Überraschung unter dem Ruß
Schnelle Hilfe für die Maria-Magdalenen-Kirche
Konrad Mrusek ist Journalist und Mitglied im Vorstand des Förderkreises Alte Kirchen Berlin-Brandenburg e. V.
Der Pfarrer von Eberswalde ist inzwischen auch zu einem guten Kletterer geworden. Es ist daher gar nicht so einfach, ähnlich schnell wie Hanns-Peter Giering über diverse schmale Leitern bis in die fünfte Etage des riesigen Gerüstes zu steigen, das seit fast einem Jahr den gesamten Innenraum der Maria-Magdalenen-Kirche ausfüllt. Wer es bis oben geschafft hat, der kann die Decke und die Gewölberippen des mittelalterlichen Gotteshauses berühren und bekommt eine Ahnung davon, wie mühsam es gewesen sein muss, den Ruß zu entfernen, den der Schwelbrand am 2. Dezember 2019 erzeugt hatte. „Der Feuer-Schaden war gar nicht so groß“, sagt Giering, „weil der Brand vor allem in einem kleineren Raum auf der Südempore des Chores wütete. Doch der Ruß-Schaden an Orgel, Altar und an den Kirchenwänden war immens.“ Als er an jenem dramatischen Montagmorgen das Hauptportal der Kirche öffnete, da habe er vor lauter Rauch kaum einen Meter weit sehen können. Kurz zuvor hatte ihn eine Passantin alarmiert, die aus einem der Chorfenster Rauch steigen sah. Schon gegen Mittag war das Feuer gelöscht, doch allein die Beseitigung der Rußschicht an den Wänden dauerte drei Monate. Und nicht weniger als sechs Wochen benötigte man für die Aufstellung des Gerüstes, das sich an den Wänden der dreischiffigen Backsteinbasilika abstützt.
Der giftige Gestank ist längst aus der Kirche gewichen und die aufwendige Putzaktion ist seit Monaten abgeschlossen. Doch noch immer gibt es Stellen, wo der schwarze Ruß zu sehen ist, weil er sich in den Backstein von Wänden oder Gewölben gefressen hat. „Den kann man nicht mehr entfernen“, sagt Hans Burger vom Brandenburgischen Landesamt für Denkmalpflege. Daher wird er übermalt mit roter Farbe wie die übrigen Gewölberippen.
Die Spezialfirma Belfor Brandsanierung hat gegen den Ruß viele Techniken ausprobiert, unter anderem auch ein Latex-Verfahren, bei dem eine spezielle Paste mit dem Pinsel auf Mauerteile aufgetragen wird. Die Paste härtet über Nacht aus und kann dann wie eine Folie mitsamt dem Ruß von der Wand abgezogen werden. Auf einem Video, das Pfarrer Giering aufgenommen und bei Youtube hochgeladen hat, kann man sehen, wie diese Methode in der Kirche angewendet wird. Doch bei weitem nicht überall konnte die Folien-Technik eingesetzt werden, oft half nur das mühsame Spachteln und Abkratzen der verrußten Farbschichten. Mehr als ein Dutzend Mitarbeiter waren daran beteiligt, darunter auch etliche Muslime aus dem Nahen Osten, die zur Spezialfirma gehören. In seinem Video bedankt sich der Pfarrer für „diese multikulturelle Hilfe“ im protestantischen Gotteshaus. Ähnlich aufwendig war die Putzaktion an den 41 Bleiglasfenstern, die innen mit einer klebrigen Rußschicht überzogen waren. Drei der Fenster mussten wegen ihrer strukturellen Schäden sogar ausgebaut und in einer Werkstatt gereinigt und saniert werden.
Schon vor dem Abschluss der Ruß-Aktion Ende August 2020 begannen nicht nur die Restauratoren mit der Reinigung des barocken Altars aus dem Jahre 1606, auch Denkmalpfleger Hans Burger kletterte nun häufiger auf das Gerüst. Dabei entdeckte er zwei Reste mittelalterlicher Gewölbemalereien, die zuvor nicht bekannt waren. Zumeist handelt es sich hier um Pflanzenornamente. Sie wurden dokumentiert und gesichert. Die Restauratoren reinigten auch die weiteren Malereien, darunter den großen Christophorus aus dem frühen 16. Jahrhundert in der Nordempore am Übergang zum Chorraum.
