Die Dorfkirche Kerkow

Dirk Schumann ist Kunsthistoriker und Bauarchäologe und arbeitet fächerübergreifend auf den Gebieten Kunstgeschichte, Bauforschung und Archäologie.

Ein architekturhistorischer Schatz in der Uckermark


Dorfkirche Kerkow, Ansicht von Südosten nach der Sanierung von Chordach und Turmaufsatz

Kirchenbauten aus zugeschlagenen Feldsteinen prägen den märkischen Dorfkirchenbau des Mittelalters. Das gilt besonders für Regionen wie die Uckermark, wo im Zuge des Siedlungsausbaus fast in jedem Dorf eine eigene Pfarrkirche errichtet wurde. 1250 erhielten die brandenburgischen Markgrafen zum südlichen nun auch den nördlichen Teil der Uckermark aus pommerscher Hand. Obwohl der Siedlungsausbau und die Gründung neuer Dörfer bereits unter der pommerschen Landesherrschaft einsetzte und diese Dörfer offenbar auch mit Kirchen versehen wurden, entstand der größte Teil der steinernen Kirchenbauten in der Uckermark erst nach 1250.

Das zeigen nicht nur die dort verbreiteten Bautypen, zu denen hier nur ganz selten Beispiele mit einer Apsis gehören, sondern auch eine Reihe von jüngeren bauhistorischen Untersuchungen. Bei der detaillierten Klärung der Baugeschichte dieser Kirchen hat die naturwissenschaftliche Datierungsmethode der Dendrochronologie einen nicht unerheblichen Anteil. Einige der so datierten mittelalterlichen Bauhölzer weisen deutliche Spuren einer Wiederverwendung auf, was nahelegt, dass sie von hölzernen Vorgängerkirchen stammen. Das ist durchaus plausibel, denn nach der Gründung eines Dorfes musste es sich erst einmal erweisen, ob die Ausstattung, die Lage sowie die Qualität der Böden eine ausreichende Lebensgrundlage gewährleisteten. Dies war auch ein Grund, warum neugegründete Siedlungen von den Landesherren erst einmal sieben Jahre lang von Steuern befreit blieben. Zudem mussten die neuen Bewohner ihre Häuser und Höfe selbst errichten und das dazugehörige Land urbar machen. So musste der Gemeinde erst einmal ein hölzerner Kirchenbau ausreichen, zumal ein solcher viel zügiger als ein Steinbau errichtet werden konnte. Denn wie bauhistorische Untersuchungen belegen, konnte die Bauzeit einer steinernen Dorfkirche je nach Größe und Anzahl der Bauteile fünf bis zehn Jahre dauern.

Ein geradezu typisches Beispiel ist die Dorfkirche in Kerkow, die neben einem Saallanghaus einen eingezogenen Chor und einen massiven Turm von Schiffsbreite besitzt.

Die Bauforschung, welche die jüngste Sanierung begleitete, erbrachte eine Reihe von neuen Hinweisen zur Baugeschichte der Kirche.

Die urkundliche Nennung eines „Gerhardus de Kerecowe“ im Jahr 1236 und eines „Georgius de Kerkowe“ im Jahr 1267 legen nahe, dass die Anlage des Angerdorfes Kerkow bereits vor der Mitte des 13. Jahrhunderts erfolgte. Wahrscheinlich entstand bereits zu diesem Zeitpunkt auf dem Anger, ursprünglich das Zentrum des Ortes, ein hölzerner Kirchenbau, der zum Bistum Brandenburg und zur Sedes Angermünde gehörte.

Erstmals als Dorf genannt wurde Kerkow im Jahr 1348, als der falsche Markgraf Waldemar das Dorf der Stadt Angermünde zur Nutzung überließ. Bereits vor 1348 gehörte der Ort zum markgräflichen Schloss bzw. zum späteren Amt Angermünde, das anscheinend auch das Patronat über die Kirche ausübte; später ist der Kurfürst selbst als Patronatsherr nachweisbar. Von 1354 bis 1424 gehörte Kerkow mit dem Amt Angermünde und anderen Orten zeitweilig zum Besitz der Herzöge von Pommern, kam danach jedoch wieder an Brandenburg. 1527 umfasste die Feldmark des Dorfes 67 Hufen, was ein Hinweis auf eine durchaus ansehnliche Größe des Dorfes ist. 1562 gelangten umfangreiche Besitzanteile an dem Ort an Franz von Sparr zu Greiffenberg und Görlsdorf, ab 1577 bis 1626 dann an die von Arnims. Von 1632 bis 1872 besaß die Familie von Redern den Ort. 1673 erhielt sie auch das Patronat an der Kirche.

Der gestaffelte Kirchenbau wurde in einem sorgfältig gearbeiteten Feldsteinmauerwerk ausgeführt. Ob ein 1238 gefälltes Rüstholz im östlichen Langhausgiebel ein Hinweis auf einen Vorgängerbau ist, muss hier offenbleiben.

Während das Langhaus und der in der Mauerstärke etwas kräftiger ausgeführte Westbau den Feldsteinlagen zufolge bis zur Traufhöhe in einem Zug errichtet wurden, fügte man den Chor offenbar nachträglich an eine vorbereitete Verzahnung an. Dabei erhielt der Chor zwei in einer Achse liegende Chorportale, was als Hinweis auf einen geplanten Sakristeianbau gesehen werden kann. Der wohl mittelalterlichen Vermauerung des südwestlichen Chorfensters zufolge ist ein solcher Anbau tatsächlich errichtet worden. Dabei dürfte es sich jedoch um einen hölzernen bzw. einen Fachwerkanbau gehandelt haben, der nach seiner Beseitigung kaum sichtbare Spuren hinterließ.

