von Ralf-Günther Schein

Das einsame Sterben Christi

Zwei Monumentalgemälde Willy von Beckeraths in der Dorfkirche Löwenberg (Oberhavel)

Pfarrer Ralf-Günther Schein ist Beauftragter für die Kunst in den Kirchen des Kirchenkreises Oberes Havelland.

Gemälde „Kreuzigung“ von Willy von Beckerath; Foto: Katrin Karras

Es war am Weihnachtsfest 1931, als der Maler Willy von Beckerath einen Brief an seinen Freund, den Hamburger Medizinprofessor Hans Much, schrieb. Darin kündigte er zwei große Geschenke an, die Gemälde „Die Predigt des Johannes“ von 1907 (5,90 m x 4 m) und eine „Kreuzigung“ von 1910 (5,50 m x 3 m): Es würde mich freuen, wenn die Bilder in der Kirche deiner Heimat einen würdigen Platz fänden. Einmal sind sie ja nicht gemalt worden, um ewig im Magazin verborgen zu liegen; was sie auch nicht verdienen, denn es sind gute Bilder; und dann sind sie für einen Monumentalbau auch gut geeignet.

In einem Dankesbrief vom Löwenberger Gemeindekirchenrat an Professor Much, der auch Beckerath gilt, heißt es unter anderem: Es ist uns eine große Freude und Ehre, den Gemälden eines so berühmten Meisters in unserem Gotteshaus einen würdigen Platz schaffen zu dürfen und wir schulden Ihnen immerwährenden Dank, daß Sie durch diese selbstlose Gabe dazu beitragen, den Ruhm unserer Kirche wieder herzustellen.

Hans Much war der Sohn des ehemaligen Löwenberger Pfarrers Karl Much, der von 1882 bis 1922 in Löwenberg wirkte. Die alte Löwenberger Kirche war 1808 abgebrannt. Nach dem Wiederaufbau war der alte Ostchor vom Hauptschiff durch eine Mauer getrennt worden. Pfarrer Much wollte dies rückgängig machen, und mit Hilfe seines Sohnes, der in Hamburg viele Kontakte zu Künstlern hatte, wurde geplant, dass der impressionistische Maler Gustav Gildemeister den Ostchor neu ausmalt. Doch Gildemeister fiel 1915 im Ersten Weltkrieg. Hans Much – ein Weltbürger, Schriftsteller, Kunstliebhaber und als Wissenschaftler an der Entwicklung der „Spalt Schmerztablette“ beteiligt – erzählte von den gescheiterten Plänen des Vaters in seinem Freundeskreis, zu dem auch Beckerath gehörte.

Dorfkirche Löwenberg; Foto: Stefan Determann

Willy von Beckerath, der heute fast vergessen ist, wurde 1868 in Krefeld geboren. Seine Familie war eng mit dem Komponisten Johannes Brahms befreundet, den Beckerath mehrmals zeichnete und malte. Beckerath studierte an der Kunstakademie Düsseldorf, war dann in Düsseldorf, München und Dresden tätig (zuweilen auch als Architekt). In Dresden gehörte er zu den Mitbegründern der späteren „Deutschen Werkstätten für Handwerkskunst Hellerau“, die eine Reformsiedlung mitprägte. Von 1907 bis 1930 war Beckerath Professor für Monumentalmalerei an der Kunstgewerbeschule Hamburg-Lerchenfeld. Dort entstand eines seiner Hauptwerke im Stil des Symbolismus: „Die ewige Welle“. In diesem Bilderzyklus wird der Aufstieg und Fall einer Kulturepoche dargestellt. Beckerath starb 1938 im bayrischen Irschenhausen im Isartal. 

Hans Much versprach den Löwenbergern Hilfe bei der Sanierung des Ostchores. Er sammelte Geld und knüpfte mit dem Nachfolger seines Vaters im Pfarramt Kontakte, suchte Sponsoren für den Umbau und für die Hängung der Bilder. In Löwenberg gab es aber vereinzelt auch kritische Stimmen. Vermutlich sorgten auch die entblößten Gestalten auf den Gemälden für Bedenken.

