„Lichter im Dunkel“ von Max Krakauer

Buchvorstellung

An einem Sonntag, dem 6. Juni 1943, schleppen Karoline „Ines“ und Max Krakauer ihre Koffer bei sengender Hitze vom Bahnhof Casekow über die Felder nach dem pommerschen Gutsdorf Blumberg am Randowtal, heute im Nordosten des Landes Brandenburg gelegen. Das dortige Pfarrerehepaar Hedwig und Karl-Ernst Wendt hatte nach Stettin gemeldet, für zwei obdachlos gewordene Menschen in Not Unterkunft anbieten zu können. Doch als die Krakauers sich nicht etwa als ausgebombte Großstädter aus Berlin, sondern als ein jüdisches Leipziger Paar auf der Flucht unter dem falschen Namen „Ackermann“ zu erkennen geben, ist die Verblüffung groß. Sie dürfen dennoch bleiben. Zuvor war die einzige Tochter, Inge Krakauer, rechtzeitig nach England geflohen.

Pfarrer Karl-Ernst Wendt, Blumberg (Quelle: Archiv KG Blumberg Nr. 134)

Pfarrer Wendt glaubt daher fest daran, mit Hilfe der Kirche auch die Eltern noch ins Ausland bringen zu können, wofür er eigens nach Hamburg reist. Ines und Max Krakauer helfen derweil vor Ort in Pfarrhaus und Kirche so gut sie können, ohne Aufsehen zu erregen.

Einzig erhaltende Ansicht des um 1800 errichteten Pfarrhauses in Blumberg noch vor der Sanierung der Frontfassade (1956), Quelle: Archiv Pfarrbüro Blumberg, Ord. 110

Der in Blumberg ansässige Gutbesitzer und Kirchenpatron, zugleich wichtigster Arbeitgeber am Ort, ist über die „Ackermanns“ im Bilde. Die Nachfahren von der Osten erinnern, dass ihre Familie in die Netzwerke der Bekennenden Kirche eingebunden war, Krakauers sogar auf dem Gut empfangen wurden. Dabei soll in Blumberg ein überzeugter Ortsgruppenleiter der NSDAP sehr aktiv gewesen sein. Dennoch hält die Tarnung. Über vier Wochen lang können Ines und Max Krakauer bleiben. Sie waren zuvor schon in Berlin, Stettin und mehreren pommerschen Dörfern versteckt worden. Blumberg ist die 18. Station. Doch Wendt scheitert letztlich mit seinen Bemühungen. Ines und Max Krakauer können nicht mehr länger bleiben, da die allgemeine Arbeitspflicht eingeführt worden ist, wodurch Gäste auffallen. Nach letzten Wochen in Pommern fahren sie Ende Juli 1943 unter Todesangst mit ihren falschen Ackermann-Papieren von Stettin nach Berlin zurück.
Krakauers schlagen über Kontakte – auch der Bekennenden Kirche – nun eine Fluchtroute in den Südwesten des Deutschen Reiches (Stuttgart) ein. Dort ist eine württembergische „Pfarr-hauskette“ aktiv, die mehrere als jüdisch verfolgte Personen zirkulieren lässt und beschützt. Ines und Max Krakauer können oft nur kurz bleiben, bis sie weitervermittelt werden. Zuweilen müssen sie sich aufteilen. Ihre Odyssee führt über 47 württembergische Sta-tionen. Das Undenkbare, ja Wunder-same gelingt, beide überleben das Ende des Zweiten Weltkriegs und somit den Holocaust. Die amerikanischen Alli-ierten befragen ungläubig das Ehepaar – unvorstellbar für sie, in Deutschland jüdische Familien noch lebend vorzu-finden. Die Krakauers bleiben sogar fortan in Stuttgart wohnhaft.

Max Krakauer schildert zeitnah die Ereignisse unter Nennung aller Helfer:innen in einem Buch mit dem Titel „Lichter im Dunkel“ (1947). Mehrere Neuauflagen folgten, zuletzt 2012. Im selben Jahr erschien erstmals eine englische Übersetzung „Lights in Darkness.“
Über 640 Retter:innen aus Deutschland werden heute von der Gedenkstätte Yad Vashem (Jerusalem) in der Liste der „Gerechten unter den Völkern“ geführt. Allein sieben Personen aus dem Kreis der Pfarrersfamilien fanden Eingang in diese Liste der Geehrten aufgrund der Bezeugung der Krakauers. Nicht alle konnten aufgenommen werden, so auch die Wendts. Welche weiteren Pfarrhäuser und Dorfkirchen – wie die in Blumberg – mögen in Brandenburg Zuflucht und Schutz für Verfolgte geboten haben?

Max Krakauer, Lichter im Dunkel. Flucht und Rettung eines jüdischen Ehepaares im Dritten Reich, neu herausgegeben von Gerda Riehm und Jörg Thierfelder unter Mitarbeit von Susanne Fetzer. Mit einem Vorwort von Eberhard Röhm, Calver Verlag Stuttgart, 3. Auflage 2012
ISBN: 978-3-7668-4001-1 15,50 €

Dr. Sascha Topp, Kultur- und Geschichtsatelier Ukerlant

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