Die Kirchengemeinde hatte in zweifacher Hinsicht Glück im Unglück. Zum einen, dass sich der Schwelbrand auf die frühere Seitenkapelle an der Südseite des Chores beschränkte und nicht auf das Hauptschiff übergriff. So blieben fast alle Kunstschätze der Kirche vor den Flammen bewahrt. Es fielen zwar Glutteile aus der hölzernen Brüstung des Raums in den Chor, diese entzündeten indes lediglich ein Dutzend Stühle; der prächtige Altar fing nicht Feuer. Das zweite Glück besteht darin, dass der Brandschaden von etwa 1,4 Millionen Euro in vollem Umfang durch die Versicherungen Allianz und Ecclesia gedeckt wird. Der nächtliche Schwelbrand entstand nicht, wie man zunächst vermutete, durch einen Kurzschluss in der veralteten Elektrik, sondern weil im Laufe der Nacht die Hitze einer starken Lampe die hölzerne Brüstung entzündete.
Schon früher hatte man geplant, die elektrische Anlage zu erneuern, um sie auch für die vielen Kulturveranstaltungen, die es schon länger in der Kirche gibt, nutzen zu können. Nun muss und wird dies auch geschehen. Die Versicherung zahlt dafür zwar nicht, aber der Pfarrer ist zuversichtlich, etwa 400.000 Euro beschaffen zu können, um die Elektrik und andere Einbauten finanzieren zu können. Sein Optimismus gründet sich nicht in erster Linie darauf, dass Bund und Land sich an diesen Kosten beteiligen wollen, sondern auf der unerwartet großen Spendenbereitschaft, die Giering nach dem Feuer erlebte. Es kamen ziemlich schnell etwa 70.000 Euro zusammen; dazu zählte auch eine wenige Tage nach dem Brand zugesagte Zuwendung des Förderkreises Alte Kirchen in Höhe von 5.000 Euro. Besonders gefreut hat es Giering, dass auch eine Berliner Gemeinde 5.000 Euro überwies und selbst von kleinen Dorfkirchengemeinden 500 Euro kamen, die nicht gerade im Geld schwimmen.
Der Pfarrer nutzte auch die modernen Medien, um das bürgerschaftliche Engagement in Eberswalde zu wecken. Ein Beispiel dafür sind seine diversen Filme auf Youtube, die Blogs Maria-Magdalena, in denen er nicht allein den Gerüstbau und die Reinigung der Kirche erläutert, sondern auch archäologische Grabungen zeigt. So fand man auf der Empore über der sogenannten Brautkapelle, wo der Brand ausbrach, verschiedene Münzen aus dem siebzehnten Jahrhundert sowie Reste von Tabakspfeifen, Broschen und sogar Austernschalen aus späterer Zeit. Daraus schließen Archäologen, dass hier einst eine Loge für Ratsherren oder Adlige war, die während der Gottesdienste vielleicht etwas verzehrten.
Für seine digitalen Aktivitäten hat der Pfarrer eine simple Begründung: „Wenn die Leute nicht in die Kirche kommen können, muss die Kirche zu den Menschen gehen.“ Der Brand und Corona seien 2020 eine Katastrophe für die Gemeindearbeit gewesen, sagt Giering, auch wenn das Feuer durchaus mehr Interesse an der Kirche geweckt habe. „Früher zählte ich mitunter 300 Gläubige in der Maria-Magdalenen-Kirche, etwa zum Erntedank-Gottesdienst. In die Johanneskirche, die als Ausweichquartier diente, durften wegen Corona maximal 50 Personen. Die Kirchengemeinde hat 2.500 Mitglieder, sie schrumpft wegen der schlechten Altersstruktur, spürt also bisher nichts vom Zuzug junger Berliner nach Eberswalde.“
Trotz der Pandemie hat der Pfarrer die Hoffnung, dass die Maria-Magdalenen-Kirche dereinst wieder ähnlich gut besucht sein wird wie in der Vor-Corona-Zeit. Wird es im Sommer 2021 wieder Gottesdienste geben oder womöglich schon im Frühjahr? „Es wäre schön, wenn dies schon im Frühjahr möglich ist“, sagt Giering, „aber ich will öffentlich nichts versprechen, was womöglich nicht zu realisieren ist.