von Rudolf Bönisch

Bildreliefs nach Antwerpener Vorbildern

Der Renaissancealtar in Schönfeld braucht Hilfe

Rudolf Bönisch ist Diplom-Geologe. Er war seit 1992 Initiator und Leiter zweier internationaler Orgelmusikreihen in der Niederlausitz. Seit acht Jahren beschäftigt er sich mit sakralen Bildwerken in Ostund Mitteldeutschland und kann auf eine zahlreiche Publikationstätigkeit verweisen.

Der Altaraufsatz in Schönfeld; Fotos: Bernd Janowski

Die Dorfkirche zu Schönfeld (Uckermark) im äußersten Nordosten des Landes Brandenburg ist ein stattlicher Feldsteinbau aus der 2. Hälfte des 13. Jahrhunderts. In der Apsis steht ein prächtiger hölzerner Altaraufsatz vom Anfang des 17. Jahrhunderts. Doch der reich geschnitzte und farbig gefasste Renaissancealtar mit seinem herausragenden Bildprogramm braucht Hilfe. 

Kupferstich „Letztes Abendmahl“ von Hieronymus Wierix nach Marten de Vos, verlegt von Hans von Luyck (Rijksmuseum Amsterdam RP-P-OB-68.129)

Der Schönfelder Altaraufsatz hat einen dreigeschossigen Aufbau. Über dem Spruch „Kommet her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid!“ in der Breite der Mensa zeigt die Predella ein zentrales Abendmahlrelief mit den zwölf Jüngern. Christus setzt das Abendmahl mit Brot und Wein ein, nachdem das auf dem Tisch stehende Passahlamm verspeist worden ist. Aus der Haltung, den Gesten und den mit feinem Pinsel gemalten Gesichtern der Apostel ist die Frage nach dem Verräter unter ihnen klar ersichtlich: Judas mit dem Geldbeutel als Zeichen für den Lohn des Verrats versucht sich von der Tischgemeinschaft zu entfernen. Die beiden Holzreliefs neben dem Abendmahl stellen auf den ersten Blick die Austeilung des Abendmahls in beiderlei Gestalt und die evangelische Beichte dar. Beim näheren Hinschauen zeigt das rechte Bild nicht nur die damalige Bekleidung des Priesters – so eigenartig seine Latschen an den Füßen sein mögen –, sondern auch das Trinken des Weins aus dem Kelch mit einem Röhrchen (wer denkt da heute nicht gleich an Corona?). Auf dem linken Relief ist die Beichte zu sehen. Deutlich wird, dass die frühen evangelischen Beichtstühle keine Gitter zwischen Priester und Beichtendem kannten. Der reich verzierte Stuhl ist typisch für das Mobiliar der Renaissance. Zugleich erlauben beide Reliefs einen Blick auf die noch um 1600 verwendete reiche liturgische Gewandung. 

An zentraler Stelle des zweiten Geschosses steht Christus am Kreuz mit den beiden Assistenzfiguren Maria und dem Lieblingsjünger Johannes in Form der Triumphkreuzgruppen aus mittelalterlicher Zeit. Auf dem Bild links empfängt Mose von Gott die Zehn Gebote. Die Darstellung mit den vor ihm liegenden ersten drei Geboten und den in der Hand gehaltenen Gebotstafeln IV bis X dürfte äußerst selten sein. Gegenüber dem mit „Das Gesetz ist durch Moses gegeben.“ unterschriebenen Bild steht auf der rechten Seite das mit „Die Gnade u. Wahrheit ist durch Jesum Christum geworden.“ beschriftete Relief mit der Taufe im Jordan. Die beiden Figuren, Mose für das Alte und Johannes der Täufer für das Neue Testament, sollen noch mehr als hundert Jahre lang viele barocke Altaraufsätze bzw. Kanzelaltäre in protestantischen Kirchen zieren. 

