Holzreliefs mit Seltenheitswert

Zwei Bildwerke am Melzower Altar (1610) in der Uckermark wurden nach biblischen Motiven geschnitzt

Predella des Altaraufsatzes von 1610 in der Dorfkirche Melzow

Rudolf Bönisch ist Diplom-Geologe. Er war Leiter und Initiator von zwei internationalen Orgelmusikfestivals. Seit nunmehr zehn Jahren beschäftigt er sich mit den sakralen Bildwerken in Kirchen Ost-, Mittel- und Norddeutschlands.

In der Uckermark gibt es 35 Altaraufsätze aus der Zeit zwischen 1591 und 1629. Ein großer Teil davon wurde in einer Prenzlauer Werkstatt geschaffen. Das ist nur durch eine Inschrift am ehemaligen Altaraufsatz in St. Marien Angermünde belegt. Weitere Werke können aber dieser Werkstatt durch Stilvergleiche relativ sicher zugeordnet werden. Die biblischen Bilder und Figuren an den zum Teil sehr aufwendig gestalteten Altären sind in der weit überwiegenden Zahl Holzschnitzereien.

Mit diesen Schnitzaltären und Kanzeln aus gleicher Zeit ist die Uckermark das Gebiet mit den meisten Kirchenkunstwerken aus der frühen Neuzeit im Land Brandenburg.

Neben dem generellen Aufbau der Altaraufsätze mit Reliefdarstellungen des letzten Abendmahles, der Kreuzigung, der Auferstehung und der Himmelfahrt Christi enthalten diese teilweise auch Skulpturen der Evangelisten, der Tugenden sowie der Apostel Petrus und Paulus und zeitgenössische Darstellungen der Abendmahlsausteilung und Segnung. Vereinzelt kommen Reliefszenen der Verkündigung, der Geburt Jesu, der Anbetung der Hirten, der Anbetung der Könige, der Taufe Christ, der Geißelung Christi, der Trinität, des Salvator Mundi und von musizierenden Engeln sowie die Skulpturen von Pelikan und Phönix vor. Reliefszenen zum Alten Testament sind an den Altaraufsätzen der Uckermark äußerst selten. In Schönfeld bei Brüssow existiert ein Relief mit Mose und den Gesetzestafeln. An der Predella des Altaraufsatzes in Melzow, wo sich auch die Inschrift „ER. Hermmanus Meinel“ – „Anno 1610. Ist disses Altar zu Gottes eren gemacht und alhie gesetzst worden. AM . PICTOR“ zur Entstehung findet, sind neben dem Relief des letzten Abendmahles zwei Darstellungen alttestamentlicher Geschichten angebracht. Diese Bildwerke zeigen einerseits die Opferung des Isaak und andererseits das Passamahl. Nachfolgend erfolgt eine nähere Vorstellung dieser seltenen Holzreliefs.

Nach den bisherigen Untersuchungen an den Schnitzaltären der Uckermark lässt sich klar feststellen, dass die daran befindlichen Bildwerke sämtlich nach druckgraphischen Vorlagen geschnitzt wurden. Für die Reliefs des letzten Abendmahles und der Kreuzigungsdarstellungen an den Altaraufsätzen der Uckermark wurde dieses vom Verfasser bereits ermittelt.

Wie überall bei den sakralen Reliefdarstellungen und Gemälden in den evangelischen Kirchen Mittel-, Ost- und Norddeutschlands, enthalten diese jedoch keinerlei Hinweise zum Inventor, Bildschneider, Kupferstecher oder Verleger. Um die in der Schnitzwerkstatt verwendeten Vorlagen aufzufinden, sind heute sehr umfangreiche Recherchen verschiedenster Art erforderlich. Praktisch heißt das, dass die Bildwerke themenorientiert mit der oft sehr großen Zahl von davon existierenden Druckgraphiken verglichen werden müssen. Die Druckgraphiken liegen aber in vielen öffentlichen und privaten Sammlungen Deutschlands und Europas und müssen dort aufwendig ermittelt werden. Das seit vielen Jahren in den Niederlanden in Bearbeitung befindliche vielbändige Erfassungswerk der Druckgraphik „The New Hollstein Dutch and Flemisch etching, engraving and woodcuts“, gliedert diese jedoch nicht thematisch, sondern nach Inventoren oder Kupferstechern. Insofern ist die Suche nach den Vorlagen sehr fahrt- und zeitaufwendig und bedarf eines sehr großen Erfahrungsschatzes bezüglich der internationalen Druckgraphik.

Für die Bildwerke am Melzower Altaraufsatz sind bereits graphische Vorlagen aufgefunden und im vorjährigen Heft der „Offenen Kirchen“ publiziert worden. Das betrifft die vier Evangelistenreliefs und die Kleinskulpturen der fünf Tugenden Temperantia, Prudentia, Fides, Spes und Justicia. Den geschnitzten Evangelisten Matthäus, Markus, Lukas und Johannes lagen die Kupferstiche von Philipp Galle nach Antonie van Blocklandt zugrunde, die um 1575 verlegt wurden. Die Tugenden wurden nach Kupferstichen von Antonius Eisenhoit gefertigt. Eisenhoit hat diese Illustrationen entworfen und gestochen.

