Buchbesprechung: Über die Nutzungserweiterung von Dorfkirchen

Viel wird in der Gegenwart über die Aufgabe und Umnutzung von Kirchengebäuden gesprochen und geschrieben. Der Förderkreis Alte Kirchen versucht seit langem, dem die Idee einer „Nutzungserweiterung“ entgegen zu setzen. Das Kirchengebäude bleibt sichtbar Kirche, bleibt im Eigentum der jeweiligen Gemeinde und wird auch weiterhin – wenn vielleicht auch seltener – für Gottesdienste und kirchliche Kasualien genutzt. Zugleich finden – in der Regel in Partnerschaft mit Fördervereinen, Kommunen und/oder Kulturinstitutionen – weitere Veranstaltungen statt.

Auch über die Nutzungserweiterung von Kirchen gibt es inzwischen hinreichend Literatur, in der Regel beschäftigt diese sich jedoch mit spektakulären städtischen Projekten wie beispielsweise der Stadtpfarrkirche in Müncheberg. Speziell mit der Nutzungserweiterung von Dorfkirchen hat sich nun wohl erstmals umfassend die Tübinger Theologin Christine Siegl in ihrer soeben erschienenen Dissertation beschäftigt.

Als Ausgangspunkt ihrer Forschungsarbeit dienen ihr umfassende Recherchen und Interviews mit Akteuren von vier konkreten Fällen, die verschiedene Möglichkeiten einer erweiterten Kirchenraumnutzung repräsentieren. Drei der Beispiele sind in Brandenburg angesiedelt: In Nudow (Potsdam-Mittelmark) fanden hochrangige Ausstellungen mit Versteigerungen der gezeigten Werke statt, um Geld für die Instandsetzung einzuwerben; heute gibt es dort Konzerte und Lesungen (kulturelle Nutzungserweiterung). In Rieben (ebenfalls Potsdam-Mittelmark) teilen sich Kirchengemeinde und Kommune das durch eine gläserne Schiebetür räumlich getrennte Kirchenschiff (kommunale Nutzungserweiterung). In Kienitz (Märkisch Oderland) wird in der während der letzten Tage des Zweiten Weltkrieges zerstörten und zum Teil wieder aufgebauten Kirche ein Café am Oder-Radweg betrieben (touristische Nutzungserweiterung). Das vierte untersuchte Projekt liegt im baden-württembergischen Landkreis Rottweil. Die dortige Kirche dient als „Bibelerlebniswelt“ und steht für eine pädagogische Nutzungserweiterung.

Nun ist es fast vermessen, aus vier Beispielen belastbare und zu verallgemeinernde Schlussfolgerungen zu ziehen. Weitgehend gelingt das Christine Siegl jedoch recht gut. Sie stellt die Chancen derartiger Prozesse ebenso vor wie mögliche Konfliktpunkte. Genannt seien hier nur überzogene Ansprüche der Nutzer an die staatliche und kirchliche Denkmalpflege oder auf der anderen Seite mangelnde Flexibilität ebendieser Behörden. Auch gibt sie zu bedenken, dass derartige Projekte, die ja immer auf das Engagement einzelner Ehrenamtlicher angewiesen sind, in der Regel nur temporär funktionieren, also keine Dauerlösung darstellen. Das spricht aber überhaupt nicht gegen die jeweilige Form der erweiterten Nutzung. Erstens ist es durch das bürgerschaftliche Engagement in den meisten Fällen überhaupt erst einmal möglich, Geld für notwendige Sanierungsarbeiten aufzutreiben. Und zweitens wachsen das Interesse und die Akzeptanz des jeweiligen Kirchengebäudes gegenüber denjenigen Bewohnern, die nicht zur sogenannten Kerngemeinde gehören bzw. ganz kirchenfremd sind. Interessant ist der letzte Teil des Buches, in dem die erweiterten Nutzungen im Rahmen eines „kirchlichen Handelns in Gastfreundschaft“ betrachtet werden. Christine Siegl steht der Öffnung von Kirchen zu auch weltlichen Veranstaltungen sehr offen gegenüber und sieht sie als Teil diakonischen Handelns. „Mit der theologischen Leitkategorie der Gastfreiheit gelingt es, Nutzungserweiterungsprozesse nicht allein als Notbehelf im Umgang mit problematischem Gebäudebestand, sondern als besonders konnotiertes kirchliches Handeln zu verstehen.“ Insofern könnte ihre Untersuchung auch helfen, teilweise noch vorhandene Ängste der Amtskirche vor der Aufgabe einer längst überholten, um sich selbst kreisenden Binnenkirchlichkeit abzubauen. B.J.

Christine Siegl: Gast – Raum – Kirche. Nutzungserweiterung von Dorfkirchen als kirchliches Handeln. Kreuz Verlag, Freiburg im Breisgau 2019; ISBN 978-3-946905-66-0; 343 Seiten; 28, – Euro

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