Eine außergewöhnliche Sammlung

Torsten Foelsch ist selbständiger Hotelier, Publizist und wissenschaftlicher Mitarbeiter des Stadt- und Regionalmuseums in Perleberg.

Sakrale Kunstwerke im Perleberger Stadt – und Regionalmuseum

Blick in die „Klimakammer“ des Stadt- und Regionalmuseums mit den sakralen Schätzen

Vermutlich einmalig, in jedem Falle aber außergewöhnlich in der Mark Brandenburg ist die umfangreiche Sammlung sakraler Kunstwerke des Stadt- und Regionalmuseums Perleberg, die seit 2013 in einem eigens dafür geschaffenen klimatisierten Raum zu bestaunen ist. Auch wenn man bei einer Reise zu den Prignitzer Dorfkirchen möglicherweise nicht jede Kirche geöffnet vorfindet, so kann man sich im liebevoll gestalteten Stadt- und Regionalmuseum Perleberg qualitätvolle kirchliche Kunst aus verschiedenen Dorfkirchen ansehen. Die zufälligen Zeitläufe brachten es mit sich, dass schon früh sehr schöne wertvolle sakrale Kunstwerke und Baudetails in die Sammlung des 1905 gegründeten Perleberger Stadt- und Regionalmuseums wanderten. Waren es in den ersten Jahren zunächst Wetterfahnen oder Spruchbretter aus um- oder neugebauten Kirchen (Postlin und Glövzin), so fanden recht bald auch in den 1920er und 1930er Jahren und nach dem Zweiten Weltkrieg sakrale Kunstwerke, liturgische Gegenstände und Holzbildhauerarbeiten Eingang in die Sammlungen des Perleberger Museums. Die drei ehrenamtlichen Museumspfleger dieser Zeit, der Begründer des Museums Wilhelm Ratig, Fritz Martins und Ferdinand Meyer, waren aktiv bestrebt, innerhalb des Museums einen Kirchenkunst-Raum zu gestalten. Dieser Raum wurde 1931 eröffnet. Dafür erbaten sie entsprechende Gegenstände aus den Kirchgemeinden der Umgebung. Vor allem vorreformatorische Ausstattungsstücke fristeten seit dem 16. Jahrhundert ein vielfach trauriges Dasein auf staubigen Kirchendachböden oder in alten Abstellkammern und sahen ihrem Verfall entgegen. 1909 heißt es da z. B. zur Kirche Kreuzburg summarisch in den Kunstdenkmälern der Westprignitz: „Monstranz mit Architektur aus Messing, unvollständig. Auf dem Kirchboden eine Figurengruppe von Holz: St. Anna mit Maria und Jesus auf dem Schoß, unvollständig und verdorben.“

So gelang es den Akteuren, binnen weniger Jahre eine interessante Sammlung kirchlicher Kunst für das Museum aus einzelnen Kirchengemeinden als Leihgabe oder Zustiftung zu beschaffen. Die in Perleberg heute versammelten unterschiedlichen Kunstwerke zeigen einen repräsentativen Querschnitt von der spätgotischen Schnitzkunst bis hin zu den gängigen barocken Ausstattungen des 18. Jahrhunderts in unseren Prignitzer Dorfkirchen und verkörpern in ihrer „spirituellen Intensität und expressiven Virtuosität“ den jeweiligen lokalen Anspruch der gemeindlichen Kirchenausstattung. Die hier vereinten Schreine, Heiligenfiguren und Christusdarstellungen sind aus Eichen- oder Lindenholz gefertigt und meist mit goldenen und farbigen Fassungen versehen.

Die Gründe für die Aufnahme dieser Ausstattungsgegenstände waren ganz unterschiedlicher Natur. Oft gaben die Kirchengemeinden die alten Inventarstücke ab, weil sie vor Ort keine Verwendung mehr dafür hatten. So sind heute in der 2013 eingerichteten Klimakammer, in der die empfindlichen Kunstwerke in einer gelungenen Inszenierung bei gleichbleibender Temperatur und Luftfeuchtigkeit ausgestellt werden, Kirchenkunstwerke aus Bälow, Burghagen, Bresch, Garlin, Hülsebeck, Klein Lüben, Kreuzburg, Perleberg, Rohlsdorf und Sargleben vereint.

Bemerkenswert ist eine Statue des Apostels Jakobus, hergestellt am Anfang des 16. Jahrhunderts, die …

… 1939 aus dem Nachlass des Perleberger Fotografen Max Zeisig angekauft worden war. Die Statue stammt vermutlich aus der Kirche in Sargleben. Eine besonders interessante Bischofsfigur ist 1955 in das Museum gelangt. Sie gehörte zu dem gotischen Schnitzaltar der St. Jakobi-Kirche in Perleberg, der vor dem Kirchenumbau 1850 an die Kirche in Wustrau verkauft wurde. Ein außergewöhnliches Möbelstück stellt der vom Ende des 15. Jahrhunderts stammende Sakristei-Schrank aus der Kirche in Kreuzburg dar. Front und rechte Seite des Schreins sind mit Schablonenmalerei auf Kreidegrund verziert. Neben der Aufnahme des liturgischen Geräts diente der Schrank vermutlich auch als Libarium (Bibliothek).