Balthasar Caymox verlegte diese Stiche im Jahr 1591. Für das Relief des Abendmahles wurde der Kupferstich noch nicht aufgefunden. Jedoch fand dieses Motiv auch an den Altaraufsätzen in St. Marien Angermünde 1601 und in Ellingen Verwendung, was deutlich für die Nutzung einer graphischen Vorlage spricht. Genauso verhält es sich mit dem Relief der Auferstehung. Auch hier konnte der zugrunde liegende Kupferstich noch nicht gefunden werden. Allerdings ist das Holzrelief durch einen mit dem Rücken zum Betrachter gewandt liegenden Wachsoldaten mit Hut sehr typisch und ist so auch in Lützlow, Meichow, St. Nikolai Prenzlau, St. Sabinen Prenzlau und im mecklenburgischen Bristow geschnitzt worden. Dieser Fakt weist auf die Existenz einer druckgraphischen Vorlage hin. Anstelle des Kreuzigungsrelief befindet sich im Melzower Altaraufsatz eine etwa gleichalte Kanzel, die den Aufsatz nachträglich zum Kanzelaltar avanciert hat. Es ist jedoch anzunehmen, dass dieses Kreuzigungsrelief dem in der benachbarten Dorfkirche Stegelitz, der unweiten Kirche St. Marien Prenzlau und dem Altarbild in St. Sabinen Prenzlau, aber auch den Bildern in Menkin und Bristow, die sämtlich eindeutig zur Prenzlauer Werkstatt gerechnet werden, entspricht. Somit wäre ein Kupferstich von Philipp Galle, der das Geschehen auf Golgatha nach Johann Stradanus stach und den Stich 1574 auch verlegte, die Schnitzvorlage für Melzow.

Nach neusten Recherchen konnten nun auch die graphischen Vorlagen für die beiden Holzreliefs an der Predella, die sich rechts und links des Abendmahlbildes befinden, gefunden werden.

Es handelt sich dabei um Holzschnitte von Johann Teuffel, die erstmals 1572 in einer Bibel von Hans Krafft in Wittenberg erschienen sind. Diese Graphiken sind also nicht zu einem separaten Bilderalbum gebunden, sondern wurden zur Illustration der biblischen Geschichten der Luther-Bibel verwendet. Weitere Auflagen der Bibel erschienen 1584 und 1589. Diese mehrfachen Editionen ermöglichen nicht, festzustellen, welche Bibelausgabe in der Prenzlauer Schnitzwerkstatt vorlag und somit als direkte Vorlage für die Schnitzwerke in Melzow diente. Zu Johann Teuffel lässt sich nur wenig auffinden. Er soll zwischen 1558 und 1572 tätig gewesen sein, könnte aber auch noch 1584 gearbeitet haben, da in diesem Jahr in Leipzig die Bibel von Ambrosius Lobwasser mit Holzschnitten Teuffels herausgegeben wurde. Das auf etlichen seiner Graphiken verwendete in Kreuzform gezeichnete Monogramm IT soll mit hoher Sicherheit seinem Namen entsprechen. Der Buchdrucker Hans Krafft (auch Johann Krafft) wurde in Usingen geboren und starb 1578 in Wittenberg. Seit 1549 druckte er in Wittenberg 143 Buchtitel, darunter die Schriften von Philipp Melanchthon. 1572 gab er die als Prachtbibel zu bezeichnende Luther-Bibel mit einer großen Anzahl von Holzschnitten heraus. In der Württembergischen Landesbibliothek Stuttgart existiert eine handkolorierte Ausgabe dieser Bibel, aus der hier die beiden Holzschnitte abgebildet werden. Diese ist auf dem Titelblatt neben der Jahreszahl 1572 auch wohl noch von ihrem Wittenberger Besitzer mit „Anno 1575“ gezeichnet. Diese Holzschnitte zeigen uns, dass die beiden aus Eiche geschnitzten Reliefbilder am Altar in Melzow bauzeitlich sind und nicht, wie aufgrund der anderen Holzart (für die anderen Reliefs und Figuren nutzte man Linde) vermutet wurde, von einem Vorgängeraltar stammen.

Im Emporenbilderzyklus der Dorfkirche Berlin-Karow, der sich wohl ursprünglich in der Dorfkirche Buch befand, sind nach Ermittlung von Dr. Ulrich Schöntube aus Berlin (2008) mehrere der Leinwandgemälde nach Johann Teuffels Holzschnitten gemalt worden. Der dortige Bilderzyklus entstand 1617. Unter den Karower Gemälden befindet sich auch die Darstellung der Opferung des Isaak, die in Melzow als Holzrelief vorliegt. Auch für den Holzschnitt des Passahmahles gibt es eine Parallele zu Melzow. Im Emporenbilderzyklus in der 16 km süd-westlich von Kamenz gelegenen sächsischen Dorfkirche Großnaundorf, der in zwei Etagen Geschichten des Alten Testamentes denen des Neuen Testamentes gegenüberstellt, befindet sich das Gemälde des Passahmahles nach Johann Teuffel. Es ist dort überschrieben mit „Hier ist das Osterlamm und wird zerlegt“. Dort ist die Bildherkunft nach dem Holzschnitt Teuffels bisher genauso unbekannt wie in Melzow.

Für den Altaraufsatz in Melzow ist nach diesen Untersuchungen festzuhalten, dass alle für die Schnitzereien genutzten Graphiken 19 bis 38 Jahre vor der Entstehung des Retabels im Jahr 1610 verlegt wurden. Da die Vorlagen für die alttestamentlichen Bilder 1572, die Kreuzigung (heute nicht mehr vorhanden) 1574, die Evangelisten 1575, die Tugenden 1591 und das letzte Abendmahl vor 1601 (Nutzung des gleichen Kupferstiches in St. Marien Angermünde) verlegt wurden, dürften diese somit sicher mehrere Jahre vor der Altarentstehung in der Prenzlauer Schnitzwerkstatt vorhanden gewesen sein. Diese interessante Sachlage konnte damit erstmals für einen der bildreichen brandenburgischen Schnitzaltäre ermittelt werden. Die Kupferstichforschung hat damit einen bedeutenden Anteil an der Erforschung der Geschichte der sakralen Kunstwerke.

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