Tod und Auferstehung
Wie die Schlosskirche Wolfshagen ins Museum kam
Torsten Foelsch ist Hotelier, Publizist und wissenschaftlicher Mitarbeiter des Stadt- und Regionalmuseums in Perleberg.
Die im Wesentlichen aus der Zeit um 1657 stammende, bereits 1572 neu fundierte Schlosskirche in Wolfshagen wurde 1982 nach jahrelangem Verfall und Vandalismus sang- und klanglos abgerissen. Sie erlebte schließlich 2000 bis 2002 ihre Wiederauferstehung wie Phönix aus der Asche. Wolfshagen war bis 1945 über 700 Jahre im Besitz der für die Prignitz so bedeutungsvollen Freiherrenfamilie der Gans Edlen Herren zu Putlitz. Letzter Besitzer und Patron der Kirche war Hans Albrecht Gans Edler Herr zu Putlitz (1882–1947), der im Herbst 1945 mit seiner Familie aus Wolfshagen ausgewiesen und enteignet wurde.
Über 40 seiner Vorfahren fanden bis 1900 in der 1621 erbauten Familiengruft in der alten Schlosskirche ihre letzte Ruhestätte.
Wenige Jahre vor dem Umbau des Wolfshäger Schlosses im Jahre 1570, beschlossen die Mitglieder beider Linien der Familie Gans zu Putlitz, Otto, Jasper, Georg, Achim, Kurt und Dietrich von der schwarzen und Georg und Balthasar von der roten Linie, dass vor dem Schloss in Wolfshagen eine neue Kirche erbaut werden solle. Bereits 1572 war der vermutlich in Fachwerk errichtete erste Kirchenbau fertiggestellt, wie die Datierung auf einigen erhaltenen Gestühlswangen nahelegt. Ein steinerner Anbau entstand an der Südseite 1621 und diente bis etwa 1900 als Familiengruft. Vermutlich nach dem 30jährigen Krieg (um 1657) wurde die alte Schlosskirche unter Erhaltung des südlichen Gruftanbaus stark erneuert, worauf die für diese Zeit typische Fachwerkkonstruktion insgesamt hindeutet. Im östlichen Giebel fanden zwei Bronzeglocken ihren Platz, eine ältere von 1484 aus einer anderen Kirche stammend und eine zweite von 1657, wohl im Zusammenhang mit der damals betriebenen umfassenden baulichen Erneuerung der Kirche von den Vettern Adam Georg (1590–1660) und Adam Leopold Gans zu Putlitz (1630–1657).

abgerissenen alten Schlosskirche


Der schlichte Fachwerksaalbau fiel schließlich 1982, obwohl er gemeinsam mit dem Schloss 1977 unter Denkmalschutz gestellt worden war, dem Abriss durch die Gemeindevertretung zum Opfer. Erhalten blieben jedoch ein Teil des wertvollen Inventars, so u.a. ein dem Andenken an Henning Gans († vor 1570) gewidmeter, 1575 wahrscheinlich von seinen Brüdern Jürgen (1532–1586) und Balthasar († 1586) gestifteter, silbervergoldeter Abendmahlskelch und ein Messingtaufbecken aus dem Jahre 1580, dem Andenken an Elisabeth von Wustrow, geb. Gans zu Putlitz († 1580) und ihren Eltern gestiftet. Daneben blieben ein Hostien-Teller von 1575 sowie vier große ovale hölzerne Gedächtnisschilde für Angehörige der Familie Gans aus dem 17. und 18. Jahrhundert nebst zugehörigen Zeremonialhelmen und -handschuhen erhalten. Diese wurden beim barocken Begräbniszeremoniell zusammen mit anderen Würdenzeichen dem Sarg vorangetragen und dann mit dem Wappen in der Kirche aufgehängt.
Die beiden Bronzeglocken aus dem östlichen Giebelfenster wurden geborgen. Auch die zwei vorreformatorischen Kruzifixe und die 1719 von Albrecht Gottlob zu Putlitz (1681–1719) und seiner dritten Frau, Sophie Charlotte Leopoldine, geb. von Schönaich (1699–1777), gestiftete Bibel sowie zwei schlichte Altarleuchter des 19. Jahrhunderts wurden ausgelagert oder zum Teil vor 1989 über die innerdeutsche Grenze zur Putlitz’schen Familie geschmuggelt. Vom Gestühl, das größtenteils aus der Erbauungszeit der ersten Kirche stammte, konnten 43 Bankwangen gerettet und auf der Pfarrscheune in Seddin eingelagert werden. Mit dem Abbruch der Kirche 1982 wurde in alter kommunistischer Bilderstürmerei-Tradition auch die Familiengruft mit 43 Bestattungen restlos entsorgt. Die wertvollen Metall-Sarkophage von Adam zu Putlitz, seiner Frau und weiteren Mitgliedern der Familie landeten seinerzeit in der „Sekundär-Rohstoff-Annahmestelle“ (SERO), die hölzernen Särge wurden im Park verbrannt, die 43 Leichname warf man in ein eilig auf dem Friedhof ausgehobenes Massengrab. Dies alles ohne jedwede Dokumentation in einer Nacht- und Nebelaktion, die kultur- und empathieloser kaum sein konnte.
Als ich 1998 gemeinsam mit Bernhard von Barsewisch ein Nutzungskonzept für ein einzurichtendes Schlossmuseum Wolfshagen erarbeitet habe, kam uns der Gedanke, im Schloss, das schrittweise restauriert werden sollte, die Kirche gänzlich neu erstehen zu lassen – statt die geretteten Inventarstücke aus der abgerissenen Schlosskirche lediglich auszustellen. So kam es, dass dann im Zuge der umfassenden Restaurierung und Umnutzung des Schlosses zu einem reinen Museum in den Jahren 2000 bis 2002 im Erdgeschoß des Westflügels zwei ehemalige Wohnräume zu einem großen Kirchenraum umgebaut wurden und mit den allermeisten erhaltenen Inventarstücken der abgerissenen Kirche ausgestattet werden konnten. Die erhaltenen Bankwangen wurden wieder zu einem traditionellen Kirchgestühl zusammengefügt und zwei der vier Wappenschilde fanden in der neuen Kirche Aufhängung. Von drei alten Figurengrabsteinen der Familie Gans aus den Jahren 1579, 1606 und 1607 wurden originalgetreue Kopien angefertigt und in Erinnerung an die alte Familiengruft in der neuen Kirche als Schauobjekte aufgestellt. Nach der Eröffnung des Schlossmuseums am 5. Mai 2002 wurde die neue Schlosskirche durch den damaligen Seddiner Pfarrer Christoph Brust mit einem Festgottesdienst geweiht und ihrer neuen Bestimmung als Ausstellungs- und Gottesdienstraum übergeben. Viele Gottesdienste und auch Taufen von Mitgliedern der Familie Gans zu Putlitz fanden seither in der neuen Schlosskirche statt.