Von einem spätgotischen Altarretabel aus der 1904 abgerissenen und danach neu erbauten Kirche in Klein Lüben werden die elf erhaltenen, farbenprächtigen und detailreichen Schnitzfiguren in der rekonstruierten Aufstellung präsentiert. Im Zentrum stehen die drei Hauptfiguren Madonna mit der heiligen Katharina und dem heiligen Georg. Sie werden von acht kleineren Heiligenfiguren darunter links Dyonisus, Anna, Andreas und Margareta und rechts ein Apostel, Magdalena, Barbara und eine weitere Heilige flankiert. Das Altarretabel ist um 1500 gefertigt worden.

Aus derselben Zeit ist aus der 1914 abgerissenen Kirche in Bälow ein spätgotischer Altarschrein mit einer zentralen Figurengruppe: hl. Anna Selbdritt, flankiert vom hl. Dyonisius und dem hl. Georg als Drachentöter. In den Flügeln stehen acht weitere Heiligenfiguren.

Die Barockzeit ist mit typischen Ausstattungsstücken vertreten. Dazu gehören der 1931 aus der Kirche Sargleben übernommene Taufengel aus der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts und das Altarbild mit der Abendmahlszene aus der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts. Dieses Bild stammt aus der alten Kirche Rohlsdorf und kam 1936 ins Museum. Seit dem Neubau der Rohlsdorfer Kirche 1881 lagen diese Altarteile auf einem benachbarten Bauerndachboden. Von dort wurden sie 1936 geborgen. Ebenfalls vom Ende des 17. Jahrhunderts stammt die hölzerne Taufe mit Deckel, die 1909 noch „in Trümmern auf dem Kirchenboden“ in Bresch lag und 1934 in das Museum geholt wurde.

Von besonderem Reiz ist eine lebensgroße, vollplastische Kruzifix-Schnitzfigur der Zeit um 1500, die aus der Kirche Uenze stammte und 1924 in das Museum übernommen wurde. Die monumentale Plastik zeichnet sich durch ihren kraftvollen Korpus und eine gedrungene Darstellung aus, die sich von der zeitgenössischen Schnitzkunst deutlich absetzen. Aus der kleinen Kirche in Burghagen gelangten 1931 diverse, u. a. liturgische Gegenstände in das Museum, z. B. eine vergoldete kupferne Patene des 15. Jahrhunderts, ein Zinnleuchter von 1688, eine sechseckige Weinflasche aus Zinn von 1703 und vor allem eine weißleinene, schwarz bedruckte Altardecke von 1673, die von der Patronin M. E. von Burghagen gestiftet wurde. Aus der baufälligen Gutskapelle in Klein Linde, einem reizvollen Barockbau von 1736, kam 1977 die schöne bronzene Glocke von 1738 in das Perleberger Museum. Sie wurde bei Johann Georg Ziegner in Salzwedel gegossen.

Ein interessantes Beispiel für die vielfältigen, im Detail oft künstlerisch sehr individuell von Bildschnitzern bearbeiteten nachreformatorischen Kirchenbänke des 16. Jahrhunderts liefert eine Bankwange von 1562 aus der Kirche Sückow mit dem Wappen der Patronatsfamilie Vielrogge (Wartenberg) und der Inschrift: WETE ALLE OVERHEIT IS VA GADE (Wisset, alle Obrigkeit ist von Gott). Sie gehört zu einem Typus, der in jener Zeit in der Gegend verbreitet war und vermutlich ein und derselben Werkstatt zuzuschreiben ist.

Als seltene Beispiele für die weltliche Baudekoration des 16. Jahrhunderts werden in der Kirchenkunstsammlung auch sieben der insgesamt 13 originalen, aus Eichenholz geschnitzten Knaggenfiguren vom Kaufmannshaus Großer Markt 4 aufbewahrt. Vor Ort wurden sie 2003/05 aus konservatorischen Gründen durch Repliken ersetzt. Das an der Hausfassade vorhandene dreizehnteilige Figuren-Programm umfasst sowohl christliche – darunter Jesus, Petrus, Johannes, Georg und Christophorus – als auch weltliche Motive. Dazu zählen ein König, Knappe, Ritter, Magd und Landsknecht. Die Figuren entstanden um 1525 zusammen mit dem repräsentativen Fachwerkhaus.

Stadt- und Regionalmuseum Perleberg
Mönchort 7–11, 19348 Perleberg, 03876 781422
www.stadtmuseum-perleberg.de
Di–Fr 10.00–16.00 Uhr, So 11.00–16.00 Uhr

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Noch heute haben die aus dem Mittelalter erhalten gebliebenen Altarretabel eine große Wirkung auf uns. Beim Betrachten werden wir begeistert vom glänzenden Gold, von strahlenden Farben, von Brokatgewändern, Kronen und Nimben. Wir merken schnell, dass die figürlichen oder gemalten Heiligen mit ihren markanten Attributen nicht von unserer Welt sind.

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Kulturerbe Oderbruch

Seit 2011 vergibt die Europäische Union das Europäische Kulturerbe-Siegel an Stätten, die symbolisch für die europäische Einigung sowie für die Ideen Europas stehen. Unter dem Motto: „Oderbruch – Menschen machen Landschaft“ erhielt im vergangenen Jahr eine Region diese Auszeichnung, die in besonderer Weise durch eine vom Menschen geformte Natur und wechselvolle Ereignisse der europäischen Geschichte geprägt ist. Inzwischen tragen europaweit sechzig Stätten das Siegel, davon sechs in Deutschland, wobei mit dem Oderbruch erstmals ein ganzes Gebiet prämiert wurde.