von Mechthild Noll-Minor

Letzte Chance für Renaissance-Malereien

Noch fehlen Mittel für die weitere Sicherung der Kirchenausstattung in Steinitz

Mechthild Noll-Minor ist Leiterin des Referates Restaurierung und Bauforschung am Brandenburgischen Landesamt für Denkmalpflege und Archäologischen Landesmuseum. Sie ist Restauratorin im Fachgebiet Wandmalerei/Architekturfarbigkeit, leitet Erfassungs- und Konservierungsprojekte und betreut Vorhaben an Baudenkmalen und deren Ausstattung.

Dorfkirche Steinitz, Luftaufnahme 2020; Foto: Mechthild Noll-Minor

Die spätgotische Dorfkirche in Steinitz (Landkreis Spree-Neiße), 15 Kilometer südlich von Drebkau, ist ein Rechteckbau aus Mischmauerwerk (älteste Dachkonstruktion dendrochronologisch datiert auf das Jahr 1454) mit imposantem Schaugiebel. Der schwere quadratische Westturm und ein nördlicher Anbau sind gegen Ende des 15. oder Anfang des 16. Jahrhunderts hinzugefügt worden. Raumprägend sind die zweigeschossige Hufeisenempore und die beidseitig im Chor sich anschließenden hohen Patronatslogen aus den letzten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts.

Außerdem hat der Sakralbau eine sehr spannende jüngere Vergangenheit, die stark mit dem Braunkohletagebau in der Lausitz zusammenhängt. Steinitz war lange Zeit auf der Liste der noch abzubaggernden Orte, um den Braunkohleabbau weiter vorantreiben zu können. Die Steinitzer hatten das Schicksal der Schwesterkirche im benachbarten Wolkenberg vor Augen, die mit dem gesamten Dorf noch in den 1980er und 1990er Jahren dem Braunkohletagebau weichen musste. Die dortigen Wandmalereien befinden sich heute im Museum in Spremberg. Die Kirche in Steinitz blieb stehen, weil der Tagebau kurz vor dem Ort Halt machte. Bereits zum Abriss für den Tagebau Welzow-Süd freigegeben, führte die Entscheidung eines veränderten Grubenverlaufs des Tagebaus 1993 zum Erhalt der Steinitzer Dorfkirche. Mit großem Engagement der Kirchengemeinde wurden Maßnahmen zur Sicherung der Kirche bereits in den 1990er Jahren ergriffen, die jedoch infolge der stark begrenzten Verfügbarkeit von Baustoffen und der geringen finanziellen Möglichkeiten einen eher temporären Charakter hatten. Durch den Bergbaubetreiber Vattenfall wurde eine Dokumentation mit dem Titel Die Feldsteinkirche zu Steinitz – vom Abriss verschont und doch nicht gerettet in Auftrag gegeben, die den hohen kulturellen und bauhistorischen Wert der Kirche aufzeigt.

Dorfkirche Steinitz, Innenraum 1998; Foto: Bernd Janowski

Die durch den Braunkohleabbau bedingte Perspektivlosigkeit führte zu jahrzehntelangem Leerstand und zu mangelndem Bauunterhalt. Schäden an der Dach- und Deckenkonstruktion, der Dachdeckung und dem Mauerwerk stellen bis heute eine Gefährdung des Bestandes dar. Es regnete hinein und die Ausstattung ist so gefährdet, dass die Deckenbemalung aus nachreformatorischer Zeit in großer Gefahr steht, verloren zu gehen. Dies konnte auch die lange Familientradition der „Schlüsselbewahrer“ nicht verhindern, die Vandalismus verhütet und für die Wiederanbringung des einen oder anderen Dachziegels gesorgt hat. Die Dringlichkeit von Sicherungsmaßnahmen wurde erkannt, und die Einwohnerinnen und Einwohner von Steinitz bemühen sich zusammen mit der Vattenfall-Nachfolgerin LEAG, der Stadt Drebkau, der evangelischen Kirchengemeinde und dem Landkreis Spree-Neiße um die nachhaltige Bewahrung der Kirche. Man ist sich einig, dass es nicht sein kann, dass dieser wertvolle Sakralbau – sozusagen als Nachwehe gestoppter Pläne – verloren geht. 

Ein Forschungsseminar der Fachgebiete Baugeschichte und Denkmalpflege der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus-Senftenberg trug mit einer umfassenden Dokumentation des Baus und von Teilen der überwiegend barocken Ausstattung wesentlich dazu bei, dass dieser bislang nur notgesicherte Ort der Tagebaugeschichte jetzt eine Perspektive erhält. Die Untersuchungen wurden 2019 in einem Arbeitsheft des Brandenburgischen Landesamtes für Denkmalpflege und Archäologischen Landesmuseums mit dem Titel Die Dorfkirche Steinitz (Niederlausitz) – Ergebnisse eines Forschungsseminars der BTU Cottbus veröffentlicht. 

Renaissancedecke mit gemalten Scheinkassetten und Blütenmotiven im Ostteil der Kirche; Foto: Dorothee Schmidt-Breitung

Es wurden Fördermittel des Landes Brandenburg (aus dem Programm „Denkmalhilfe“) zur Sicherung der Dachkonstruktion und Herstellung der Begehbarkeit der Dorfkirche Steinitz bewilligt. Die Zuwendung ist für die Instandsetzung des Dachtragwerks mit Dachdeckung sowie des angrenzenden Mauerwerks von Ost- und Westgiebel und der Traufgesimse vorgesehen. Die Sanierungsarbeiten an der Außenhülle erfordern jedoch eine fachgerechte Sicherung der wertvollen Ausstattung im Innenbereich noch vor Beginn der Baumaßnahmen. Davon sind besonders die bemalte Holzbalkendecke und die stark gefährdeten Wappenmalereien an den Emporen betroffen. Hier fördert die Ostdeutsche Sparkassenstiftung die Notsicherung der Wappenmalereien und die Konservierung der mit Scheinkassetten und Blumen bemalten Renaissance-Holzbalkendecke, die in das zweite Drittel des 16. Jahrhunderts datiert werden konnte. Nach gegenwärtigem Wissensstand ist eine Einordnung um 1520 bis 1540 denkbar – dies wird u. a. durch Vergleiche mit der Erstfassung von bemalten Decken in Schloss Colditz (Sachsen) gestützt. In Brandenburg sind erhaltene Raumfassungen aus dieser Zeit sehr selten und daher außerordentlich wertvoll!

