von Dirk Schumann

Markgräfliches Hauskloster

Die prächtige Backsteinarchitektur und ihr historischer Kontext

Dirk Schumann ist Kunsthistoriker und Bauarchäologe mit zahlreichen Veröffentlichungen zu Kunst und Archäologie der Mark Brandenburg. 

Westfassade der Klosterkirche; Foto: Thomas Vossbeck 

Als Johann I., Markgraf von Brandenburg, 1258 für sein Seelenheil auf dem Pehlitzwerder am Parsteiner See ein Zisterzienserkloster stiftete, war nicht abzusehen, dass nach der Verlegung dieser Einrichtung nach Chorin die dortige Klosterbaustelle ein Labor für Architekturgestaltung mit gebranntem Ton und damit der Ausgangspunkt für eine prächtige Backsteinarchitektur wurde. Schließlich ist der Choriner Backsteinzierrat aus Relieffriesen, charakteristischen Formsteinprofilen oder auch den in die Tonrohlinge geschnittenen vegetabilen Motiven an einer Reihe von Nachfolgebauten anzutreffen, wie an der Stadtkirche in Eberswalde, der Klosterkirche in Boitzenburg oder auch der Franziskanerklosterkirche in Angermünde.

Die beiden Markgrafenbrüder Johann (1213? – 1266) und Otto (1214/15 – 1267) hatten fast vierzig Jahre gemeinsam einträchtig die Mark Brandenburg regiert, bevor sie im fortgeschrittenen Alter jeweils ein Kloster gründeten und als persönliche Grablege stifteten. Dabei entschied sich Otto III. für den noch relativ jungen Bettelorden der Dominikaner während Johann sein neues Kloster als Tochtergründung des alten Familienklosters in Lehnin initiierte. So machten sich 1260 zwölf Zisterzienserbrüder aus dem dortigen Konvent auf den Weg in die südliche Uckermark. Wie eine Urkunde überliefert, befand sich darunter auch der für die Durchführung und Verwaltung von Bauprojekten zuständige Conradus, Magister operis.

So dürften bald darauf auch Ziegler und Bauleute aus dem Kloster Lehnin eingetroffen sein. Deshalb überrascht es auch nicht, dass an dem neuen Klosterstandort am Parsteiner See schon kurz darauf mit den Bauarbeiten begonnen wurde. Die dort noch vorhandenen baulichen Reste belegen, dass der hohe bautechnische Stand der Lehniner Backsteinarchitektur auf dem neuen Bauplatz von Anfang an vorhanden war. Die dortige Kirche wurde jedoch nie vollendet. Der Grund dafür ist wohl der Tod von Johann I. 1266, denn in diesem Jahr bemühte sich der Konvent des Klosters um eine Verlegung. Dass es dabei möglicherweise nicht allein um das Interesse der Zisterzienser ging, zeigt die Lage des neuen Klosterbauplatzes, der nun an einer wichtigen Straße im Zentrum eines Ringes von landesherrlichen Burgen liegt. Schließlich bestimmten die Söhne von Johann, die neuen Markgrafen Johann II. (? – 1281), Otto IV. (ca. 1238 – 1308) und Konrad I. (um 1240 – 1304?), dieses Zisterzienserkloster zur Grablege des neuen Familienzweiges. Denn kurz vor ihrem Tod hatten die beiden Brüder Johann und Otto in weiser Voraussicht die Mark untereinander aufgeteilt. In der Folge bildeten sich der johanneische und der ottonische Familienzweig heraus. Da das alte Hauskloster Lehnin nun im Besitz der Söhne Ottos III. war, benötigten die Söhne Johanns I. ein neues Hauskloster. Diese Aufgabe fiel nun dem neuen Kloster Chorin zu, das sich spätestens seit 1272 am jetzigen Standort befindet. Die neue Aufgabe des Klosters spiegelt sich auch in der Grundrisskonzeption der Klosteranlage wider. Anders als beim Grundriss der Vorgängerkirche am Parsteiner See entschied man sich in Chorin für die Grundrisskopie des Mutterklosters in Lehnin, dessen Anlage zwar ebenfalls in Backstein errichtet wurde, jedoch durchgehend als romanische Architektur entstand. In Chorin führten die Bauleute dagegen eine zeitgemäße gotische Backsteinarchitektur auf dem romanischen Grundriss aus. Wahrscheinlich stellte die Wahl des Lehniner Grundrisses einen ganz bewussten Traditionsbezug auf das alte Hauskloster der Markgrafenfamilie dar.



