Partner suchen für die Dorfkirchen

Eine Tagung in Prenzlau blickt in die Zukunft: Verkauf, Umnutzung oder Dornröschenschlaf?

Mit einer provokanten These kann man eine Tagung besonders lebhaft gestalten. So war vermutlich das Kalkül des Kirchlichen Bauamtes der EKBO, als man jüngst nach Prenzlau eingeladen hatte, um über das Thema „Dorfkirchen – geliebt, aber akut bedroht“ zu diskutieren. Um den nötigen diskursiven Schwung in der Dorfkirchen-Debatte zu erzeugen, engagierte man jedoch nicht etwa einen Kirchen-Kritiker, sondern einen Mann aus der kirchlichen Hierarchie, den Prenzlauer Superintendenten Reinhart Müller-Zetzsche. Und dieser scheute sich nicht, Klartext zu reden. „Der Reichtum an Steinen droht uns zu ersticken“, warnte er. „In der Uckermark und in großen Teilen Ostdeutschlands haben wir zu viele Kirchen.“ Der Superintendent schlug daher vor, im Extremfall Kirchen zu verkaufen oder sachfremde Nutzungen zu erlauben, falls andere, sanftere Lösungen nicht gelingen sollten. „Verkauf und völlig sachfremde Nutzung ist bei uns bisher ein kaum praktizierter Weg. Aber darin liegt eine große Chance, jedenfalls die Gebäudehülle und damit das Ortsbild zu erhalten. Darüber hinaus ist sogar die Chance gegeben, dass eine Kirchengemeinde bei Bedarf das Gebäude zurückkaufen könnte.“
Nach diesem, auch rhetorisch fulminantem Auftakt musste sich Frank Röger, der Leiter des Kirchlichen Bauamts, nicht mehr darum sorgen, dass es dieser Tagung an spannender Debatte fehlen würde. So rigoros wie Müller-Zetzsche argumentierten indes nur wenige. Es gab auch Aufrufe zur Gelassenheit mit den Gebäuden, es wurde davor gewarnt, in einer Art Torschlusspanik viele Dorfkirchen zu veräußern oder sie für andere, kirchenfremde Nutzungen forsch umzubauen. Doch insgesamt war bei der Tagung deutlich zu spüren, dass die Zeit drängt, dass der Handlungsdruck für die Gemeinden immer größer wird. „In zehn Jahren wird es vielleicht zu spät sein für Lösungen“, warnte Röger. Und auch Landesbischof Christian Stäblein räumte ein, dass die schrumpfende Kirche beim Unterhalt der Gebäude überfordert sei. „Eine Welt ohne Dorfkirchen ist zwar nicht vorstellbar, doch ohne Kooperation wird es in Zukunft nicht gehen.“
Die Zahlen sprechen eine bereits deutliche Sprache. In der Uckermark, so rechnete Superintendent Müller-Zetzsche vor, gebe es 130 Kirchen für die jetzt noch 12 000 evangelischen Kirchenmitglieder. Das heißt, ein Gebäude kommt auf 92 Gläubige. In anderen Kirchenkreisen sehe die Relation nicht viel besser aus. Diese Baulast könne man nicht auf Dauer tragen. Dass die Lage finanziell bedrohlich ist, wollte auf der Tagung niemand in Abrede stellen, auch wenn Manja Schüle, die brandenburgische Kulturministerin, in einer Videobotschaft staatliche Hilfe zusicherte. „ Wir lassen Sie nicht allein, die Kirche kann auf uns zählen“, sagte sie. Denn Dorfkirchen seien ein wertvoller Schatz, daher werde das Land zum Beispiel 2021 etwa fünf Millionen Euro im Denkmalfonds bereitstellen, hinzu kämen die Mittel aus dem Staatskirchenvertrag. Der Geschäftsführer des Förderkreises Alte Kirchen Bernd Janowski gab zu, dass auch ihn viele Entwicklungen nachdenklich stimmten. Er forderte aber, sich durch bloße Zahlen nicht in die Defensive treiben zu lassen: „Wenn die Apostel am See Genezareth mit einer Statistik in der Hand gestanden hätten, wären sie niemals losgelaufen.“
Wie dringlich das Thema geworden ist, das bewies auch der Andrang zur Tagung. Bei einer ähnlichen Veranstaltung vor vier Jahren in Berlin, die noch der damalige Leiter des Bauamtes, Matthias Hoffmann-Tauschwitz, organisiert hatte, kamen etwa 50 Teilnehmer. Dieses Mal wären gerne 130 Interessenten gekommen aus kirchlichen Organisationen, von Fördervereinen, Denkmalämtern und Architekturbüros, doch wegen der Corona-Beschränkungen wurden lediglich 80 Teilnehmer-Innen im Gemeindezentrum St. Jacobi in Prenzlau zugelassen.

