Ein Dorf ohne Glockengeläut
Gert Dittrich ist Betriebswirt, Tischlermeister und Geschäftsführer sowie der Vorsitzende des Fördervereins zur Erhaltung der Dorfkirche Landin e.V.
Wie es zur Sanierung der Landiner Patronatskirche kam
Pünktlich zur vollen Stunde schlagende Kirchenglocken bieten auch in digitalen Zeiten eine weithin hörbare Zeitorientierung.
Das gilt für viele Städte und Dörfer in Brandenburg, aber nicht für Landin im Westhavelland. Hier schlug lange Zeit keine Kirchenglocke, denn die Kirche war seit mehr als 25 Jahren dem Verfall preisgegeben und fristete ihr Dasein ungenutzt.
Das ließe sich doch bestimmt ändern, dachten sich einige Landiner und schauten, woran das wohl lag. Die Nachforschungen ergaben, dass sich sehr wohl noch die historische Glocke von 1675 sowie Fragmente des alten Glockenstuhls, des Uhrwerks und der Turmuhren auf dem Kirchboden befanden, aber die gesamte Bausubstanz in einem solch schlechtem Zustand war, dass das Kirchengebäude durch die Bauaufsichtsbehörde gesperrt werden musste. Das Fachwerk der Wände, die Decken, der Dachstuhl und insbesondere die Vorhalle waren so marode, dass ein Betreten zu gefährlich war – und der fragmentierte Glockenstuhl ließ sich auf dieser nicht mehr tragfähigen Grundlage keinesfalls wieder aufbauen. Schnell war klar: ohne komplette Sanierung der Bausubstanz lässt sich auch die Glocke nicht so einfach wieder zum Klingen bringen. Und genauso schnell war auch klar, dass es sehr teuer wird und dass ohne Fremdkapital eine Sanierung nicht umsetzbar ist.
Also beriet sich die Gruppe Landiner, denen der Erhalt der Kirche am Herzen lag und knüpfte Kontakte zur Kirchengemeinde, zum Kirchenkreis, zur Landeskirche und auch zu vergleichbaren Projekten in anderen Orten.
Es kam zu einem intensiven Austausch mit den Fördervereinen in Pessin, Ferchesar und Gollwitz. Es wurde Kontakt zu Architekten und gesellschaftlichen Akteuren im Havelland sowie zur Lokalen Aktionsgruppe Havelland aufgenommen.
Ganz besonders intensive Unterstützung leistete der Förderkreis Alte Kirchen, insbesondere in Person vom pensionierten Pfarrer Arnulf Kraft und Bernd Janowski.
Von allen Seiten kam die Empfehlung, es mit einer Förderung namens LEADER (das steht für „Liaison entre actions de développement de l’économie rurale“, übersetzt „Verbindung zwischen Aktionen zur Entwicklung der ländlichen Wirtschaft“) des Landesamtes für Ländliche Entwicklung, Landwirtschaft und Flurneuordnung (LELF) im Ministerium für Landwirtschaft, Umwelt und Klimaschutz (MLUK) zu versuchen, da diese die höchsten Fördersätze aufweist. Das sind für Körperschaften und gemeinnützige Vereine bis zu 75 Prozent. Allerdings ist für die Förderung ein aufwändiges, mehrstufiges und sehr komplexes Antragsverfahren zu durchlaufen.
Zuerst musste ein gemeinnütziger Verein gegründet werden. Es begann eine etwa zweijährige Phase intensiver Vorarbeit, in der die Akteure Informationen sammelten, sich zu rechtlichen Fragen schlaumachten, eine Vereinssatzung erstellten und alles, was sonst noch für eine Vereinsgründung und die Erlangung der Gemeinnützigkeit notwendig ist, erledigen mussten. Die offizielle Gründungsversammlung erfolgte dann vor acht Jahren. Am 6. Februar 2015 wurde im Gemeindehaus der Förderverein zur Erhaltung der Dorfkirche Landin aus der Taufe gehoben. Damit wurde dem „Wir retten unsere Dorfkirche“ ein gesellschaftlicher und rechtlicher Rahmen gegeben. Immerhin gab es bereits 33 Gründungsmitglieder – bei 77 erwachsenen Einwohnern in Landin eine sehr gute Quote. Ein neuer Vorstand wurde gewählt, der sich gleich mit Feuereifer an die Arbeit machte. Im selben Jahr gelang die Eintragung in das Vereinsregister als gemeinnütziger Verein mit dem Vereinszweck Instandsetzung und Erhalt der Dorfkirche sowie Förderung des kulturellen Lebens im Havelland unter Nutzung der Kirchenräume.
Im Jahr 2016 erhielten wir den Förderpreis „Startkapital für Kirchen-Fördervereine“ vom Förderkreis Alte Kirchen Berlin-Brandenburg e.V. Neben dem Preisgeld bedeutete die Zuerkennung für uns vor allem, dass Insider und Fachleute an uns und unser Projekt glaubten. Das beflügelte uns sehr. Auch in den Folgejahren begleitete uns der Förderkreis immer wieder mit Rat und Tat.