Grundriss der Klosterkirche in Lehnin; Abb.: Dehio, Handbuch der Kunstdenkmäler, Brandenburg (2012) 

Ähnliche Bezüge zeigen sich auch an der aufgehenden Architektur, wo mehrfach verschiedene Architekturtraditionen und Gestaltungen zitiert werden. Bereits der Bau der Ostteile der Klosterkirche ab 1272 war mit der Anfertigung eines aufwändigen Backsteindekors verbunden, der weit über das bei Zisterziensern Übliche hinausging. So fertigten die Ziegler in Chorin Gewände-, Gesims- und Vorlagenprofile, individuell gestaltete Konsolen, gotisches Fenstermaßwerk und schließlich auch modelgeformte Relieffriese an, wie jenes Weinblattrankenmotiv, dass später zum Inbegriff der Choriner Architekturgestaltung wurde. Die Basis, Gewände- und Kämpferformstücke, entstanden größtenteils für eine konkrete Stelle am Bau, was eine enge Verbindung von Ziegelproduktion und Baustelle nahelegt. Schließlich konnten jüngst an der Choriner Klosterkirche eine ganze Reihe von Backsteinen mit lateinischen Inschriften festgestellt werden, die eine Mitarbeit von Mitgliedern des Konvents bzw. von Konversen auf dem Ziegelhof belegen. Die passgenaue und kunstvolle Anfertigung des Zierrats zeigt, dass sich inzwischen Spezialisten für die Herstellung des Backsteindekors herausgebildet hatten.



Grundriss von Klosterkirche und Klausur in Chorin; Abb.: Die Kunstdenkmäler des Kreises Angermünde (1934) 

Bezogen sich die Choriner Ziegler anfangs auf Formen und Gestaltungen der Hausteinarchitektur, brachte die Arbeit mit dem leicht zu modellierenden Material Lehm eine technologische Weiterentwicklung mit sich. So bearbeitete man die Rohlinge jetzt offenbar mit kürzeren Trocknungszeiten als noch die Formsteine in Lehnin. Auf diese Weise konnten die Ziegler den noch weichen Ton viel virtuoser bearbeiten. Das führte zu einem großen Erfindungsreichtum. Zudem ließen sich, anders als bei der Arbeit mit Haustein, die einzelnen Formen schneller entwerfen und auch wieder verwerfen, wobei der Abfall dabei relativ gering blieb, da der Lehm größtenteils wieder aufbereitet werden konnte. So lässt sich am erhaltenen Maßwerk der Choriner Klosterkirche erkennen, wie am Chor einfache klassische Maßwerkmotive der französischen Kathedralarchitektur als Vorbild dienten, während beim Bau des Langhauses um 1290/1300 immer reichere Maßwerkfigurationen aus dem aufbereiteten Lehm herausgeschnitten wurden. Am Mittelschiff der Choriner Klosterkirche stellten sich die Ziegler und Bauleute den Herausforderungen der Herstellung und des Einbaus von besonders großen Formstücken, wie den riesigen, aus mehreren Teilen bestehenden Backsteinkonsolen.

Erscheint dieser Gestaltungsaufwand für eine landesherrliche Grablege gerechtfertigt, wird dieser in der Folge auch auf andere märkischen Bauprojekte übertragen. Dabei handelt es sich um Bettelordensklöster, prominente Stadtpfarrkirchen oder auch um Stadtbefestigungsbauten. Gemeinsam haben alle diese Bauten, dass sie auf die Gründung oder die Förderung der askanischen Markgrafen zurückgehen. Dabei hat es den Anschein, als wäre diese charakteristische Backsteingestaltung geradezu als sichtbare Signatur für jene herrschaftlichen Aufgaben gedacht, die mit diesen Bauten verbunden waren; so dienten die betreffenden Bettelordensklöster nachweislich als Herbergen der Markgrafen bei der Ausübung ihrer Reiseherrschaft.

