Ein einmaliger Umzug in der DDR
Annett Xenia Schulz ist Diplom-Restauratorin und forscht zusätzlich zur Geschichte der Restaurierung im 20. Jahrhundert.
Die Kirche von Pritzen in der Bergbauregion Lausitz
Im vergangenen Jahr besuchte der Förderkreis bei einer Exkursion die Auferstehungskirche in Spremberg. Bei dieser Kirche handelt es sich um die ehemalige Kirche aus Pritzen, die zwischen 1988 und 1994 abgetragen und neu aufgebaut wurde. Der Abriss der Kirche war ausgelöst worden durch den fortschreitenden Braunkohlen-Abbau des Tagebaus Greifenhain. Doch die Wende 1989/90 verhinderte das Abbaggern des restlichen Dorfes, denn der Tagebau Greifenhain wurde eingestellt.
Mehr als 150 Jahre lang ist im Lausitzer Revier Braunkohle abgebaut worden, darunter 40 Jahre exzessive Ausbeutung der Vorkommen durch die Kombinate der DDR. Neben dem Raubbau an der Natur bedeutete das den immensen Verlust einer Kulturlandschaft, darunter auch viele Kirchengebäude. Ein Umsetzen der denkmalgeschützten Kirchen wurde gegenüber den Pfarrern, die um ihre Kirchen rangen und Anschreiben an die zuständigen Behörden verfassten, aus „volkswirtschaftlichen Gründen“ stets abgelehnt. Die Schriftstücke des Rates des Bezirkes Cottbus lassen jedenfalls jegliche Empathie für die Kirchen vermissen. Dabei spielten auch ideologische Gründe eine Rolle.
Vor dem Abriss der Kirchen wurden in den Dörfern Gutachten erarbeitet, die den Wert der Kirchengebäude schätzten. Die Bewertung führten die Gutachter, wie es so schön hieß, nach den Gesetzen der DDR aus. Das bedeutete, die Berechnungen erfolgten nach Kubikmeter umbauten Raumes, nach Altersabschreibungen und Restnutzungsdauer. Die an die Kirchengemeinden ausgezahlten Summen waren lächerlich gering. Noch geringer gerieten die geschätzten Summen für die kirchlichen Kunstwerke.
In der 1981 abgerissenen Kirche in Klinge sollten auch die Kosten für den Abbau des Inventares, darunter ein wertvoller Kanzelaltar, sowie Bleiglasfenster und zudem ihre Umsetzung in eine andere Kirche von der Kirchengemeinde selbst getragen werden. Die Entschädigungssumme für den Kanzelaltar entsprach der Kalkulation für eine mögliche Restaurierung. In der 1984 devastierten Kirche in Groß Lieskow bot ein Mitarbeiter des VE Antikhandel, heute bekannt als Firma Schalck-Golodkowski den Ankauf der gesamten Kircheneinrichtung an. Der Pfarrer fragte im Konsistorium an, ob er dem Vertreter auch die Inneneinrichtung der Kirche in Klinge anbieten könne. Die Antwort fiel harsch aus. In Klinge begann erst unmittelbar vor dem Abriss eine intensive Suche nach einem neuen Ort für den unter Denkmalschutz stehenden Kanzelaltar, unter Beteiligung des Konsistoriums. Dieses suchte nicht nur in der Umgebung nach neuen Stätten, sondern auch in Orten, die räumlich und kulturgeschichtlich weit von der Lausitz entfernt lagen. Der Vorschlag zur Umsetzung der Klinger Kirche wurde durch die Behörden des Rates des Bezirkes Cottbus abgelehnt, indem sie neben den bereits erwähnten „volkswirtschaftlichen Gründen“ darauf verwiesen, dass die Entschädigungssumme für die Kirche in Höhe von 19.000 DDR-Mark viel zu gering sei für ein Umsetzen oder einen Kopie-Bau. Der Pfarrer hatte gegen die Summe erfolglos geklagt.