Mit der Anerkennung als gemeinnütziger Verein konnten wir uns an die Ausarbeitung des Förderantrages für die LEADER-Mittel machen, viele hundert Stunden verbrachten die Protagonisten mit der Ausarbeitung eines förderfähigen Nutzungskonzepts, Öffentlichkeitsarbeit, Erfassen der Bauschäden und Erstellen eines Sanierungsplanes, Erlangen einer Baugenehmigung, Vernetzen eines Unterstützer-Kreises usw. Pünktlich zur Abgabefrist am 31. Mai 2016 reichten wir unseren Förderantrag in Form von zwei dicken Aktenordnern ein. Die Antwort vom LELF kam im September 2016: krachend durchgefallen! Wir hatten nicht die erforderliche Punktzahl erhalten, um in die nächste Stufe des Antragverfahrens zu gelangen. Der Grund lag darin, dass die Förderschwerpunkte vom LELF mehr auf die soziale Daseinsvorsorge verschoben wurden, ohne das wir davon wussten. Wir hatten uns in unserem Konzept auf die Verbesserung der Lebensbedingungen im ländlichen Raum konzentriert.
Nach kurzem Schock und Beratung im Verein sagten wir uns: Jetzt erst recht! Wir überarbeiteten das Konzept und passten den Antrag, wieder mit vielen hundert Arbeitsstunden, an die neuen Bedingungen an und reichten diesen vollständig und fristgerecht zum 31. Mai 2017 erneut ein. Einige Wochen später lud uns die LAG Havelland zu einer Präsentation und Verteidigung des Nutzungs- und Sanierungskonzepts in das Schloss Ribbeck ein. Bei diesem zweistündigen Termin gelang es uns, die LAG positiv von unserem Vorhaben zu überzeugen. Im September 2017 erhielten wir den Bewilligungsbescheid.
Mit dieser Zusage waren schon mal 75 Prozent der Projektsumme abgesichert, aber die fehlenden 25 Prozent Eigenmittel aufzutreiben, bedeutete noch große Anstrengungen. Durch glückliche Umstände und geneigte Spender konnten die Kirchengemeinde und der Förderverein jeweils die Hälfte der Eigenmittel aufbringen. Nun mussten, basierend auf der Sanierungsplanung, die Bauleistungen ausgeschrieben werden. Und damit ergab sich das nächste Problem: Durch eine Explosion der Baupreise waren alle Angebote höher als die ursprüngliche Kostenschätzung des Architekten. Das hieß für uns, umplanen, Leistungspakete aufschnüren, Bauleistungen auf das Nötigste eindampfen und erneut ausschreiben. Damit verging fast ein Jahr aber bis zum Sommer 2018 konnten wir gute, erfahrene und vor allem regionale Baufirmen gewinnen. Am 29. September 2018 feierten wir mit einem Gottesdienst den ersten Spatenstich und im Frühjahr 2019 ging die Sanierung richtig los.
Jeder, der schon mal gebaut hat, weiß wie komplex der Bauprozess ist, insbesondere wenn viele Gremien bei jeder Entscheidung zu beteiligen sind.
Es folgten etwa zwei Jahre intensive Bautätigkeit, in der alle maroden Balken des Fachwerks erneuert, die Ziegelsteinwände repariert und zum Teil neu aufgemauert, das Dach und die Decke repariert, der Innenbereich neu verputzt und gemalert, die hölzernen Einbauten repariert, eine Winterkirche, eine Teeküche und ein WC eingebaut, die Elektroanlage und Beleuchtung komplett erneuert, der Altar nach historischen Vorlagen restauriert und die Zuwege gepflastert wurden.
Am 4. Oktober 2020 konnten wir den Eröffnungsgottesdienst feiern, bedingt durch die Corona-Schutzmaßnahmen draußen vor der Kirche. 2021 nahm unser Kulturteam im Förderverein seine Arbeit auf und konnte schon vielfältige Veranstaltungen organisieren: die Eröffnungsausstellung mit historischen Fotos Landins und neuen Fotos aller Landiner – das wollte natürlich jeder sehen, außerdem zwei Ausstellungen mit örtlich ansässigen Künstlern, Theater- und Gesangsveranstaltungen, kleine und große Konzerte usw.
Für 2023 gibt es wieder viele Pläne, der Höhepunkt könnte das Aktionstheater „Ein Dorf macht Theater“ werden. Dabei sollen möglichst viele Landiner Laien einbezogen werden. Der havelländische Chor „Salto Tonale“ hat in der Landiner Kirche jetzt seine Proberäume.
Und zu guter Letzt soll in diesem Jahr die zweite Glocke nachgegossen und in das seit 1917 verwaiste Glockenfach gehängt werden. Diese Glocke wurde noch zum Ende des Ersten Weltkrieges requiriert und eingeschmolzen. Den Nachguss wollen wir daher „Friedensglocke“ nennen! Wie man sieht, haben sich alle Mühen gelohnt – die Landiner Kirche ist nun eine feste Größe im Havelland.