75 Jahre nach Kriegsende – Misstraut den Grünanlagen!

Auf dem Friedhof rund um die Kirche im uckermärkischen Dorf Sternhagen fallen zwei ungewöhnliche Grabdenkmale auf: Ein schlichtes Holzkreuz trägt lediglich die Aufschrift „Unbekannte Flamen April 1945“. Geschmückt ist das Kreuz mit einem Wappen, das den flämischen Löwen und ein bisher nicht zu identifizierendes Runenzeichen zeigt. Dasselbe Zeichen taucht auf einem Granitstein direkt neben der Kirche auf, dessen Inschrift schon deutlicher wird: „Dem Andenken der flämischen Toten und der deutschen Soldaten, gefallen 1945“. Was hat es mit diesen Geschichtszeugnissen auf sich?

Gedenkkreuz auf dem Friedhof in Sternhagen (Uckermark)

Tatsächlich handelt es sich bei den „unbekannten Flamen“ um Angehörige einer Freiwilligen Einheit der Waffen-SS, die in den letzten Kriegstagen hier ums Leben kamen. Bereits im Mai 1940, kurz nach dem Einmarsch deutscher Truppen in Belgien und Holland, nutzte der Reichsführer SS Heinrich Himmler die Konflikte zwischen Flamen und Wallonen, um erfolgreich freiwillige SS-Kämpfer zu werben. Die Einheiten waren im Juni 1941 unter dem neu geschaffenen Namen „Flämische Legion“ am Überfall auf die Sowjetunion beteiligt und kämpften an der Seite der deutschen Okkupanten bis 1944 an der Ostfront. Nach einer Umstrukturierung wurden die flämischen Truppen  als „SS-Freiwilligen-Grenadier-Division Langemarck“ für kurze Zeit in der Eifel eingesetzt und zu Beginn des Jahres 1945 nach Pommern verlegt.

Gedenkstein auf dem Friedhof Sternhagen (Uckermark)

Nach der Befreiung Belgiens durch alliierte Truppen flohen zahlreiche belgische Kollaborateure mit ihren Familien nach Deutschland. Mehrere hundert gerade 15 oder 16 Jahre junge Flamen wurden hastig einer Grundausbildung unterzogen und als „Jugendbataillon Flandern“ der Division Langemarck eingegliedert.  Gemeinsam sollten sie helfen, den Vormarsch der sowjetischen Truppen über die Oder und später in Richtung Berlin aufzuhalten.  Am 20. April fanden 260 junge Flamen nach der Überquerung der Oder durch die Rote Armee bei Mescherin den Tod. Die letzten Kämpfe des sinnlosen Himmelfahrtskommandos fanden am 26. und 27. April in und um Prenzlau statt. 75 Prozent der verblendeten flämischen Jugendlichen kamen ums Leben.

Gedenkstein in Mescherin (Uckermark); die Inschrift auf der Tafel lautet: In Gedenken der in der Schlacht um den Brückenkopf Mescherin vom 19. bis 25. April Gefallenen / 1.711 Soldaten der deutschen Wehrmacht / 812 Soldaten der Roten Armee / 260 Schülersoldaten aus Flandern.

Ähnliche Gedenksteine oder –kreuze wie in Sternhagen finden sich in Potzlow, Rosow, Tantow, Mescherin und auf dem Friedhof in Prenzlau. Mehr als 75 Jahre nach Kriegsende wäre es an der Zeit darüber nachzudenken, wie man durch erklärende Tafeln  den zufälligen Besuchern erklären kann, was es mit den „unbekannten Flamen“ für eine Bewandtnis hat. Ein Buch des bekannten Feuilletonisten Heinz Knobloch über Erinnerungskultur trägt den schönen Titel „Misstraut den Grünanlagen!“

Text und Fotos: Bernd Janowski

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