Wohnt Gott hier nicht mehr?

Auszüge aus dem FAK-Neujahrsvortrag über den Umgang mit Kirchengebäuden in Zeiten zunehmender Säkularisierung

Wie gestaltet sich die Zukunft unserer Kirchengebäude?  Das Problem sowohl der Institution Kirche als auch der Denkmalpflege heute besteht nicht mehr darin, dass uns in großem Umfange Kirchengebäude durch gravierende Bauschäden verlustig zu gehen drohen, sondern in der Frage: Wer wird diese Kirchen in zehn oder zwanzig Jahren noch besuchen? Bei einer Beratungsrunde im Konsistorium betonte Bischof Markus Dröge im Juni 2017: „Es geht nicht um das Ob, sondern um das Wie der Bewahrung der Kirchengebäude.“ Das nehmen wir dankbar zur Kenntnis. Dann sollte jedoch über das Wie auch regelmäßig nachgedacht und gesprochen werden. Leider habe ich den Eindruck, dass diese Frage zu selten aus kirchlicher Perspektive gestellt wird. Häufig sind es Denkmalpfleger, Kunsthistoriker oder Architekten, die sich dem Problem stellen und nach Lösungen suchen. Heute hat ein Landpfarrer oft fünfzehn Dörfer und mehr zu betreuen und in den allermeisten steht eine Kirche, die instandgesetzt oder zumindest baulich unterhalten werden muss. Laut einem Bericht des Baubeauftragten des Kirchenkreises Uckermark Jens Radtke werden von den 132 Kirchengebäuden des Kirchenkreises derzeit sechzehn gar nicht mehr genutzt oder nur noch zu Beerdigungen (Taufen oder kirchliche Trauungen finden wesentlich seltener statt) aufgeschlossen. Jens Radtke prophezeit, dass diese Zahl in absehbarer Zeit weiter stark zunehmen wird. Was geschieht langfristig mit Kirchengebäuden, die aus der kirchlichen Nutzung herausfallen? Wer hat dann die Deutungshoheit über das Gebäude und den Kirchenraum? Laut Kirchenbaugesetz der EKBO bleiben auch Kirchen, die nach menschlichem Ermessen derzeit keine Nutzungsperspektive haben, „Kirchen“ in ihrer äußeren Wahrnehmung. In der Regel bleiben diese Gebäude auch gewidmet. Und das ist gut und von Wichtigkeit, denn die Konstante der kirchlichen Widmung stellt eine wirkungsvolle Schutzfunktion dar. Bevor eine Kirche aufgegeben oder gar veräußert wird, sollte es von Seiten der Landeskirche, des Kirchenkreises und der Gemeinde ein geregeltes Verfahren geben. Noch besser natürlich wäre es natürlich, die Aufgabe von Kirchen ganz zu vermeiden und nach zukünftigen Nutzungsmöglichkeiten zu suchen. Das Ideal für ein Kirchengebäude ist selbstverständlich eine Nutzungskontinuität, das heißt eine fortdauernde Nutzung als Gottesdienst- und Sakralraum. Auch zusätzliche Nutzungserweiterungen kultureller und sozialer Art haben sich inzwischen so weit etabliert, dass es dazu keiner rechtfertigenden Erläuterungen mehr bedarf. Auf jeden Fall sollte vermieden werden, sich als Gemeinde einem Nutzungsdruck auszusetzen. Wenn im Jahr nur noch drei bis vier Gottesdienste stattfinden können und dazu ein, zwei Konzerte ausgerichtet werden, ist das ausreichend, um das Kirchengebäude zu pflegen und zu erhalten – das heute weit verbreitete Effizienzdenken ist hier völlig fehl am Platze. Es freut mich, dass es sich so ergeben hat, dass Dr. Clemens Bethge im Anschluss an meine Ausführungen die gerade eben neu erschienene Orientierungshilfe der EKBO „Kirchen – Häuser Gottes für die Menschen. Zur Nutzung und Nutzungserweiterung von Kirchengebäuden.