In Pritzen verlief das Procedere zunächst nach dem selben Schema. Für das Inventar der Pritzener Kirche favorisierte man den Innenraum der Kirche in Madlow. Dieser wurde genau vermessen. Seine Raummaße waren nahezu identisch. Bei mehreren Ortsterminen und in verschiedenen Briefen und Aktenvermerken diskutierte man zwischen Pfarramt, Rat des Bezirkes Cottbus und Konsistorium die Möglichkeit, das Inventar der Kirche von Pritzen in die Madlower Kirche umziehen zu lassen. Während dieser Verhandlungen wurden Verhältnisgleichungen aufgestellt, wieviel zerstörte kirchliche Substanz einen Kopiebau rechtfertigt. Als Ergebnis beschloss man für das Gebäude einen Standort in Neupetershain. Diese Entscheidung musste jedoch aufgehoben werden, nachdem der Bezirkstag Cottbus 1986 beschlossen hatte, das Braunkohlenschutzgebiet auszuweiten. Den neuen Standort für die Pritzener Kirche fand man daher in Spremberg.
Pritzen ist das einzige Kirchengebäude in der DDR, das samt Inventar abgetragen und wieder aufgebaut wurde. Ein wesentliches Argument, vorgebracht vom damaligen Leiter der Denkmalpflege Cottbus Peter Schuster für den Erhalt der Kirche und den Umzug des Inventars war, dass die Kirche knapp 60 Jahre zuvor mit dem Inventar restauriert worden war und sich in einem guten Zustand befand. Dabei war diese Restaurierung nur zufällig zustande gekommen.
Im Juni 1929 reiste der Provinzialkonservator Erich Blunck nach Calau und besichtigte ungeplant auch die Kirche in Pritzen. Diese war mitsamt ihrem Inventar wenige Jahre zuvor von der Ilse Bergbau Aktiengesellschaft gekauft worden. Auf seiner Reise fiel Blunck in dieser Kirche ein Altar auf, der außer Gebrauch war, aber dringend einer Instandsetzung bedurfte. Die Angelegenheit wäre vermutlich bei den Akten gelandet, wenn nicht wenige Wochen später der Berliner Konsistorialrat Wilhelm Lütkemann ebenfalls nach Pritzen gereist wäre und die untragbaren Bedingungen, unter denen der Altar und weitere wertvolle Stücke lagerten, beschrieben hätte: „Bei meiner Anwesenheit in Pritzen habe ich gesehen, dass in der Sakristei mehrere Skulpturen aufbewahrt werden, die dem Verfall entgegengehen, obwohl sie wahrscheinlich einen großen Kunstwert haben[…]Außerdem ist dort dem Vermodern und Mäusefraß ausgesetzt eine große Bibliothek, die vielleicht wertvolle Stücke enthält[…]“ Lütkemann schrieb sowohl dem Provinzialkonservator als auch dem Superintendenten und erkundigte sich kurze Zeit später nach dem Fortgang seiner Bemühungen. Blunck vermittelte dann die Adresse der Werkstatt für Denkmalpflege Charlottenburg, Am Steinplatz, Staatliche Kunstschule unter der Leitung von Professor Max Kutschmann und Maler Paul Thol. Sein Vorschlag bestand darin, den Altar und eine kleine Pieta zu retten, indem man beide der Werkstatt in der Staatlichen Kunstschule übergibt. Die Werkstatt sollte laut Blunck „in auftretenden Arbeitspausen an die Wiederherstellung herangehen“. Es ist ein sehr seltener Zufall in Pritzen, dass Schriftstücke erhalten geblieben sind, die die Arbeitsweise der Werkstatt für Denkmalpflege beschreiben. Die Werkstatt befand sich auf dem Gelände der Staatlichen Kunstschule und diente der praktischen Ausbildung der Studenten in der Klasse für Denkmalpflege. Diese Klasse stand allen Studenten der Kunstschule offen. Der Leiter dieser Klasse Paul Thol verfasste einen Untersuchungsbericht zur Farbfassung des Altares sowie zwei Berichte zur Restaurierung des Altares und des Schmerzensmannes. Genauestens werden die umfangreichen Holzergänzungen und Erneuerungen, sowie die Maßnahmen zur Festigung der „abblätternden Farbe“ und Retuschen beschrieben. Diese Berichte interpretierte der Denkmalpfleger Peter Schuster in Cottbus 1986, als es um den Erhalt des Inventars ging.
