Abschied und Wiederkehr
Eine Spurensuche in Forst (Lausitz)
Abschied und Wiederkehr, Zerstörung und Neubeginn – dieses Thema war allgegenwärtig auf der Exkursion in die Niederlausitz, die viel zu bieten hat an alter und jüngster Geschichte. Es ging zu Kirchen in Forst und zum Schloss Pförten, heute Brody in Polen.
Die Forster Stadtkirche St. Nikolai war in anderthalb Jahrhunderten fünfmal abgebrannt, durch Blitzeinschlag beschädigt worden, hatte Plünderungen durch die Schweden erlitten, die aus den Orgelpfeifen Gewehrkugeln gossen. Erstaunlich schnell wurde sie immer wieder aufgebaut.
Zur Zeit des fünften Brandes (1748), der fast die gesamte Stadt vernichtete, hatte der sächsische Premierminister Heinrich Graf von Brühl die Herrschaft über Forst und Pförten. Er unterstützte großzügig den Wiederaufbau der Häuser und förderte den Umbau der einst gotischen Kirche in einen üppig ausgestatteten Barockbau. Nach seinem Tod 1763 fand er hier in einer Gruft seine letzte Ruhestätte.
Heute sieht man dem stattlichen Bau nicht an, dass er am Kriegsende 1945 noch einmal fast völlig zerstört worden war, und auch diesmal war er kein Jahrzehnt später wieder aufgebaut. Heute zieht der lichte Altarraum alle Blicke auf sich, den der Glaskünstler Helge Warme 2002/2003 gestaltete. Die Exkursionsteilnehmer nutzten seine Anwesenheit weidlich für Gespräche über sein eindrucksvolles Werk.
Drei farbige Altarfenster zeigen Tuchmotive und erinnern an die einst von Brühl forcierte Textilherstellung. Die Bauanleitung für die Altarrückwand entnahm der Künstler direkt der Bibel, nachzulesen bei 2. Mose 26, 31-33. Der hier beschriebene Vorhang an goldüberzogenen Säulen aus Akazienholz besteht bei Helge Warme aus 140 an der oberen Goldstange hängenden Glasquadraten, auf denen unter anderem auch die bei Mose erwähnten Cherubim zu entdecken sind. Den Vorhang zerteilt eine senkrechte schmale Wand mit Bezug auf das Zerreißen des Vorhangs im Jerusalemer Tempel bei Jesu Tod. Zusammen mit dem davor schwebenden goldenen Tuch bildet sie ein Kreuz. Unterschiedlich reflektierendes Licht verleiht dieser Altarwand ein einzigartiges Flair.
Brühl, der nach 1748 den Wiederaufbau von Stadt und Kirche gefördert hatte, stand zehn Jahre später vor den Ruinen des eigenen Anwesens in Pförten. Der preußische König Friedrich II. hatte das Rokoko-Schloss im Siebenjährigen Krieg niederbrennen lassen. Und als Ruine erlebten es die Exkursionsteilnehmer auch jetzt. Nach vorangegangenem Wiederaufbau und Restaurierungen war es infolge unsachgemäßer Nutzung durch sowjetisches Militär kurz nach Ende des Zweiten Weltkriegs erneut abgebrannt. Von dem guten Willen, es wieder herzurichten, zeugt immerhin das neugedeckte Dach. Den polnischen Eigentümern sind Mut und die nötigen Mittel für das Mammutwerk zu wünschen.
Wiederaufbau nach flächendeckenden Zerstörungen war 1945 in ganz Deutschland angesagt. Architekt Otto Bartning entwickelte in dieser Zeit ein Kirchenbauprogramm, das dank genormter Fertigbauteile und der Mitarbeit der Gemeinde einen schnellen und kostensparenden Neubau ermöglichte. Eine solche „Notkirche“ ist die Johann-Sebastian-Bach-Kirche in Forst, die allerdings wahrlich nicht wie ein Notbehelf aussieht. Der hohe Dachstuhl, das für die Bartning-Kirchen typische Fensterband im Obergaden und das an einen Schiffsbauch erinnernde Kirchenschiff beeindrucken in ihrer Schlichtheit. Und wenn am Bau einst die ganze Gemeinde beteiligt war, wovon die Gastgeber mit Stolz erzählten, so setzt sich das heute fort in der aufmerksamen und verantwortungsvollen Erhaltung des Hauses. Es geht schließlich um „ihre Kirche“.
Zerstörung ganz anderer Art drohte in den neunziger Jahren dem Dorf Horno – nicht durch Granaten, sondern durch Bagger. Der Ort sollte dem Braunkohlentagebau weichen. Die Einwohner wehrten sich verzweifelt und mit ihnen kämpfte unter anderen auch der damals noch junge Förderkreis Alte Kirchen. Sieger blieben die Bagger, aber der beharrliche Kampf war nicht umsonst. Für die Hornoer wurde 2002/2004 ein neues Dorf gebaut: 69 Privatanwesen, drei Mietshäuser, Gemeindezentrum mit Gaststätte, Feuerwehrhaus… Bei der Ortsplanung redeten die Einwohner mit, und so hat das neue Horno wie das alte Angerdorf auch wieder einen Dorfteich in der Ortsmitte und natürlich die Kirche. Die besteht nun nicht mehr aus Feldsteinen, entspricht aber in ihren Abmessungen dem alten Gotteshaus, das 2004 gesprengt worden ist. Was zu retten war, kam mit ins Neuland: die restaurierte Turmhaube, die Glocken, das Taufbecken, die Orgel, die Emporentafeln und selbst die Totenkronenkästen. Der barocke Kanzelaltars in der von Helge Warme gestalteten gläsernen Apsis wurde behutsam dem modernen Charakter der neuen Kirche angepasst. An das verschwundene Heimatdorf erinnert auch der Altartisch, dessen gläserner Kubus Erde aus Alt-Horno aufbewahrt.
Abschied und Wiederkehr waren auf dieser Exkursion stets gegenwärtig. Mögen die Teilnehmer neben den vielen Eindrücken auch dieses mitgenommen haben: Es gibt immer einen Neubeginn.
Eva Gonda