Regionalbetreuer berichten: Glockenklang wie in Bayern

Die vielleicht älteste Glocke der Mark ist zurück

Der Glockenstuhl der Dorfkirche Pessin (Havelland) befindet sich unter dem 1488 erbauten Spitzdach des Westquerturms einer der ältesten Kirchen des Westhavellandes. Er ist gebaut für drei Glocken; tatsächlich jedoch war seit 1942 nur noch eine vorhanden. Damals wurden zwei Glocken „zu Kriegszwecken“ in einer feierlichen Zeremonie abgeholt und eingeschmolzen. Ein noch lebender Zeitzeuge hat dem Förderverein davon berichtet. Aber welche Glocke ist nun verblieben?

Im Thieme-Becker „Allgemeines Lexikon der bildenden Künstler von der Antike bis zur Gegenwart“ ist festgehalten, dass Jost Bodecker – ein Kunstschmied und Glockengießer aus Warburg – im Jahre 1599 eine um 1300 gegossene Glocke nach Pessin und eine weitere Retzow (Nachbarort von Pessin) lieferte. Die Pessiner Glocke wurde demzufolge als die größte Glocke der Mark mit einer umfangreichen Verzierung beschrieben. Die Pessiner Ortschronik enthält den Hinweis, dass zwei weitere Glocken im Jahre 1867 in Berlin vom Zehlendorfer Gießer Gustav Gollier gegossen wurde. Andreas Kitschke geht in seinem Buch „Die Kirchen des Havellandes“ (2011) davon aus, dass die kleinste Glocke mit einem Durchmesser von 70 cm noch vorhanden ist; tatsächlich hat sie einen Durchmesser von 96 cm. So gingen die Pessiner lange davon aus, dass eine „junge“ Glocke aus Berlin-Zehlendorf der Einschmelzung entgangen ist. Der mittlerweile angeforderte Glockengutachter stellte zweifelsfrei fest, dass man die mittelalterliche Bronzeglocke aus dem Jahr 1300 retten konnte. Nach einer ersten Reinigung vor Ort – später dann im Glockenschweißwerk – sind die herrlichen Verzierungen wieder gut erkennbar.

Die Idee des Fördervereins war, das Geläut mit den beiden fehlenden Glocken zu ergänzen. Als Erstes wurde die gesamte Holzkonstruktion durch einen Statiker überprüft und ein Zimmermann beseitigte die dabei entdeckten kleineren Mängel. Den uralten Verbindungen aus Eichenbalken, welche sich im Inneren des gemauerten Turms als selbsttragendes Fachwerk zusammenfügen, wurde dabei ein guter Zustand bescheinigt. Nun galt es, eine würdige musikalische Begleitung zu finden. Wir entdeckten im brandenburgischen Lauchhammer eine bereits gegossene Glocke, die aufgrund des Richttons in Verbindung mit der Hertz-Zahl klanglich mit der historischen Glocke harmonierte. Es war die vorletzte in Brandenburg gegossene Glocke; die traditionsreiche Kunstgießerei (gegr. 1875) stellte kurz darauf den Glockenguss ein. Die im Jahr 2016 von  Andreas York und Jürgen Genzel unter der Bezeichnung L18 gegossene Bronzeglocke hat einen Durchmesser von 80 cm, ein Gewicht von 220 kg ohne Klöppel und den Richtton Des. Die Inschrift lautet „Meine Zeit steht in deinen Händen“ (Psalm 31, Vers 16).

Vor ihrem gemeinsamen Erklingen wurde die historische Glocke restauriert. Sie war wie in den Nachkriegsjahren üblich, an einer Metallkonstruktion aufgehängt, dadurch ist der Klang erheblich eingeschränkt und Schäden sind oft vorprogrammiert. So war es nicht verwunderlich, dass sie an einer Stelle gerissen war und einer der Kronenbügel fehlte. Über den Jahreswechsel 2019/2020 musste sie zur Reparatur abgeholt werden. In dieser Zeit haben die Dorfbewohner den üblichen Stundenschlag vermisst, aber auch das Geläut zu Weihnachten und zu Silvester. Dafür klingt es jetzt „wie in Bayern“ sagte ein Dorfbewohner. Nach ihrer Reparatur im Schweißwerk Royal Eijsbouts in Assen (Niederlande) und einer feierlichen Wiederaufhängung klingt die restaurierte Glocke nun gemeinsam mit ihrer über 700 Jahre jüngeren Schwester über den Häusern am Rande des Naturparks Westhavelland. Und im Glockenstuhl ist derweil noch ein Platz reserviert – wir sind gespannt.

Andreas Flender

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