Ein Bau der klassischen Moderne

Kirche von Kirchmöser West (BRB) wird umfassend saniert

Nach dem Ersten Weltkrieg übernahm die Deutsche Reichsbahn die ausgedehnten Baulichkeiten der demontierten Munitionsfabrik Kirchmöser als Ausbesserungswerk. Für die große Zahl der Bahnbeschäftigten wurden in den Jahren 1922-29 zwei gartenstadtähnliche Werkssiedlungen im Osten und Westen der Insel errichtet. Die Reichsbahn war verpflichtet, auch die erforderlichen Einrichtungen der sozialen Infrastruktur zu erstellen. So kam es, dass für die Siedlung Kirchmöser West nach den Plänen des Reichsbahn-Architekten Hugo Roettcher 1928/29 ein aus Kirche, Gemeindesaal und Küsterwohnung bestehendes Gemeindezentrum entstand.

Hugo Roettcher – Diener dreier Reiche - Ein deutscher Architekt.
Hugo Roettcher (1878 – 1942) wurde bekannt durch das im neobarocken Stil gehaltene Empfangsgebäude des Deutzer Bahnhofs (1914). Berliner kennen seinen 1927 entstandenen Wasserturm des ehemaligen Rangierbahnhofs Tempelhof, heute Teil des Naturparks Südgelände. Roettcher wirkte in der NS-Zeit neben dem Gewinner des Wettbewerbs für das Haus des Fremdenverkehrs (1936), Theodor Dierksmeier, der damals ebenfalls Mitarbeiter der Bauabteilung der Deutschen Reichsbahn war und noch im selben Jahr in die Bauabteilung des Reichsverkehrsministeriums wechselte, mit an dem Entwurf dieses Hauses am ’Runden Platz’, eines der wenigen Bauten der von Albert Speer für die Reichshauptstadt geplanten Nord-Süd-Achse, deren Realisierung bis zum Rohbau gelangte.

Die Westkirche in Kirchmöser ist stilistisch ein Entwurf der gemäßigten Moderne des beginnenden 20. Jahrhunderts, die sich an der Schlichtheit der in das Biedermeier übergehenden Klassik des frühen 19. Jahrhunderts orientierte. Der Umstand, dass die Kirchengemeinde das Grundstück erst 2003 von der Deutschen Bahn erwerben konnte, ist einerseits verantwortlich für den aktuellen Sanierungsstau. Andererseits blieb das Bauwerk auf diese Weise fast unverändert im Originalzustand erhalten.

Heidrun Fleege, in der Stadt Brandenburg ansässige Architektin, führt mich über die Baustelle und weist auf Besonderheiten sowohl der Architektur als auch der aktuellen Restaurierungsarbeiten hin: Die Fassaden sind in einem schlichten sandfarbenen Putz gehalten. Fünf hohe, in zurückhaltenden Farben verglaste Rechteckfenster belichten den Kirchenraum von der Nordseite. Ein kleines Rundfenster weist auf den Altarraum hin. Der Außenputz sandet stark und muss vollständig erneuert werden. Es ist ein besonderer senkrecht gescheibter Schlepp-Putz, den selbst die in der Baudenkmalpflege erfahrenen Putzer der Plauer Firma Glock & Co. wohl vor der Ausführung üben müssen.

Das steile Satteldach der Westkirche ist mit Biberschwanzziegeln gedeckt. Kleine, bereits fachgerecht reparierte Ochsenaugen-Gauben mit Halbrundfenstern gliedern die Dachflächen. Für die Neudeckung des Daches werden nicht weniger als 23.500 Biber benötigt. Die bauzeitlichen Dachziegel hatten einen braunen Scherben, der so heute nicht mehr hergestellt wird. Für die Rekonstruktion verwendet die Roßdorfer Dachdeckerfirma Bernd Heine daher braun engobierte Biber. Jeder Biber wird zur Sturmsicherung mit der Dachlatte verschraubt und durch Quer- und Längsschlag vermörtelt.

Dachdecker verlegen Biber Foto: Autor

Optisch besonders wichtige Partien des Kirchengebäudes, wie der Haupteingang im Westgiebel und die Bekrönung des Turmes folgen Mustern des Expressionismus. Heidrun Fleege ist entzückt über die schlüssige Gestaltung von Details, z.B. der trichterförmigen Regenwasserkessel an den Enden der Dachrinnen sowie der anschließenden Bögen der Regenfallrohre. Für die Dachklempnerarbeiten konnte die renommierte Potsdamer Firma Roland Schulze gewonnen werden. Es wird türkis vorpatiniertes Kupferblech verwendet.

Eine Entdeckung ist das große Rundfenster im Westgiebel über dem Haupteingang. Das Fenster wird auf der Innenseite von der Orgel verdeckt. Die Außenseite war bisher wie ein Blindfenster mit einer Blechscheibe abgedeckt, auf die eine Rosette aufgemalt ist. Nach der Einrüstung kam beim Abnehmen der Blechverkleidung eine echte farbige Bleiglasrosette zum Vorschein, die jetzt von der Berliner Glaswerkstatt Andreas Walter vom Gerüst aus restauriert werden wird.

Der schlanke Turm ragt als Gelenk zwischen Kirchenschiff und Gemeindesaal hoch auf. Die Schallluken der Glockenstube lassen den Glockenklang in die vier Himmelsrichtungen dringen. Asymmetrisch neben den Luken angeordnet ist jeweils ein Ziffernblatt der Turmuhr. Der Turm schließt mit einer zurückgesetzten Bekrönung, die mit türkis patiniertem Kupferblech bekleidet ist. Die Sanierung des Turmes wird als nächster Bauabschnitt folgen.

Im Inneren des Kirchenraumes fällt die einheitliche und gediegene Gestaltung der Kanzel, des Altartisches, der Decke des Altarraumes, der beiden Flügeltüren zum Gemeindesaal und der Empore in warmen Holztönen auf. Mit dem Altarraum ist ein kapellenartiger Nebenraum durch eine geschmiedete Gittertür verbunden, die abstrakte expressionistische Motive mit christlicher Symbolik kombiniert.

Als Blickfang hinter dem Altar in der Hauptachse des Kirchenschiffes befindet sich ein hohes Bleiglasfenster, das in kräftigen Farben und eindrücklicher, halbabstrakter Gestaltung den segnenden Christus zeigt. Es wurde von der Berliner Firma Puhl & Wagner hergestellt und ist im Original erhalten. Diese Firma ist hauptsächlich für ihre Glasmosaiken bekannt. In der Zeit der Weimarer Republik war jedoch der Glasmaler Gottfried Heinersdorff Mitinhaber. Er war Mitglied des Werkbundes. Er dachte seine Glasfenster in Licht und Farbe als integralen Bestandteil der Architektur.

Hans Tödtmann

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