von Dr. Torsten Heidecke und Judith Auer

Bald kein Wurm (mehr) drin

Die Bekämpfung des Holzwurms in der Dorfkirche Melzow

Innenraum der Dorfkirche Melzow, Foto: Leo Seidel

Das uckermärkische Dorf Melzow liegt etwas erhöht inmitten der bewegten Endmoränenlandschaft östlich des Ober-uckersees. Wie in anderen Orten der Region auch, prägt die Feldsteinkirche aus dem 13. Jahrhundert mit ihrem holzverkleideten westlichen Dachturm das Ortsbild.

Seit 2002 wurden in der Kirche grundlegende Sanierungsarbeiten durchgeführt. Beginnend mit einer umfassenden Dachsanierung wurden in der Folgezeit der Renaissance-Altar restauriert und das Gestühl aus dem 17. Jahrhundert aufgearbeitet. Dank umfangreichen bürgerschaftlichen Engagements im Förderverein, der unter anderem eine über die Grenzen der Uckermark hinausreichende Konzertreihe etablierte, sowie durch Spenden und Fördermittel konnte der Orgel der Firma Lang und Dinse aus dem Jahr 1859 ihre wunderbare Stimme wiedergegeben werden, und 2014 erhielt die Melzower Kirche sogar eine in Lauchhammer neugegossene Glocke, da die alte zu Kriegszwecken eingeschmolzen worden war.

Wie in vielen anderen Kirchen wurde auch in Melzow hauptsächlich im Frühjahr immer wieder Holzmehl an verschiedenen Stellen gefunden. Bei diesen Bohrmehlhäufchen handelt es sich um den Kot des Gemeinen Nagekäfers (Anobium punctatum), auch Holzwurm genannt. An die Holzoberfläche gelangt dieses Bohrmehl jedoch erst dann, wenn räuberische Larven, z. B. die des Fellkäfers (Korynetes caeruleus), bei der Jagd auf Holzwürmer letzteren in ihren Fraßgängen nachstellen und dabei deren Fraßmehl aus dem Holz schieben. Den eigentlichen Schaden richten die Nagekäferlarven an, indem sie sich vom Holz ernähren, mit ihren Ausscheidungen, dem Bohrmehl, die Fraßgänge verstopfen und beim Ausflug der erwachsenen Käfer die typischen Ausbohrlöcher hinterlassen.

Deshalb entschied sich die Kirchengemeinde, eine Bekämpfung einzuleiten. Die derzeit üblichen Verfahren bergen Vor- und Nachteile. Der Einsatz von Holzschutzmitteln wurde abgelehnt, da diese seit dem Hylotoxverbot aufgrund bekannter Umweltrisiken umstritten sind. Ähnliches gilt für Begasungen mit hochgiftigen Produkten; hier kommt noch der Kostenfaktor hinzu. Warmluftbehandlungen sind abgesehen vom Energieverbrauch zwar ökologisch unbedenklicher, stehen aber im Verdacht, sich negativ auf die Kunstwerke und Orgeln auszuwirken.

Neu hingegen ist die Möglichkeit einer biologischen Schädlingsbekämpfung. Neben den oben erwähnten Fellkäfern gibt es noch eine Reihe anderer Tiere, die als sogenannte biologische Gegenspieler Nagekäferlarven nachstellen. Diesen Aspekt hat unser bundesweit tätiges Schädlingsbekämpfungsunternehmen aufgegriffen. Es wurde ein Verfahren entwickelt und patentiert, mit dem durch wiederkehrende Ausbringung von Schlupfwespen (Spathius exarator) Holzwurmlarven parasitiert und bekämpft werden können. 

Schlupfwespe; Foto: APC

Dabei durchbohren die ca. 5 mm kleinen Weibchen dieser Art mit ihrem körperlangen Legebohrer die Holzoberfläche und lähmen die Nagekäferlarve durch einen Stich. Anschließend legen sie mittels ihres Legestachels ein Ei auf den paralysierten Holzwurm. Nach wenigen Tagen schlüpft eine Wespenlarve aus dem Ei und ernährt sich von der gelähmten Holzwurmlarve. Ist die Larvalentwicklung abgeschlossen, verpuppt sich die Wespe an Ort und Stelle und schlüpft später als ausgewachsene Wespe durch ein kleines Loch ins Freie. Dort verpaaren sich die ausgewachsenen Schlupfwespen erneut. Es entsteht ein Schneeballeffekt, bei dem immer neue Holzwürmer parasitiert werden und dadurch absterben. 

