Kirchen im Lausitzer Kohlerevier
Tanja Trittel M.Sc. ist Projektleiterin des Erfassungsprojektes Lausitz im Brandenburgischen Landesamt für Denkmalpflege und Archäologisches Landesmuseum.
Ein Erfassungsprojekt des Brandenburgischen Landesamtes für Denkmalpflege und Archäologisches Landesmuseum
Das von der Bundesbeauftragten für Kultur und Medien (BKM) geförderte Erfassungsprojekt Lausitz ist von Juni 2021 bis Juni 2023 in der brandenburgischen Lausitz unterwegs und nimmt bauliche und technische Objekte sowie Geländestrukturen und Rekultivierungen mit Bezug zum Braunkohlenbergbau auf. In sieben Kategorien werden die Erfassungen eingeordnet. Kategorie Fünf umfasst die Sozialstrukturen, zu denen neben Werkssiedlungen, Friedhöfen, Denkmalen oder sozialen Einrichtungen auch sakral genutzte Bauwerke gehören. Die Kategorie der Sozialstrukturen bildet damit die größte der sieben Gruppen. Die ihr zugeordneten Gebäude werden nach den Strukturwandeln und Stilllegungen von Tagebauen, Brikettfabriken sowie Stätten für die Produktion anderer Gütern weiterhin genutzt.
Bis Januar 2023 wurden insgesamt 26 Kirchen mit Bergbaubezug erfasst. In den folgenden Monaten werden weitere erwartet, wobei die endgültige Anzahl sich nicht vorhersagen lässt.
Analysiert man die Gründe für die Aufnahme, fallen drei wesentliche Möglichkeiten auf. Die beiden letzten bedingen einander:
- Die Kirche steht im Zusammenhang mit einer Devastierung.
- Die Errichtung wurde von einem Grubenbesitzer oder einschlägigem Unternehmen initiiert bzw. unterstützt.
- Die Kirche wurde aufgrund des industriebedingten Bevölkerungswachstums errichtet oder erweitert.
STRUKTURWANDEL
In wenigen Jahren wird in der Lausitz das letzte Braunkohlerevier nach knapp 200 Jahre Bergbau- und Industriegeschichte geschlossen. Der Lausitz steht ein grundlegender Strukturwandel bevor, der viele Veränderungen der Kulturlandschaft zur Folge haben wird. Dazu werden auch die Umnutzungen kirchlicher Gebäude gehören. Infolgedessen führte das Brandenburgische Landesamt für Denkmalpflege ein Inventarisationsprojekt zur Erfassung der prägenden Zeugnisse der gesamten Region durch. Das Projekt ist ein BKM-Projekt (Bundesbeauftragte für Kultur und Medien). Die Förderung erfolgt vollständig aus Mitteln des Bundes.
Kirche und Devastierung
Die Sakralbauten, die im Zusammenhang mit einem Rückbau zugunsten eines Tagebaus stehen, erhielten, wie beispielsweise die evangelische Dorfkirche Sedlitz, Bauelemente und Teile der Inventarien von abgerissenen Kirchen. In diesem Fall ging es um das Gestühl, die Glocken und die Uhr der Kirche des ehemaligen Ortes Sorno. Von den devastierten Kirchen selbst wurden nur diejenige im neu errichteten Ort Horno bei Forst und die heutige Auferstehungskirche Spremberg in unserer Datenbank erfasst, da komplett verlorene Bauwerke nicht aufgenommen werden. Die erwähnte Auferstehungskirche in Spremberg stammt aus der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts und stand früher in der Ortschaft Pritzen. Nur ein Teil des Ortes wurde devastiert. Zu diesem Teil gehörte die Kirche, deren Bauelemente vollständig eingelagert, gesichert und zwischen 1990 und 1995 in Spremberg im Neubaugebiet Schomberg wiederaufgebaut wurden. Nach dem Beschluss, Pritzen zu verschonen, errichtete man am ehemaligen Standort der Kirche den hölzernen Glockenturm der Kirche zu Wolkenberg, die ebenfalls kurz vorher devastiert worden war.
Die Kirchenneubauten für die Ersatzsiedlungen Neu-Bückgen bei Großräschen und Neu-Kausche bei Drebkau entstanden in Folge der Devastierungen der jeweiligen Ortschaften. Die Kirche in Neu-Kausche wurde 1995/96 als quadratischer Massivbau errichtet. Die Kirche für die evangelische Gemeinde in Neu-Bückgen wurde bereits 1990 errichtet und 1992 gewidmet. Die Errichtung des Vorgängerbaus war 1909 von der Ilse-Bergbau AG initiiert worden, um den neu zugezogenen Bergleuten Raum für die Ausübung ihres Glaubens zu geben.
