Zu viele Kirchengebäude?
Kirchen-Karussell in Prenzlau
Unter dem Motto „Nachbarn bei Nachbarn“ veranstaltet die Stiftung Zukunft Berlin, in Kooperation unter anderem mit dem Förderkreis Alte Kirchen, seit mehr als zehn Jahren regelmäßig Lesungen in brandenburgischen Kirchen. Schauspieler aus Berliner Theatern tragen Texte – hauptsächlich von Theodor Fontane, aber auch von Gottfried Benn, Günter de Bruyn und anderen Autoren – vor. Gäste kommen aus Berlin angereist und suchen das Gespräch mit den Akteuren aus Kirchengemeinden, Kommunen und Vereinen vor Ort.
Im September gab es eine Premiere: In Zusammenarbeit mit den renommierten „Brandenburgischen Sommerkonzerten“ wurden im uckermärkischen Prenzlau unter dem Titel „Kirchen-Karussell“ gleich drei historische Kirchengebäude besucht und mit Veranstaltungen den Gästen nahe gebracht.
In der St. Sabinenkirche, dem ältesten sakralen Bauwerk der Stadt, malerisch am Ufer des Unteruckersees gelegen, stellte Bernd Janowski vom Förderkreis Alte Kirchen die aktuelle kirchliche Situation in Prenzlau vor: Acht mittelalterliche Kirchengebäude zeugen von der einstigen Bedeutung der Stadt; dem gegenüber steht eine Kirchenmitgliedschaft von weniger als zehn Prozent der Bevölkerung. Die im zweiten Weltkrieg zerstörte St. Jacobikirche wurde aufwändig zu einem multifunktionalen Gemeindezentrum ausgebaut und bildet heute das Zentrum evangelisch-kirchlichen Lebens in Prenzlau. Die St. Marienkirche, ein absoluter Höhepunkt der norddeutschen Backsteingotik, erhielt erst kürzlich ihre im Zweiten Weltkrieg zerstörten Gewölbe wieder und wird an hohen kirchlichen Feiertagen sowie zu touristischen Zwecken genutzt. Alt St. Nikolai ist (glücklicherweise?) seit dem 18. Jahrhundert eine gesicherte Ruine. Die „neue“ Nikolaikirche, Gotteshaus des ehemaligen Dominikanerklosters, wurde als Bestandteil des Museums an die Kommune abgegeben. Für St. Sabinen und die Dreifaltigkeitskirche (ehemals Kirche des Franziskanerklosters) fehlen langfristige Nutzungskonzepte. Die Hospitalskapelle St. Georg beherbergt seit längerem ein Architekturbüro und in der anlässlich der Landesgartenschau 2013 wieder mit einem Dach versehenen Heiliggeistkapelle werden temporär Ausstellungen präsentiert.
Kantor im Ruhestand Jürgen Stier, der zugleich Vorsitzender eines Fördervereins für die St. Sabinenkirche ist, berichtete über die Bemühungen zur Erhaltung und angemessenen Nutzung des Gebäudes und erfreute die zahlreichen Zuhörer mit einem Vorspiel auf der schön klingenden zweimanualigen Alexander-Schuke-Orgel von 1955.
Die Dreifaltigkeitskirche, eine der ältesten Franziskanerkirchen nördlich der Alpen, deren Innenraum im 19. Jahrhundert umgestaltet wurde, diente seit der Mitte des 19. Jahrhunderts als Gotteshaus der französisch-reformierten Gemeinde, die inzwischen nicht mehr existiert. Nachdem zu Beginn der 90er Jahre Teile des Daches eingestürzt waren, erfolgte eine Sanierung, so dass heute keine gravierenden Bauschäden vorhanden sind. Verschiedene Ideen zu einer alternativen Nutzung zerschlugen sich im Laufe der Jahre, so dass die Kirche bis heute nicht genutzt wird. Im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Nachbarn bei Nachbarn“ las die Schriftstellering Julia Schoch hier aus ihrem Buch „Fontaneske“. In einem von Nina Lütjens (Stiftung Zukunft Berlin) moderierten Gespräch stellten Prenzlauer Jugendliche ihre Aktivitäten zur Belebung des kulturellen und sozialen Lebens vor, um jungen Menschen eine Perspektive in der Uckermark, speziell in Prenzlau, zu bieten. Von Seiten der für das Gotteshaus zuständigen Kirchengemeinde Potzlow-Lindenhagen wurde die Überlegung geäußert, den Jugendlichen für bestimmte Veranstaltungen die Dreifaltigkeitskirche zur Verfügung zu stellen, um sie im Stadtbild wieder sichtbarer zu machen. Konkrete Gespräche sollen folgen.
Den krönenden Abschluss des Kirchen-Karussells bot nach einer reichhaltigen Kaffeetafel ein wunderbares Konzert mit dem Max Brod Klaviertrio und Werken von Ludwig van Beethoven, Sergej Rachmaninoff und Antonin Dvořák.
Die Besucher sowohl aus Berlin als auch aus der Region erlebten einen ereignisreichen Tag. Neben dem Genuss der künstlerischen Vorträge nahmen sie auch das Bewusstsein für die Schwierigkeiten des Erhalts wertvoller kirchlicher Baudenkmale – nicht nur in der Uckermark – mit auf die Heimreise.
Text und Foto: Bernd Janowski