Lassen Sie uns versuchen, lebendige Steine zu sein

Aus der Predigt von Superintendent Reinhard Müller-Zetzsche am Tag des offenen Denkmals

Am diesjährigen Tag des offenen Denkmals veröffentlichte der Kirchenkreis Uckermark im Internet einen Online-Gottesdienst. Die Filmaufnahmen entstanden in mehreren Dorf- und Stadtkirchen der Region. Aus der Predigt von Superintendent Reinhard Müller-Zetzsche möchten wir hier einige Auszüge abdrucken.

Nicht alle sind so reich wie wir. Nicht jede Gegend in Deutschland hat so viele Kirchen wie die Uckermark. Prenzlau hat vor allem St. Marien, aber auch St. Sabinen, St. Jacobi, St. Nikolai, St. Maria Magdalena und diese hier: Dreifaltigkeit, die ehemalige Franziskanerklosterkirche. Und dabei sind die Heiliggeistkapelle und Alt Nikolai schon an die Stadt verkauft worden, St. Georgen ist ein Büro geworden und St. Johannes ist abgerissen…

Jedes Dorf hat eine Kirche, meist eine mittelalterliche Feldsteinkirche. Was für ein Reichtum! Viel Arbeit, viel Freude, viel Erbe. Besonders, als es in St. Marien mit dem Einbau der Gewölbe losging, haben mich Menschen darauf angesprochen, auf diesen Zwiespalt von Lust und Last an den alten Gebäuden. Lohnt es, so viel Steuergeld auszugeben für diese Gewölbe? Ist nicht die Kirche mit Dach als Ruine auch ein gutes Denkmal? …Und es lohnt nicht, sich einfach in die Arbeit zu stürzen und zu denken, der Wiederaufbau würde sich selbst erklären. Man muss sich diesem Zwiespalt stellen.

Was für ein Schmuckstück die Sternhagener Kirche doch ist! Der Altar hat über dem Baldachin einen Thron für Gott Vater und Sohn. Auf dieser Kanzel lässt es sich gut predigen. Eine Patronatsloge in wundervollen, bunten und doch dezenten Farben. Eine Augenweide. Die Kirche ist gut saniert. Vor knapp zwanzig Jahren haben wir den Dachstuhl repariert. Ein neues Dach, eine neue Verkleidung für den Turm, eine Turmbekrönung. Die Orgel ist restauriert nach dem Vorbild von Joachim Wagner. Meine Erinnerung an diese Kirche ist, wie ich mit unserem Kantor hier zur Gottesdienstvertretung war und außer uns waren vier auswärtige Gäste da – zum Glück. Denn aus Sternhagen war niemand gekommen. Ich habe nicht zu meckern mit den Menschen, die hier wohnen… es ist ein kleines Dorf. Aber ich habe mich zu fragen: Was machen wir, wenn wir Kirchen sanieren wie diese, bauen wir dann Kirche oder bauen wir nur Kirchen?

Orgel der Kirche von Sternhagen (Uckermark) Foto: B. Janowski

Der Glaube ist vielen Menschen fraglich geworden. Oder Sie haben noch nie gefragt, sind weder Glaubensfragen noch glaubenden Menschen begegnet.

Manchmal setze ich mich in eine Kirche ganz allein. Die Gedanken fließen. Zuerst sehe ich die Schönheit, vielleicht auch Risse oder bröckelnden Putz. Nach einer Weile wird es wie ein stilles Gebet. Ich erahne die Gedanken und Gebete und Gesänge, die einst in diese Mauern eingesickert sind. Die Stille einer alten Kirche ist kein Schweigen…Diese alten Steine raunen mir etwas zu. Sie erzählen vom Glauben und der Arbeit unserer Vorfahren. Aber um Gottes Stimme zu hören, brauche ich diese Steine nicht. Beten kann ich hier und überall. Und auch Gott braucht dieses Haus nicht. Wie betet schon Salomo: „Aber bist du nicht viel zu erhaben, um bei uns Menschen zu wohnen? Ist doch selbst der ganze weite Himmel zu klein für dich; wie viel mehr dann dieses Haus.“ Es geht darum, dass jemand sich hier zu Hause fühlt. Dann wird das Haus bleiben und nützlich sein und einen Sinn haben. Man kann eine Kirche aufgeben. Man kann eine Kirche in den einstweiligen Ruhestand versetzen. Aber man kann nicht den Glauben in den einstweiligen Ruhestand versetzen. Sie kennen alle das Zitat von Antoine de Saint Exuperý: „Wenn du ein Schiff bauen willst, dann trommle nicht Männer zusammen um Holz zu beschaffen, Aufgaben zu vergeben und Arbeit einzuteilen, sondern lehre sie Sehnsucht nach dem weiten, endlosen Meer.“ Darum können wir nicht nur Sanierungen planen. Stellen wir uns der mühsamen Aufgabe, den Glauben der nächsten Generation weiterzugeben. Denn jedes Mal muss das Feuer neu entfacht werden. Und es muss unterhalten werden. Es braucht am Anfang den Funken oder ein brennendes Holzscheit vom anderen Feuer. Aber dann muss es auch Nahrung erhalten: Brennstoff, der immer wieder gesucht und herbei geschafft werden muss… Natürlich kann man auch mit der Reparatur einer Kirche Kirchengemeinde wiederbeleben. Aber das gelingt nicht automatisch. Es geschieht nur dadurch, dass Menschen bei dem Wiederaufbau nicht nur das Gemäuer wiederentdeckt haben, sondern andern Menschen begegnet sind, die Glaubenshoffnung haben. Lassen Sie uns versuchen, lebendige Steine zu sein. Dann können wir vielleicht auch alte Kirchen wieder lebendig machen.  

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