Beckerath hatte im März 1932 einige Hinweise zur Deutung der „Kreuzigung“ gegeben: Es war mein Bestreben, das einsame Sterben Christi darzustellen… nur rohe Henkersknechte umgeben ihn … einziges tröstliches Element … ist der gläubig gewordene Mörder, der sich Christus zuwendet. Die Henkersknechte würfeln um die Kleider Jesu – dabei hält sich einer das Ohr zu, weil ihn das Schreien Christi stört … auch die heftigen Farbkontraste haben für mich den Charakter des Dramatisch-Leidenschaftlichen… Beckerath stellte also im wahrsten Sinne des Wortes die nackte Gewalt dar, die Christus erleidet und trägt. Er schreit seinen Schmerz in den Himmel und befiehlt sich in Gottes Hände. Die Nacktheit auf dem Bild der „Johannespredigt“ hat vermutlich einen anderen Hintergrund: Sie muss vor allem im Zusammenhang mit der Buße und dem damit verbundenen „Ablegen des alten Lebens“ verstanden werden. Unter der Vergebung kann das Leben neu und heilsam bekleidet werden. Für einen Symbolisten wie Beckerath sind wohl immer auch mehrere Deutungen möglich.

1932 gab es dann für das Projekt einen herben Rückschlag. Sehr überraschend starb Hans Much. Der Gemeinde fehlte ohne seine Mithilfe das Geld für einen Umbau. Der Zeitgeist änderte sich, und Themen, die Beckerath in seinen Bildern anspricht, hatten nach 1933 wenig Platz in einer Gesellschaft, die Mitleidlosigkeit und Stärke favorisierte. Die Kriegsjahre ließen die Gemälde in Vergessenheit geraten. Auch nach dem Krieg war anderes wichtiger und im Ostchor wurde eine Winterkirche mitsamt Gemeindeküche und Toilette eingebaut. Heute werden die Räume nur noch selten genutzt.

Gemälde „Die Predigt des Johannes“ von Willy von Beckerath; Foto: Ralf-Günter Schein

Seit wenigen Jahren gibt es von einem „Beckerath-Freundeskreis“ Überlegungen, nun endlich den Ostchor für die Bilder herzurichten. Die Gemälde liegen eingerollt und in Kisten verpackt auf der Empore der Löwenberger Kirche. Als man sie Anfang 2019 entrollte, wurden viele Schäden an den Bildern sichtbar. Nach Aussagen eines Restaurators besteht dringender Handlungsbedarf. Der Löwenberger Gemeindekirchenrat zögert, wegen anderer wichtiger Baumaßnahmen (Kirchendach, Glocken), das Projekt „Ostchor“ anzugehen. Der Umbau und die Restaurierung der Bilder würden etwa 130.000 Euro kosten. Es werden darum dringend Sponsoren gesucht, um die Löwenberger Kirche wieder zu einem besonderen Ort zu machen. 

Löwenberg ist ein Verkehrsknotenpunkt und hat 1945 auch den Todesmarsch von Häftlingen des KZ Sachsenhausen erlebt. Dies könnte thematisch mit den Beckerath-Bildern verknüpft werden: Mit der „Kreuzigung“ die Erfahrung von nackter Gewalt und Leid; mit der „Johannespredigt“ der Ruf zur Umkehr und zur Neubesinnung. Diese Bilder wären mit der Aufhängung im Ostchor der Löwenberger Kirche eine Sensation in der Brandenburger Kirchenlandschaft. Die Größe der Gemälde, die Ausführung im Stil des Symbolismus und zum Teil des Pointillismus machen sie als Bilder für einen Kirchenraum einmalig. Der neu gestaltete Ostchor – der auch separat zu begehen ist – könnte für besondere Gemeindeveranstaltungen genutzt werden, zum Beispiel für Gedenkveranstaltungen zum „Todesmarsch“ und für die Verkehrstoten. Er könnte ein Raum sein für Passionsandachten, Bußgottesdienste und Musikveranstaltungen. Die Löwenberger Kirche könnte so vor allem für Autofahrer und Fahrradtouristen als eine „Kirche am Weg“ zu einem besonderen Anziehungspunkt werden.

Vorheriger Beitrag
Wenn die Gruft sich öffnet

Sepulkralarchäologen über die Schulter geschaut Andreas Flender ist ehrenamtlicher Baubeauftragter der evangelischen Kirchengemeinde Havelländisches Luch und Regionalbetreuer des Förderkreises Alte Kirchen Berlin-Brandenburg e. V. für den Landkreis Havelland. In den […]

von Andreas Flender

Nächster Beitrag
Ein Förderverein, gute Handwerker und viel Unterstützung

Die Sanierung der Dorfkirche in Breitenfeld (Prignitz) Jorinde Bugenhagen ist Architektin und setzt sich seit 20 Jahren beruflich und auch ehrenamtlich für den Erhalt von Denkmalen ein. Seit 2008 ist […]

von Jorinde Bugenhagen