Unternehmensinitiierter Kirchenbau
Außerdem ist die Ilse-Bergbau AG, eines der großen Bergbauunternehmen der Lausitz, am Bau der Martin-Luther-Kirche in der Gartenstadt Marga 1913/14 und der katholischen St. Antonius-Kirche in Großräschen 1912/13 beteiligt gewesen. Auch die Niederlausitzer Kohlenwerk AG, ein weiteres großes Bergbauunternehmen, spendete Geld für den Bau dieser Kirche. Oft ließen die Bergbauunternehmen und Grubenbesitzer als soziales Engagement für ihre Beschäftigten sakrale Räume für katholische Gläubige errichten. War die Lausitz bis zum Zeitpunkt der florierenden Bergbauindustrie zumeist protestantisch oder wendisch geprägt, brachten die zugezogenen Bergleute aus Oberschlesien den katholischen Glauben mit und wollten diesen auch leben. Anfänglich fanden Messen und das Gemeindeleben in Wohnungen oder Gaststätten, wie der Gaststätte „Glück auf“ in Lauchhammer, statt. Dementsprechend lassen sich die Gründe 2 und 3 für die Aufnahme in das Erfassungsprojekt direkt miteinander verbinden.
Besonders hervorzuheben ist hier beispielsweise Wilhelm C. Wehrhahn. Er stammt aus einer erfolgreichen, katholischen Unternehmerfamilie aus dem Rheinland und betrieb einige Gruben und Brikettfabriken in der Lausitz. Für ihn war es somit auch ein persönliches Anliegen einen sakralen Raum für katholische Messen zu schaffen. 1908 war er an der Errichtung der Kirche St. Bonifatius und St. Elisabeth in Kirchhain, 1931 an der St. Barbara-Kirche in Hörlitz und 1935 an der Errichtung der St. Michaels-Kirche in Tröbitz beteiligt. In Hörlitz betrieb er zu dieser Zeit die Brikettfabrik Meurostolln und den gleichnamigen Tagebau samt Ziegelei in Tröbitz die Grube und Brikettfabrik Hansa.
Die schon genannten Niederlausitzer Kohlenwerke ließen ab 1912 für die Beschäftigten der Grube Victoria bei Schwarzheide eine Siedlung errichten. In diesem Zug entstanden Barackenbauten. Das kleinste dieser Gebäude wurde 1922 zu einer Kapelle umgebaut und 1924 gewidmet. Die eingeschossige, flache Saalkirche mit Holzdecke und Deckenmalerei in Schablonentechnik wurde 2012 privatisiert und wird seither auch für katholische Messen genutzt. In dieser „Victoria-Kapelle“ wird die Ökumene gelebt.
Drei katholische Kirchen sind noch zu erwähnen, die von Unternehmen unterstützt wurden: Zum einen die Pfarrkirche Heiligstes Herz Jesu in Klettwitz gegenüber der Siedlung Wilhelminensglück, die die Werkssiedlung zur gleichnamigen Grube darstellte. Die katholische Pfarrkirche St. Josef ließ der Direktor der Eintracht AG Oskar Frick nach den Entwürfen von Theodor Steudel im September 1905 weihen und bereits 1925 aufgrund wachsender Bevölkerungszahlen erweitern. Die Mitteldeutsche Stahlwerke AG und Braunkohlen- und Brikett-Industrie AG sind zusammen mit dem Ferrowerk Wacker AG und dem Lauchhammerwerk als Unterstützer der katholischen Christus-König-Kirche in Lauchhammer zu benennen. Diese ist vom Architekten Johannes Reuter anstelle des zu klein gewordenen Vorgängerbaus errichtet worden.
Bevölkerungswachstum
Johannes Reuter baute 1952 bis 1954 die katholische Heilig Kreuz Kirche in Schwarzheide, nachdem sich hier aufgrund der umliegenden Tagebaue und des Hydrierwerks viele katholische Familien niedergelassen hatten. Nur wenige Jahre später, zwischen 1957 und 1969, wurde die Kirche St. Elisabeth und Hl. Geist in Neupetershain vermutlich auch aufgrund des Stadtwachstums errichtet.
Dieser Kategorie der Baugründe von Kirchen mit Bergbaubezug sind außerdem die evangelische Kirche in Kostebrau (1907), die evangelische Heilandskirche in Hörlitz (1929), die katholische Kirche St. Michael in Schwarze Pumpe (1951), die evangelische Christuskirche in Schwarzheide (1951 bis 1953), die evangelische Kirche in Schipkau (1953) und die katholische Kirche in Freienhufen (1959) zuzuordnen. Die evangelische Kirche in Klettwitz dagegen, die bereits im 15. Jahrhundert errichtet und seitdem mehrfach erweitert worden war, ist der einzige Sakralbau, der ausschließlich aufgrund des Zuzugs der Arbeiter und Arbeiterinnen sowie Beschäftigen mit ihren Familien um 1907 vergrößert wurde.
Jeder der genannten und vielleicht auch noch nicht erfassten Sakralbauten erzählt seine eigene Geschichte und stellt eine Besonderheit in seiner Gestaltung dar. Bedauerlicherweise ist es dem Erfassungsteam aus zeitlichen Gründen nicht möglich, jedes dieser Gebäude in seiner Ganzheit zu erforschen, so dass die bisherigen Recherchen nur das Fundament für weitere Nachforschungen darstellen können. Eines haben diese Kirchen gemeinsam, den Bezug zum Braunkohlebergbau in der Lausitz, sei es durch Rückbau zu Gunsten eines Tagebaus, die Errichtung durch ein Bergbauunternehmen, oder der wahrscheinlich wichtigste Grund, nämlich die Gemeinschaft der Gläubigen, die ihren christlichen Glauben ausüben wollte.