“ vorstellen wird, die über diese Problematik Auskunft gibt. Was ist jedoch, wenn die von mir angesprochene Nutzungskontinuität unterbrochen oder sogar abgebrochen ist? Auch wenn ein Kirchengebäude nicht mehr gottesdienstlich genutzt ist, bleibt es – wie wir festgestellt haben – baukulturell, städtebaulich, aber auch identitätsstiftend unentbehrlich für das Gemeinwesen. Eine finanzielle Unterstützung von Seiten der Landeskirche für Sanierung, Wartung und Pflege der Kirchengebäude erfolgt nur dort, wo es kirchengemeindliches Leben gibt. Für ungenutzte Kirchen ist eine finanzielle Hilfe von dieser Seite derzeit nicht vorgesehen. Dort, wo Kirchengemeinden überhaupt nicht mehr in der Lage sind, eine Kirche zu nutzen und zu unterhalten, muss die Verantwortung auf andere übergehen.  Wer sind aber diese anderen? Ist hier vielleicht auch der Förderkreis Alte Kirchen in Zukunft stärker gefordert? Auf jeden Fall sind langfristige Konzepte nötig. In unserer Gesellschaft finden derzeit Transformationsprozesse statt, denen wir uns stellen müssen – ob wir es wollen oder nicht. Auch die Kirche muss offen sein für Veränderungen. Neue Formen der Partnerschaft und Zusammenarbeit sind nötig, um einem endgültigen Kulturbruch vorzubeugen.  Nicht zuletzt gewinnen die Kirchengemeinden durch die Öffnung ihrer Kirchen und durch die konstruktive Zusammenarbeit mit Fördervereinen, Kommunen, Kultureinrichtungen etc. wichtige Gesprächspartner, denen die schwierige Erhaltung der Gebäude ebenso am Herzen liegt wie ihnen selbst. Ein gutes Beispiel einer Öffnung ist die Dorfkirche in Rieben im Landkreis Potsdam-Mittelmark. Kirchengemeinde, Kommune und ein Verein mit dem schönen Namen „Treffpunkt Leben“ sind hier eine vertraglich fixierte Nutzungspartnerschaft eingegangen. Durch eine Glaswand, die sich öffnen lässt, wurde das Kirchenschiff geteilt. Im vorderen Teil feiert die Kirchengemeinde weiterhin ihre Gottesdienste. Der hintere Teil wird für kommunale Zwecke genutzt. Auf der Empore entstand ein Büro für den Ortsbürgermeister. In einem dezenten Anbau fanden Funktionsräume ihren Platz. Dieses Konzept ist aus denkmalpflegerischen Gründen sicher nicht für jede Dorfkirche praktikabel, sollte aber als anregendes Beispiel durchaus Beachtung finden. Auch möchte ich aus einem Zeitungsbericht über die Dorfkirche des kleinen Dörfchens Gollwitz bei Wusterwitz (ebenfalls Potsdam-Mittelmark) zitieren, das weniger als 100 Einwohner hat, die es jedoch in einer bewundernswerten Weise geschafft haben, ihre Kirche grundlegend zu sanieren und sie wieder mit Leben zu füllen. „Ein großes Ziel wird die Einrichtung des sogenannten Raums der Vielfalt sein. Er soll unter der Empore entstehen, sich bei Bedarf vom übrigen Kirchenraum abtrennen lassen und einen ganz breit gefächerten Nutzen bieten. Von einer Winterkirche über einen Versammlungsraum bis zur Trauerhalle für Begräbnisse sollen viele Zwecke erfüllt werden.“ Soweit nur einige Beispiele für erfolgreiche Kooperationen und Nutzungserweiterungen. Hier öffnet sich Kirche gegenüber der Vielfalt und der Realität des heutigen Lebens, geht Partnerschaften ein, ohne ihr Kirche-Sein aufzugeben. Wichtig ist es, dass die Kirche weiterhin und zukünftig noch intensiver mit einer gewissen Symbolkraft im Herzen der Gemeinschaft verbleibt. Diese Symbolkraft kann geistlich sein, kulturell oder auch sozial – am besten alles zusammen.

Bernd Janowski

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