Blick zum Orgelprospekt; Foto: Dorothee Schmidt-Breitung

In regelmäßigen Abständen sind mittelalterliche Weihekreuze im Sockelbereich der Wände erkennbar. Bei den übrigen Wandmalereibefunden handelt es sich wahrscheinlich um Malerei der Renaissancezeit: Am östlichen Ende der Südwand, in der Nische eines Wandschranks, sind ein skizziertes Pferd und einander teilweise überlagernde Notizen und Sprüche in Kohle, Rötel sowie eine mit dem Pinsel in Schwarz ausgeführte flüchtige Inschrift zu sehen.

Die Wandmalerei an der Nordwand in der heutigen Patronatsloge zeigt einen Reiter und eine Gestalt mit einer Kreuzesfahne. Zu dieser Gestaltung gehört eine rahmende Gliederung mit kannelierten Säulen, die um die Tür zur Loge nachgewiesen wurde. Beim Reiter handelt es sich um eine Darstellung des heiligen Georg zu Pferde, daneben führt die Königstochter (mit Krönchen auf dem Kopf und langem Kleid) wohl den Drachen am Band und trägt eine Standarte mit Kreuzfahne. Die Darstellungen sind fragmentarisch erhalten und nur grob sondierend freigelegt. Durch eine sensible Nachfreilegung würde die Szene besser erkennbar.

Sowohl die Weihekreuze als auch das Pferd und die Inschrift in dem Wandschrank liegen ohne weitere Grundierung direkt auf dem Putz, während die Darstellung auf der Nordwand als Seccomalerei auf einer Kalktünche ausgeführt wurde. Das Pferd in der Nische wurde mit dem Pinsel flüchtig skizziert, während Pferd und Reiter auf der Nordwand sorgfältig gemalt wurden. Vergleiche mit der abgenommenen Wandmalerei aus der abgebrochenen Kirche von Wolkenberg liegen nahe. Die zeitliche Einordnung der Wandmalerei in das erste Drittel des 16. Jahrhunderts wird durch Vergleiche der Darstellung des Pferdes mit Radierungen von Albrecht Dürer gestützt. 

Diese kunsthistorischen Bezüge sowohl der Bemalung der Holzbalkendecke als auch der Wandmalerei auf der Nordwand weisen darauf hin, dass in der Kirche Steinitz eine für Brandenburg überregional bedeutende und außerordentlich umfangreich und gut erhaltene Ausstattungsphase des frühen 16. Jahrhunderts vorliegt, deren Sicherung und Erhaltung dringend erforderlich ist.

Im November des letzten Jahres haben Restauratoren mit der Konservierung der Farbfassung auf den Emporen und auf der Renaissancedecke im Ostteil der Kirche begonnen. Im Frühjahr 2021 sollen die Baumaßnahmen zur Sicherung der Dachkonstruktion und Reparatur bzw. Neudeckung des Daches sowie bauliche Sicherungsmaßnahmen vor allem am Ostgiebel, an einem statisch zu sichernden Pfeiler und an der Traufe erfolgen.

Abgebauter Kanzelaltar, Bekrönung des Kanzelkorbes; Foto: Holger Herschel

Während die Renaissancedecke im Ostteil der Kirche in diesem Jahr konserviert und holztechnisch ergänzt werden kann, fehlen Gelder für die weiterführende Restaurierung der Wappenmalerei an den Emporen und für die Konservierung und Restaurierung der Wandmalereien!

Der ehemalige Kanzelaltar der Kirche mit seiner fein differenzierten klassizistischen Fassung ist abgebaut in Einzelteilen in der Kirche gelagert. Eine erste Erfassung des Kanzelaltares ist erfolgt – weitere Sicherungsmaßnahmen sind dringend erforderlich! Auch der Orgelprospekt ist in einem traurigen Zustand und müsste dringend gesichert werden! 

Entscheidend für die Nachhaltigkeit aller Rettungsmaßnahmen ist, dass nicht nur die notwendige Finanzierung gewährleistet ist, sondern, dass dieser Kirchenbau wieder als Zentrum für die Einwohnerinnen und Einwohner des Dorfes im sakralen und profanen Sinne dient: 

Die Lausitz soll zu einer „Europäischen Modellregion für den Strukturwandel” ausgebaut werden – das geht nicht ohne die Bewahrung des wertvollen Bestandes an Bau- und Kunst- sowie technischen Denkmalen! Eine nachhaltige Zukunft baut auf der Vergangenheit auf, deren sichtbare und erlebbare Zeugnisse sie für uns lebendig halten. Ohne zeitnahe fachliche Restaurierungsarbeiten ist neben dem drohenden Verlust der wertvollen Deckengestaltung und Wandmalereien auch die zukünftige Nutzung des Kirchenbaus in Gefahr. Sollte keine Konservierung stattfinden, muss die Kirche dauerhaft gesperrt werden. 

Wir alle müssen in unserer Gesellschaft etwas dafür tun, damit nicht nur dieser Sakralbau, sondern die Lausitz eine Zukunft hat.

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