Die dendrochronologische Datierung eines hölzernen Schrankeinbaus im mittelalterlichen Altarblock legt die Fertigstellung des Chores um 1265/1270 nahe. Dem ging kurz zuvor die Vollendung des Langhauses voraus, denn hier datierte die hölzerne Riegelführung im Südportal in die Zeit um/nach 1262. Als Letztes vollendete man den zuvor erst einmal bis zur Langhaustraufe aufgeführten Westriegel, da die Sturzbohle des Westfensters im Obergeschoss des mittelalterlichen Westbaus bald nach 1275 gefällt wurde.

Damit liegt hier eine relativ genaue Datierung der verschiedenen Bauabschnitte einer Feldsteinkirche vor, die zugleich deutlich machen, dass man über mehrere Jahrzehnte an der sorgfältigen Bearbeitung des Baumaterials festhielt. Begonnen hatte man das steinerne Bauwerk offenbar bald nach 1250 mit den Langhaus- und den Turmfundamenten. Es folgte zwischen 1260 und 1270 die Errichtung des Chores. Vollendet wurde der steinerne Bau mit dem Obergeschoss des Westriegels kurz vor 1280. Ungewöhnlich ist der Befund einer kleinen bauzeitlichen Verbindungsöffnung vom Turmobergeschoss in das Kirchenschiff, die vielleicht ehemals auf eine Empore führte. Über das Mittelalter hinweg waren Schiff und Chor mit einer flachen Decke versehen.

Im frühen 16. Jahrhundert erhielt der Chor ein repräsentatives spätgotisches Sterngewölbe, dessen ungewöhnlich große Schlusssteine mit Rosetten- und Radmotiven in der Scheitelachse aufgereiht sind. Eine stilistische Parallele bieten die rosettenförmigen Schlusssteinmotive der ebenfalls achtstrahligen Mittelschiffsgewölbe der Angermünder Marienkirche, deren Entstehung sich mit der Chorinschrift von 1520 in Verbindung bringen lässt. Das dortige Rippenprofil entspricht dem Rippenprofil in Kerkow, was eine ähnliche Datierung ermöglicht.

Wie die im Zuge der bauhistorischen Dokumentation durchgeführten dendrochronologischen Untersuchungen belegen, treten im vorhandenen Chordachwerk der Zeit um 1781 wiederverwendete Hölzer auf, von denen eines um bzw. nach 1467 gefällt worden ist und zu einem Chordachwerk dieser Zeit gehörte. Von den Zerstörungen des Dreißigjährigen Krieges muss auch die Kerkower Kirche betroffen gewesen sein, denn das Langhaus erhielt um 1661 ein vollständig neues Dachwerk. 1780 kam es offenbar zu größeren Reparaturarbeiten, denn die Hölzer für das neue Chordachwerk wurden in den Wintern 1779/80 und 1780/81 gefällt. Der spätbarocke Turmaufsatz entstand der Inschrift auf der Wetterfahne zufolge schließlich im Jahre 1781. Passend dazu wurde ein Holz aus der Stützkonstruktion des Turmaufsatzes im Winter 1780/81 geschlagen.

1835 bemerkte man „schadhafte Stellen an der Kirche u. dem Thurm“. Im Sommer 1857 wurde die Kirche nebst dem Turm auf Anordnung des Kirchenpatrons Graf Wilhelm von Redern auf Kosten der Kirchenkasse und unter Leitung des Angermünder Bezirksbauinspektors renoviert. Die umfassende Instandsetzung und Neugestaltung der Kirche im Jahr 1910 führte schließlich zum heutigen Erscheinungsbild, wobei man das ursprüngliche Vorhaben der Vergrößerung des Turmes aufgab. Bei den Renovierungsarbeiten traten unter der „Maltünche“ auch Reste gotischer Malerei zutage, die für eine Rekonstruktion jedoch zu fragmentarisch waren.

1974 führte ein durch Blitzschlag ausgelöster Brandschaden schließlich zu einem tiefgreifenden Einschnitt in die äußere Gestalt des Kirchenbaus.

So mussten die hölzerne Turmlaterne und ein Teil der dazugehörigen Innenkonstruktion abgebrochen und der Turm mit einem Notdach versehen werden. In den folgenden Jahrzehnten verschlechterte sich der Zustand der Notkonstruktion sowie auch der Dachwerke über Chor und Querhaus zunehmend, so dass eine Sanierung unumgänglich wurde.

Die vom Planungsbüro ALV in Angermünde betreute Sanierung begann 2017 mit dem Chordach; 2019 wurde die barocke Turmlaterne rekonstruiert und 2020 schließlich das Langhausdach wiederhergestellt. Möglich wurde das neben der Finanzierung aus Eigenmitteln der Kirchgemeinde auch durch Fördermittel der Landeskirche und das Engagement des Förderkreises Alte Kirchen Berlin-Brandenburg für den Erhalt der Kerkower Kirche, dem auch die Reparatur der Orgel zu verdanken ist. Damit erhielt nicht nur eine der beispielhaftesten uckermärkischen Dorfkirchen ihre einstige Gestalt zurück, sondern die Tore der Kirche sind nun für Besucher wieder weit geöffnet, die zudem wöchentlich einem Konzert auf der wiederhergestellten Orgel lauschen können.

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