Auch für die Dreifaltigkeitskirche in Prenzlau, die Kirche des ehemaligen Franziskanerklosters, wird eine Nutzungsidee gesucht. Foto: Bernd Janowski

Weil das Thema „Abriss“ auf der Tagung tabu und das Stichwort „Verkauf“ eher selten zu hören war, wurde viel über die Umnutzung von Dorfkirchen gesprochen. Denn ohne Nutzung keine Erhaltung, argumentierte Achim Krekeler von der Barndenburgischen Architektenkammer. Doch wie füllt man Gotteshäuser mit neuem Leben und wie viel säkulare Nutzung vertragen sakrale Räume? Es gibt dafür inzwischen eine Fülle von Beispielen, etwa Herbergskirchen für Wanderer, den Einbau von Dorfläden oder den Umbau zu Kino-Kirchen. Auffällig ist, dass das Spektrum der Umnutzung immer größer und damit zusehends säkularer wird, was offensichtlich mit der Schrumpfung und Alterung der Kirchengemeinden und ihrer Finanznot zu tun hat. Krekeler warnte jedoch davor, den Wechsel von der sakralen zur profanen Nutzung allzu leichtfertig vorzunehmen, auch architektonisch gesehen sei das ein schwieriger Umbau, der viel Fingerspitzengefühl erfordere. Eines ist indes absolut notwendig bei jeder Art von Umnutzung: Ohne Toilette und ohne Teeküche gehe es nicht, sagte Hanna Löhmannsröben, die mit ihrem Förderverein aus der alten Dorfkirche in Golm bei Potsdam ein Begegnungshaus gemacht hat.

Die Dorfkirche in Weselitz (Uckermark) wurde 2005 auf Initiative des Förderkreises Alte Kirchen notgesichert. Gottesdienste oder andere Veranstaltungen finden hier nicht statt. Foto: Bernd Janowski

Die Gegenposition zum schnellen Verkauf oder zur forschen Umnutzung formulierte besonders eindrucksvoll der Berliner Denkmalschützer Rainer Fisch, der indes seinen Vortrag ausdrücklich als Privatmeinung bezeichnete. Er argumentierte, dass auch das Kirchengebäude selbst von Gott predige, nicht allein der Pfarrer. Manchmal sei diese „Predigt“ sogar besser als das, was man heute von der Kanzel höre. Fisch formulierte daher zehn Gebote. Das erste Gebot lautet: Auf keinen Fall verkaufen, höchstens Erbpacht oder Vermietung. Bei der Umnutzung könne man kreativ, doch beim Umbau müsse man vorsichtig sein. Außerdem brauche nicht jede Idee eine bauliche Veränderung. Kirchengebäude hätten auch bei Atheisten ein gutes Image, so Fisch, und Dorfkirchen könnten nichts dafür, dass die Gläubigen wegblieben. Er bezweifelte auch, dass die Kirchen durch eine erweiterte Nutzung mehr Zulauf fänden; die Alten blieben weg und viele Neue kämen nicht, wenn das Gotteshaus umgewidmet werde.
Eine These war in Prenzlau oft zu hören: Wenn die Kirchen Partner brauchen für die Erhaltung der Dorfkirchen, wenn eine zusätzliche Nutzung des Gebäudes oder eine Umnutzung erforderlich wird, dann muss es mehr Kommunikation mit Kommunen und der Zivilgesellschaft geben, dann müsse die Kirche mehr zuhören und auf die Wünsche der Gesellschaft eingehen. „Die kirchliche Binnensicht aufgeben“, so formulierte es Hanna Löhmannsröben. Die Superintendentin Ute Mertens aus dem Kirchenkreis Elbe-Fläming warb für sogenannte Werkstatt-Gespräche. Dabei könne man mit vielen Interessenten kreative Ideen entwickeln, wie Dorfkirchen mit Leben gefüllt werden. Auch Bernd Janowski vom Förderkreis Alte Kirchen räumte ein, dass eine Kooperation mit Partnern notwendiger denn je sei, doch er warnte davor, einen unnötigen Nutzungsdruck zu erzeugen. „ Wir sollten mehr Gelassenheit bewahren bei ungenutzten Kirchen. Wenn das Dach dicht ist und regelmäßig gelüftet wird, dann kann man sie auch in eine Art Dornröschenschlaf versetzen.“

Konrad Mrusek

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