Buchbesprechung: Kirchturmdenken. Sakralbauten in ländlichen Räumen

Etwas mehr als 25.000 Dorfkirchen gibt es in Deutschland – davon 13.500 katholisch und 11.000 evangelisch. Experten sagen voraus, dass in den nächsten Jahren eine beträchtliche Anzahl dieser Gotteshäuser aufgegeben werden. Gründe dafür sind schrumpfende Mitgliedszahlen, der demographische Wandel insgesamt und / oder schlicht und einfach die finanzielle Überforderung der schrumpfenden Gemeinden. Dabei sind die Kirchengebäude gerade im ländlichen Raum nicht nur ortsbildprägende Denkmale, sondern auch oft die letzten verbliebenen öffentlichen Räume. Immer intensiver stellt sich die Frage nach der Zukunft der oft Jahrhunderte alten Sakralbauten. Gute Ideen für erweiterte Nutzungen sind gefragt. Der Schriftsteller Robert Musil brachte das Problem bereits vor einhundert Jahren auf den Punkt: „Auch Denkmäler sollten sich heute, wie wir es alle tun müssen, etwas mehr anstrengen! Ruhig am Wege stehen und sich Blicke schenken lassen, könnte jeder; wir dürfen heute von einem Monument mehr verlangen.“
Ausgehend von der Fragestellung „Was ist uns heilig?“ fanden in fünf Dorfkirchen in der Nähe des Ruppiner Sees öffentliche Gesprächsveranstaltungen über gesellschaftliche Fragen zu christlicher Kultur und nachhaltiger Lebensweise statt. In der Kirche von Groß Werzin (Prignitz) wurde eine Dauerausstellung zur Geschichte der christlichen Bestattungskultur in der Mark Brandenburg entwickelt, in deren Rahmen auch die Bau- und Ausstattungsgeschichte des kleinen Kirchleins aufbereitet und zugänglich gemacht und der heutige Umgang mit Tod, Sterben und Gedächtnis thematisch aufgegriffen wird. Der Förderkreis Alte Kirchen der Luckauer Niederlausitz organisierte für 28 Teilnehmer einen Kirchenführerkurs. Unter dem Motto „Kultur rund um den Kirchturm“ fanden in der Dorfkirche Wust (Stadt Brandenburg) 2021 zahlreiche Kulturveranstaltungen – Konzerte, Ausstellungen, Lesungen – statt.


Gemeinsam ist diesen Projekten, dass sie durch Mittel aus dem Soforthilfeprogramm „Kirchturmdenken“, das von der Bundesbauftragten für Kultur und Medien finanziert wird, eine Förderung erhielten. Projekte, die die kultur-, bau- und kunstgeschichtlichen Werte von Sakralbauten einer breiten Öffentlichkeit vermitteln, konnten einfach und relativ unkompliziert finanzielle Zuschüsse beantragen. Gefördert wurden insgesamt 78 Einzelprojekte, darunter immerhin 13 aus dem Land Brandenburg und/oder dem Gebiet der EKBO. Begleitet wurde das Programm durch thematische digitale Workshops.
Alle 78 geförderten Projekte werden in einer jetzt vorliegenden Publikation vorgestellt. Essays bieten eine diskursive Rahmung mit vielfältigen Perspektiven zwischen Kunstgeschichte und Bauforschung sowie den Diskursen um Kulturelle Bildung und Kulturelles Erbe sowie Digitalisierung und Teilhabe. Vorgestellt wird ein breites zivilgesellschaftliches Engagement, das in einer Zeit zunehmender Säkularisierung und demographischen Wandels auch dringend notwendig ist, um die reichhaltige sakrale Denkmallandschaft in den Regionen Deutschlands zu bewahren. Bemerkenswert sind die zahlreichen Kooperationen mit Vereinen, Kommunen, Kulturträgern, Schulen und Hochschulen. Die Publikation kann durchaus als Beitrag zu einer dringend notwendigen Debatte zur Zukunft der zahlreichen kirchlichen Baudenkmäler verstanden werden.

Barbara Welzel und Heide Barrenechea (Hg.): Kirchturmdenken. Sakralbauten in ländlichen Räumen: Ankerpunkte lokaler Entwicklung und Knotenpunkte überregionaler Vernetzung. wbv Media GmbH, Bielefeld 2022; ISBN 978-3-7639-7247-0; 248 Seiten; Euro 39,90

Bernd Janowski

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