammer der bildenden Künste an, im Jahr 1926 den Entwurf einer „malerischen Ausschmückung“ für die Eingangshalle der St. Marienkirche in Frankfurt an der Oder beim Preußischen Minister für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung eingereicht zu haben. Und auch sonst, so Kistenmacher, seien Entwürfe „unter meinem Namen schätzungsweise 30-35 für Kirchenräume(,) bestimmte Gefallenenehrungen (…) von Tischlern, Holzbildhauern und Malern ausgeführt worden.“ Des Weiteren habe er eigenhändig seine „Ölgemälde, die (…) erwähnten Kirchenräume und auch einige Kriegerehrungen“ erstellt, darunter die in der Königin-Luise-Gedächtniskirche in Berlin-Schöneberg. Seit Längerem engagiert sich der Förderkreis Scheunenkirche Wilmersdorf e.V. (https://scheunenkirche.de) bei Angermünde für ein Wiederbeleben der Erinnerung an Erich Kistenmacher. Dessen Bauernmalerei schmückt die dortige Dorfkirche seit dem Jahr 1936 und kann jederzeit von Besuchern bestaunt werden. Dabei war Kistenmacher keineswegs auf florale Motive und Bibelsprüche festgelegt. In den ersten drei Dekaden des 20. Jahrhunderts arbeitete er sowohl figürlich Bibelszenen als auch Deckenornamentik in Form von Schablonenmalerei aus. Nicht alle seine Arbeiten sind so gut erhalten wie in Wilmersdorf. Einige Arbeiten sind weitgehend zerstört oder in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts übermalt worden. Dem brandenburgischen Landesdenkmalamt sind eine Reihe von Kistenmachers Werken seit Jahrzehnten bekannt. Wie Familie von Buch und der Förderverein durch Recherchen weiter erhellen konnten, hinterließ Kistenmacher tatsächlich ein offenbar breit gestreutes Werk in Dorfkirchen Brandenburgs, darunter in Schenkenhorst bei Stahnsdorf sowie in Herzberg, Schönberg und Strubensee in der Nähe von Lindow in der Mark. Weit im Westen Brandenburgs liegt zudem die von Kistenmacher gestaltete Dorfkirche in Dergenthin bei Perleberg. Geografisch vielleicht eine Ausnahme, aber als besonderes Highlight dokumentiert, ist hoch im Norden mit der St. Marienkirche in Bergen auf Rügen eine besonders eindrückliche Arbeit Kistenmachers erhalten. (https://scheunenkirche.de/erich-kistenmacher/)

Seit Beginn des Jahres 2024 verfolgte Familie von Buch die Idee einer kleinen Exkursion in das Gebiet unmittelbar nördlich von Brandenburg. Hierfür konnten sie Ulrike Bohl, Pastorin des Kirchsprengels Zerrenthin, gewinnen, wo sich weitere „Kistenmacherkirchen“ befinden sollen. So brach am 18. Juni eine kleine Runde Interessierter zum ersten Treffpunkt in Polzow ein, wo sie auf das freundlichste empfangen wurden. Das Gespräch mit der Pastorin und engagierten Gemeindemitgliedern über die Kirchenausmalungen Kistenmachers und die Geschichte der Dorfkirche wurde bei Kaffee und Kuchen vor dem Kirchgebäude im strahlenden Sonnenschein fortgesetzt. Gestärkt ging es von dort in das kleine Dorf Roggow, wo die Gemeinde derart geschrumpft war, dass schon lange kein Gottesdienst mehr stattfinden konnte. Der verwunschen liegende spätklassizistische Kirchenbau war derart von der Vegetation eingeschlossen, dass die Pastorin die Kirche extra hatte freischneiden lassen müssen. Auch der riesige Kirchenschlüssel vermochte zunächst nicht das alte Schloss zu öffnen. Als es dennoch gelang aufzusperren, bot sich ein besonderer Blick auf Rudimente von Gestaltungen biblischer Szenen mit dem Signum „EK“. Mitgebrachte historische Fotos deckten einen früheren, besseren Zustand der Dorfkirche auf, als auch die Wandbemalungen noch intakter waren.

Noch ungewöhnlicher offenbarte sich die dritte Dorfkirche der Exkursion, nämlich in Wetzenow. Diese wunderbar erhaltene Kirche, ebenfalls im 16. Jahrhundert entstanden, deren Sanierung durch eine Plakette der Deutschen Stiftung Denkmalschutz markiert ist, erfreut sich ungebrochener Beliebtheit der Gemeinde, insbesondere bei jungen Hochzeitspaaren. Kistenmachers Bemalungen der Decke mit neobarock anmutender Ornamentik und wiederum biblischen Szenen sollen im Jahr 1905 entstanden sein. Diese Ausmalung würde im Sinne seines Lebenslaufs ein Frühwerk als Kirchenmaler darstellen.

Für die Zukunft ist in der Scheunenkirche Wilmersdorf ein Symposium mit Fachvorträgen zur Biographie und den Werken Erich Kistenmachers geplant. Diese Veranstaltung wird einen anregenden Ausgangspunkt darauf bieten, mit welch‘ verschiedenen Perspektiven sich die Geschichte brandenburgischer Dorfkirchen aufschließen und entdecken lässt. Ein solcher Anlass ermöglicht nicht nur den aufregenden Vergleich der Dorfkirchen und ihrer Ortsgeschichten. Sie wird auch im Vergleich mit anderen Kirchenmalern dieser Epochen und ihrer Werke Diskussionen anregen, welche religions- und kulturgeschichtliche Bedeutung unseren Dorfkirchen weiterhin zukommen soll.

Sascha Topp

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