Aufgrund der klimatischen Verhältnisse in Deutschland werden diese Nützlinge in Kirchen nur in den Sommermonaten freigelassen, so dass eine solche Maßnahme über drei bis vier Jahre läuft.

Von der Kirchengemeinde Melzow wurde beschlossen, diese umweltschonende Methode gegen den Holzwurm einzusetzen. Zusätzlich zu der Ausbringung der Nützlinge in regelmäßigen Abständen über eine Dauer von drei Jahren mit durchgehendem Monitoring und Wirksamkeitsnachweis wurden vorab ein Bioschnelltest durchgeführt und entsprechende Jahresberichte erstellt. Seit 2018 wurden somit über 6.600 Schlupfwespen ausgebracht. Durch die parallele Anlage von Referenzflächen in der gesamten Kirche wurde die Schlupfrate von Holzwürmern und Schlupfwespen erfasst, gegenübergestellt und als sogenannte Parasitierungsrate ins Verhältnis gesetzt. 

Schlupfwespen reagieren sehr sensibel auf toxische Holzschutzmittel, die in der Vergangenheit (eventuell) ausgebracht wurden. Deshalb wird bei jedem Projekt zuvor ein Bioschnelltest durchgeführt. In der Kirche in Melzow fiel dieser negativ aus und bewies dadurch, dass sich die ausgebrachten Schlupfwespen ungestört entwickeln können. 

Im Verlauf der ersten drei Behandlungsjahre (2018 bis 2020) wurden Parasitierungsraten zwischen 32 und 53 Prozent ermittelt. Damit ist die Parasitierung der Nagekäfer zwar in vollem Gange, jedoch noch nicht abgeschlossen. Es wurde deshalb vereinbart, die Bekämpfung um ein weiteres Jahr zu verlängern.


Die Schlupfwespe

Sie soll den Anobien den Garaus machen: 
Sie lokalisiert die Anobienlarve von außen. Mit ihrem Legestachel sticht sie durch das Holz und lähmt die Larve (A). Auf die gelähmte Larve legt sie ihr Ei (B). Die Larve des Nützlings schlüpft und ernährt sich von der Anobien-Larve (C). Die Anobien-Larve 
stirbt ab (D). Spathius verpuppt sich und fliegt als fertige Schlupfwespe ins Freie. Ihr Ausflugloch misst etwa 0,5 Millimeter, im Vergleich zu zwei Millimeter Ausflugloch der Anobie. Die junge Schlupfwespe sucht eine (neue) Wirtslarve zur Eiablage (E).

Durch eine biologische Schädlingsbekämpfung kann im Allgemeinen keine vollständige Tilgung des Befalls erreicht werden. Je geringer der Schädlingsbefall wird, desto schwieriger wird es für die eingesetzten Nützlinge, Eiablagemöglichkeiten zu finden und den Schädling komplett zu verdrängen. Letztendlich würden die Nützlinge dann ohne weitere Freilassungen aussterben. Um das bisher Erreichte nicht zu gefährden, werden deshalb die Referenzflächen auch nach Abschluss der Bekämpfung weiter beobachtet. Sie gelten als sicherer Weiser für einen möglichen erneuten Anstieg der Population der Nagekäfer. Es besteht die Möglichkeit, auch zukünftig ein- bis zweimal jährlich Schlupfwespen auszubringen. Mit dieser „Erhaltungsdosis“ kann auch zukünftig einem Erstarken der Anobien entgegengewirkt werden und sich auch weiterhin eine kleine Restpopulation der Schlupfwespen (Spathius exarator) innerhalb der Kirche etablieren. Damit wird die Voraussetzung geschaffen, die Kulturgüter der Melzower Kirche schonend und bei überschaubaren Risiken für die nächsten (menschlichen) Generationen zu erhalten und zu bewahren. Die Belästigung der Kirchenbesucher durch eine „Wespeninvasion“ ist nicht zu befürchten, da die erwachsenen Nützlinge sehr versteckt am Holz und deren Larven direkt im Holz leben. Auch stellen sie keinerlei Gefahr für den Menschen durch Stiche oder ähnliches dar. Die häufig geäußerte Befürchtung, dass durch die Wespen ein Schaden am Holz entstehen könnte, kann einfach widerlegt werden: der eigentliche Schaden entsteht ganz verborgen durch die Fraßtätigkeit der Holzwurmlarven im Inneren des Holzes und hört in dem Moment auf, wo ein Wespenweibchen eine Holzwurmlarve mit ihrem Legebohrer lähmt – und damit bald nicht mehr „der Wurm drin isst“.

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