Holzrelief der zeitgenössischen Austeilung des Abendmahles um 1600
Holzrelief der zeitgenössischen Abnahme der Beichte um 1600

Das Relief im dritten Geschoss, die Auferstehung Christi, wird von den Figuren der Evangelisten Matthäus mit dem Engel und Markus mit dem Löwen begleitet. Ob ursprünglich auch die beiden weiteren Evangelisten Lukas und Johannes dargestellt waren, ist nicht sicher. Diese könnten aber als Freifiguren auf dem Hauptsims rechts und links gestanden haben. Über den Evangelisten stehen die Figuren von Pelikan und Phönix symbolisch für das Selbstopfer Jesu. Der Pelikan verzehrt sich der Legende nach selbst, damit sein Nachwuchs lebt. Der Phönix stirbt durch das Feuer und wird aus seiner Asche neu geboren. Den oberen Abschluss des Altaraufsatzes bildet ein großes Kreuz mit zentraler Strahlenglorie. Die davor knieenden und aufschauenden Männer weisen darauf hin, dass an dieser Stelle bauzeitlich wohl ein in den Himmel aufsteigender Christus vorhanden war, möglicherweise am Haken in der Apsisdecke schwebend … 

Darstellung des Gekreuzigten mit Maria und Johannes

Die Betrachtung von sakralen Bildwerken verlangt eine Ermittlung zur Herkunft der Bildmotive. Es ist bekannt, dass die meisten Gemälde und Reliefdarstellungen an Altären, Kanzeln, Taufen, Epitaphien, Beichtstühlen und Emporenbrüstungen nicht von den ausführenden Künstlern entwickelt wurden. Bis auf sehr wenige Ausnahmen haben die Maler und Bildhauer auf druckgraphische Vorlagen zurückgegriffen – so auch für den Altaraufsatz in Schönfeld. Und wenn schon der ausführende Holzbildhauer nicht bekannt ist, so können für vier Motive die Druckgraphiken einwandfrei nachgewiesen werden. Aber auch für die übrigen Schnitzwerke und Figuren dürfte es Vorlagen gegeben haben. Sie aufzufinden ist schwierig. So gibt es oft nur noch wenige Exemplare davon in den Kupferstichkabinetten Europas oder in privaten Sammlungen. Wenn diese Graphiken digitalisiert wurden und im Netz stehen, ist es nur eine Fleißarbeit, die zu den betreffenden Kunstwerken passenden Holzschnitte und Kupferstiche aus der riesigen Zahl herauszufinden. Inzwischen gibt es auch Verzeichnisse mit den Abbildungen der Druckgraphiken. Aber auch in diesen inzwischen annähernd 330 umfangreichen Bänden ist die Suche nach den einzelnen Illustrationen nicht einfach und kann wegen der geringen Verfügbarkeit dieser wertvollen Bände nur in den großen Bibliotheken erfolgen. 

Holzrelief der Auferstehung von Christus

Beim Altaraufsatz von Schönfeld gestaltete sich die Suche vergleichsweise einfach, wobei bisher nur für 50 Prozent der Bildwerke die Vorlagengraphiken nachzuweisen sind. Interessanterweise fanden sich die vom Bildhauer genutzten Druckgraphiken für die vertikale Hauptbildreihe des Schönfelder Altaraufsatzes in einer Stichserie. Die drei Illustrationen des Abendmahles, des Gekreuzigten mit Maria und Johannes sowie des Auferstandenen wurden zusammen mit zwölf weiteren Illustrationen vom flämischen Maler Marten de Vos (1532-1603) entworfen. Hieronymus Wierix hat diese Zeichnungen in Kupfer gestochen, die dann von Hans van Luyck verlegt wurden. Sie besitzen sämtlich eine Signatur und wurden nochmals anonym nachgestochen. Diese Nachstichserie ist zunächst ebenfalls von Hans van Luyck und später von Claes Janszoon Visscher verlegt worden. Offenbar waren die Stiche begehrt und mussten so in weiteren Auflagen erscheinen.

Interessant ist ein Vergleich der Details am Schönfelder Altar mit den Vorlagen.

Der hochrechteckige Stich des letzten Abendmahles wurde vom Bildhauer zu einem querrechteckigen Reliefbild umgestaltet. Dabei verzichtete er auf die Tiefenwirkung des Raumes und auf die Figur des Speisen herantragenden Dieners, schmückte aber das Tischtuch und eine Sitzdecke mit schönen Fransen. Christus segnet im Stich den für diese Illustration charakteristisch hohen Kelch. Auch wenn im Relief die Kuppa des Kelches und die Finger von Christus nicht mehr vorhanden sind, könnte beides bei einer Restaurierung anhand des Stiches gut ergänzt werden, da das Relief eine annähernd buchstabengetreue Kopie des Kupferstiches von Hieronymus Wierix ist.