Das fehlende Interesse an den kirchlichen Kunstwerten zeichnete nicht nur die staatlichen Behörden in der DDR aus. Schon die Ilse Bergbau-AG interessierte sich 1930 zuerst wenig für die Restaurierung, und es bedurfte großer Überzeugungsarbeit durch den Provinzialkonservator, den Mitarbeiter des kirchlichen Bauamtes und durch den Pfarrer, die Verantwortlichen in der Bergbau-AG von einem Zuschuss zu den Restaurierungskosten zu überzeugen. Letztendlich haben sie einen großen Anteil übernommen.
Wenn Kunstwerke verloren gehen, dann gerät auch das Wissen um sie in Vergessenheit. Dazu gehören auch praktische Informationen. In Pritzen ist der Briefwechsel des Pfarrers aus dem Jahre 1930 erhalten und mit ihm die Information, dass die zu restaurierenden Kunstwerke mit der Post in die Werkstatt für Denkmalpflege gesendet worden sind. Sogar die Quittung über den Eingang der Sendung nach sechs Tagen ist erhalten. Auch die Rücksendung nach der Restaurierung erfolgte 1933 mit der Post. Die Stücke wurden nicht durch den Pfarrer ausgepackt. Dafür reisten Paul Thol, seine Mitarbeiter und Studenten an. In den Wochen danach inventarisierten die Mitarbeiter und Studenten die in der Sakristei vorgefundenen Ausstattungsgegenstände der Kirche, darunter nicht näher beschriebene Bruchstücke, eine hölzerne Taufe, Taufengel und auch die Bücher der historischen Bibliothek. Dabei wurde eine kostbare Bibel aus dem 17. Jahrhundert entdeckt.
Es folgte ein Ortstermin aller Beteiligten sowie der Verantwortlichen der Ilse Bergbau-AG als Eigentümer, bei dem ein „Programm für die Instandsetzung der Kirche in Pritzen“ beschlossen wurde. Dieses Programm beinhaltete neben sämtlichen baulichen Maßnahmen die weiteren Restaurierungs- und Ergänzungsmaßnahmen an den Ausstattungsstücken. Ein in diesem Zusammenhang vom Provinzialkonservator Blunck verfasstes Gutachten wurde 1986 ebenfalls als Argument für den Erhalt des Bauwerkes und des Inventares verwendet.
Abschließend stellt sich die Frage, ob das Inventar 1986 noch vollständig vorhanden war. Der mittelalterliche Marienschrein, der 1930 die Restaurierung auslöste, befindet sich heute als Mittelschrein auf dem Altarblock der Kirche. Der Altar beinhaltete bis 1936 die Kopie eines italienischen Gemäldes. Die 1930 in der Sakristei vorgefundenen Ausstattungsgegenstände der Kirche, die leider nicht näher beschrieben werden, dazu eine hölzerne Taufe und ein Taufengel,wurden nach 1934 an die Werkstatt für Denkmalpflege in der Hochschule für Bildende Künste zur Restaurierung gesandt. 1947 suchte der Architekt Ewald Kleffel diese Stücke in Berlin. Werkstatt und Hochschule in der Hardenbergstraße 33 waren jedoch bei einem Bombenangriff im November 1942 vollständig ausgebrannt. Taufengel und Taufständer sind offensichtlich gerettet worden, da diese in der Inventarliste von 1986 benannt werden. In den 1960er Jahren wurde dem Pfarrer von Seiten des Institutes für Denkmalpflege noch einmal bestätigt, dass sämtliche Inventarstücke unter Denkmalschutz stehen. Dieser Schutz hätte dem Abriss und Verlust dieser wertvollen Ausstattung als Gesamtensemble nicht im Wege gestanden. 1988 fand der letzte Gottesdienst in Pritzen statt. Danach begann der schrittweise Ausbau des Inventars. Das Inventar verteilte man an verschiedene Orte in der Umgebung. Die meisten Teile kamen in die Wendische Kirche nach Vetschau und nach Alt Döbern. 1990 wurden die Energiekombinate und Werke der DDR privatisiert. Es entstand die Lausitzer Braunkohle AG LAUBAG. Diese stellte 1,5 Millionen DM für die Umsetzung der Pritzener Kirche nebst Inventar zur Verfügung. So konnte im Dezember 1992 Richtfest und 1994 die Einweihung gefeiert werden.