von Uwe Donath

Zerstörung und Neubeginn

Eine Spurensuche im Oderbruch

Uwe Donath ist Mitglied im Vorstand des Förderkreises Alte Kirchen und als Regionalbetreuer zuständig für die Landkreise Märkisch Oderland und Oder-Spree.

Foto: Horst Drewing
Ruine der Dorfkirche Carzig

In seinen „Wanderungen“ berichtet Theodor Fontane von einem Besuch der Seelower Höhen: „Die Feuchte des Bruches liegt dann wie ein Schleier über der Landschaft, alles Friede, Farbe, Duft, und der ferne, halb ersterbende Klang von dreißig Kirchtürmen klingt in der Luft zusammen, als läute der Himmel selber die Pfingsten des nächsten Morgen ein.“

Foto: Horst Drewing
Ruine der Dorfkirche Ortwig

Heute würde der märkische Wanderer viele der damaligen Kirchtürme vermissen. Die schweren Kämpfe am Ende des Zweiten Weltkrieges hinterließen vielerorts Ruinenlandschaften und die Sorge der in ihre Dörfer zurückkehrenden Menschen galt zuerst der Reparatur ihrer Häuser, wofür auch Baumaterial von beschädigten Kirchengebäuden entnommen wurde.

Aber schon bald fanden viele Gemeinden Mittel und Wege, trotz politischer Hemmnisse ihre Dorfkirche wieder herzustellen, zumindest in vereinfachter Gestalt. Zum Beispiel begann die Gemeinde in Sachsendorf bereits in den ersten Nachkriegsjahren mit einem Wiederaufbau in reduzierter Form, den sie unter größten Anstrengungen 1955 abschließen konnte. Erinnert sei an Kienitz; in dem schwer zerstörten Dorf wurde die zum Abriss vorgesehene Kirchenruine ab 1951 neu errichtet. Spenden der evangelischen Bruderkirchen ermöglichten einen Bau mit Ober- und Erdgeschoss, Gemeinderaum und integrierter Pfarrwohnung, ohne Turm. „Ohne Gott ist keine Ordnung“, das war die Devise von Erna Roder, der die Erhaltung der Kirche als Lebensaufgabe galt. Die Pfarrfrau und Malerin hat mit dem Verkauf ihrer Bilder 1985 die Instandsetzung des Kirchturms finanzieren können. Nach einer Grundsanierung 2012 findet man jetzt die Radfahrerkirche mit einem modernen Andachtsraum im Obergeschoss über einem Cafè „Himmel und Erde“ – heutigen Bedürfnissen entsprechend umgestaltet. Ein weiteres Bespiel ist Kunersdorf, dessen Kirche in einem Willkürakt des Bürgermeisters gesprengt worden war. Die Landesregierung musste schließlich auf den Einspruch des Konsistoriums reagieren und genehmigte einen der ganz wenigen Kirchen-Neubauten; Ende 1950 wurde der Grundstein für eine Rundkirche aus Klinkersteinen nach Plänen von Dr. Curt Steinberg gesetzt.

Foto: Horst Drewing
Sanierter Turm der Kirchenruine Podelzig

Die meisten Kirchen in der Region sind inzwischen Zierden der Orte, von äußeren Beschädigungen befreit, ja, einige befinden sich in besserem Zustand als vor dem Krieg. Allerdings ist in mehr als zehn Ortschaften des Oderbruchs keines der alten Gotteshäuser mehr vorzufinden.

In anderen Dörfern waren die Kirchen zwar sehr beschädigt, blieben aber vom Abriss verschont. Das Schicksal der barocken Friedersdorfer Kirche steht für viele Dorfkirchen im Oderland. Bei den Kämpfen um die Seelower Höhen schwer beschädigt, musste der Chorraum 1947 durch eine Mauer vom Schiff abgetrennt werden, 1959 wurde sie wegen Baufälligkeit gesperrt, 1984 konnte immerhin das Dach des Kirchenschiffs neu eingedeckt werden und das Bauwerk wurde so vor dem Verfall bewahrt. Wer die viel besuchte Kirche heute betrachtet, mag dem Urteil Fontanes zustimmen, der sie als eine der schönsten Kirchen der Mark bezeichnete.