Kupferstich „Kreuzigung“ von Hieronymus Wierix nach Marten de Vos, verlegt von Hans von Luyck (Rijksmuseum Amsterdam RP-P-OB-68.138)
Kupferstich „Auferstehung von Christus“ von Hieronymus Wierix nach Marten de Vos, verlegt von Hans von Luyck (Rijksmuseum Amsterdam RP-P-OB-68.142)
Holzrelief der Taufe von Christus

Die Darstellung des Gekreuzigten ist schlicht wie der betreffende Kupferstich, allerdings sind das Lendentuch und die Beinhaltung gegenüber der Vorlage verändert worden. Die Haltungen und Kleidung von Maria und Johannes wurden vom Schnitzer detailliert übernommen. Auf die Nimben hat er allerdings verzichtet. Ob der regenbogenartige Grund hinter den drei Figuren original ist, dürfte zu bezweifeln sein. Aber eine restauratorische Prüfung könnte feststellen, ob die dunklen Wolken zur Sterbestunde von Christus über der Stadt Jerusalem, die auf dem Stich zu sehen sind, einbezogen worden waren.

Der aus dem geschlossenen Grab auferstandene Christus wurde samt Umhang und Stab des Siegesfähnchens vom Kupferstich buchstäblich übernommen. Die Ersetzung des Kreuzes auf dem Fähnchen durch das Nomen sacrum IHS tritt bei derartigen Bildwerken äußerst selten auf. Die beiden Wachsoldaten sind andere als im Kupferstich. Ob diese von einer anderen Bildvorlage stammen oder frei geschnitzt wurden, lässt sich derzeit noch nicht sagen. 

Kupferstich „Taufe von Christus“ on Jan Sadeler nach Maarten de Vos, 1582 – 1584 (Rijksmuseum Amsterdam RP-P-OB-5288)

Eine sehr getreue Nachbildung eines Kupferstiches ist das Taufrelief. Das in zwei Teilplatten gestaltete wunderbare Relief rezipiert einen Kupferstich, der wiederum nach einem Entwurf von Marten de Vos gestochen wurde. Dieser stammt jedoch aus einer anderen Stichserie. In den Jahren 1582 bis 1584 stach Jan Sadeler eine neben dem Titelkupfer nur fünf Stiche umfassende Reihe nach Vorlagen von de Vos. Diese kleine Stichserie wurde auch von Jan Sadeler verlegt. Nicht nur die interessante Landschaft am Ufer des Jordan, sondern auch die Körper von Johannes dem Täufer und Christus sowie die Taube des Heiligen Geistes in einem Wolkenloch und die weiteren Täufer und Täuflinge im Hintergrund sind sehr genau vom Stich übernommen, auch wenn auf so manch anderes Detail verzichtet wurde. Das Lendentuch Christi und sein am Ufer liegender Umhang, der auf anderen Stichen zur Taufe von Engeln gehalten wird, wurden vom Bildhauer bzw. Maler zu einem Kleidungsstück umgedeutet. 

Dieser farbenfrohe Renaissancealtar ist nicht nur ein wunderbares Beispiel zeitgenössischer protestantischer Glaubenspraxis in der Uckermark um 1600, sondern steht auch exemplarisch für die umfassende Nutzung von druckgraphischen Vorlagen – in diesem Fall ausschließlich aus Antwerpen. Die Restaurierung, mit der sicherlich eine eingehende Erforschung des noch überwiegend erhaltenden Originalzustandes und der originalen Beschriftungsfelder einhergehen wird, kann diesen Altar, einen wichtigen sakralen Ausstattungsgegenstand einer Dorfkirche und gleichzeitig ein bedeutendes Kunstwerk der frühen nachreformatorischen Zeit, neu erstrahlen lassen. Diesem Projekt kann man nur ein gutes Gelingen wünschen.

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