Am Beispiel der eindrucksvoll konzipierten Westfassade der Choriner Klosterkirche lassen sich der Bauprozess und die architektonischen Gestaltungsprinzipien nachzeichnen. Dabei liegt die Betonung auf dem Wort „Prozess“, denn die annähernd symmetrische Westfassade ist erst das Ergebnis eines Baugeschehens in mehreren Abschnitten, das mit Korrekturen und Planänderungen einherging. Dabei handelt es sich um eine im Mittelalter übliche Praxis, die auf die längeren Bauzeiten reagierte. Das Baumaterial Backstein konnte zwar größtenteils seriell gefertigt werden, doch ließen sich das Aufbereiten und das Brennen der Steine mit den damaligen Ofengrößen sowie die langen Trocknungszeiten der mittelalterlichen Mörtel nicht wesentlich verkürzen.



Kämpferformstück aus gebranntem Ton mit vegetabilem Dekor, wohl um 1290; Foto: Thomas Vossbeck 

Begonnen wurde der Bau der Westfassade mit der Mauerscheibe des Mittelschiffs, zu der auch die beiden Treppentürme und sicher auch die anschließenden Mittelschiffsarkaden gehörten. Die Anfügung der Westwand des nördlichen Seitenschiffs sowie der Westwand des westlichen Klausurflügels wurden auf beiden Seiten der Mittelschiffswand mit Verzahnungen (Warteverband) vorbereitet. Allerdings zeigt dieser Baubefund, dass der nördliche Seitenschiffsgiebel, der heute wie eine Kulissenarchitektur größtenteils über die Seitenschiffshöhe hinausgeht, ursprünglich viel niedriger vorgesehen war. Der südliche Giebel, der als Scheinarchitektur ein dahinterliegendes Seitenschiff suggeriert, obwohl dieses tatsächlich bereits in der Flucht des Kreuzgangs endet, war der Verzahnung zufolge ursprünglich sogar etwas höher geplant. Demzufolge ist die vorhandene, annähernd symmetrische Fassade erst das Ergebnis von Planänderungen im letzten Bauabschnitt der Kirche und betont vor allem den Bildcharakter dieser Architektur. So erhielten die drei Mittelschiffsfenster der Westfassade aufwendige Maßwerke, die einer zeitgemäßen gotischen Architektur entsprechen. Die oberen Giebelabschlüsse aus gestaffelten Wimpergen und Fialen lassen sich auf zuvor entstandene Vorbilder in Frankreich oder Italien beziehen. Doch trotz der ungewöhnlichen räumlichen Staffelung der einzelnen Giebelwände ist der Charakter der Giebelwand ein flächiger. So erinnert die Westfassade mit ihren Treppentürmchen an das in die Fläche projizierte Bild eines romanischen Kaiserdoms, was mit Blick auf die ehemals im Innenraum anschließende Westempore kein Zufall gewesen sein dürfte.

So gibt es in der Choriner Architektur eine ganze Reihe von Elementen, die über eine Zisterzienserkirche hinausgehen und möglicherweise auf die Funktion als markgräfliches Hauskloster zurückzuführen sind. Zwar hat sich nur eine Urkunde erhalten, der zufolge sich die Markgrafen zu Lebzeiten auf dem Gelände des Klosters aufhielten. Doch beweisen die erhaltenen Aufenthaltsbelege der Markgrafenbrüder aus johanneischem Hause, dass sie vor allem im späteren 13. Jahrhundert, als die Fertigstellung der Klosteranlage bereits weit vorangeschritten war, oft auf den Burgen oder in den Städten der Umgebung anzutreffen waren und das Kloster mindestens einen wichtigen ideellen Mittelpunkt in ihrer Reiseherrschaft darstellte.

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