Ein dreiviertel Jahrhundert nach Kriegsende gibt es reparierte und sanierte Kirchengebäude, aber auch zahlreiche Kirchenruinen, deren weitere Existenz für die Dorfbewohner bedeutsam bleibt. Es sind Überreste der ehemaligen Kirchen, die vorangegangene Generationen auf ihren Lebensstationen begleiteten; sie verbinden die jetzt Lebenden mit ihren Vorfahren. Auch waren viele Kirchenruinen in einem Zustand, der mit einigem baulichen Aufwand eine weitere Nutzung ermöglichte.So findet man heute ganz unterschiedliche Überreste ehemaliger Kirchengebäude, beispielsweise haben die Bewohner in Carzig und Ortwig aus der Not eine Tugend gemacht und Gemeinderäume in die Ruinen hineingebaut.

Nach Antritt seines Amtes in den 1980-er Jahren übernahm Pfarrer Martin Müller neben der Gemeinde Mallnow ausschließlich Orte, in denen Kirchenruinen standen. Inzwischen gibt es in Niederjesar einen Neubau, der auf den alten Grundmauern errichtet eine architektonisch interessante Lösung darstellt.

Kirchtürme haben für die Dörfer als Landmarken besondere Bedeutung. In Beiersdorf, Lossow und Podelzig wurden sie neu errichtet und für unterschiedliche Veranstaltungen nutzbar, das dazugehörende Kirchenschiff blieb als gesicherte Ruine erhalten. Der Kirchturm in Seelow fehlte mehr als vierzig Jahre; 1998 konnte er wieder errichtet werden. Der nach Entwürfen Schinkels erbaute Turm der Kirche in Letschin entging den Abrissplänen und enthält nach aufwendiger Restaurierung eine Ausstellung zur Kirchengeschichte.

Ein herrlicher Blick in die Oderlandschaft bietet sich dem Besucher in Reitwein – der originalgetreue Wiederaufbau des Kirchturms gelang bis ins Detail; seit 1999 führt eine Treppe zu einer Aussichtsplattform. Auch hier kündet die Ruine des mächtigen Kirchenschiffs von einem ehemals prosperierenden Gemeinwesen.

Foto: Horst Drewing
Dorfkirche Niederjesar, nach Kriegsschäden in veränderter Form wiederaufgebaut

In Rathstock, Schönfließ und Mallnow erinnern nur noch Umfassungsmauern oder Mauerreste an ehemalige Gotteshäuser. Als Mahn- und Gedenkorte haben sie ihre eigene Bedeutung. Mit Notdächern werden die Kirchen in Hohenjesar und Treplin gesichert.

Foto: Horst Drewing
Dorfkirche Kienitz, nach Kriegsschäden in veränderter Form wieder aufgebaut

Zum Glück verbessert sich vieles, jüngste Beispiele sind der Wiederaufbau der Marienkirche in Wriezen, der neue Kirchturm in Lichtenberg bei Frankfurt/Oder, die Überdachung der Kirchenruine in Dolgelin (Beitrag in diesem Heft). Die bevorstehende Sanierung der Kirchenruine in Ortwig stimmt ebenso hoffnungsvoll wie das Vorhaben, in Altwriezen den ehemaligen Kirchturm neu zu errichten.

Kirchengebäude unterliegen den jeweiligen Lebensverhältnissen und Bedingungen. In den vergangenen Jahrzehnten haben demografischer Wandel, Zuzug von Städtern mit Zweitwohnsitz und kleiner werdende Gemeinden die althergebrachten Dorfstrukturen verändert. Neue Lebensbedingungen verändern auch die Ansprüche an die Nutzung von Kirchen. Ruinen wecken bei Nachgeborenen nicht zwangsläufig Erinnerungen an Leid und Tod, Burgruinen umweht immer schon ein Hauch von Romantik.Über Jahrhunderte wurden Kirchen errichtet, zerstört, neu- oder wiederaufgebaut – so ist auch in dieser Region das letzte Wort über nicht gesprochen.

Weiterführende Literaturhinweise:

Theodor Fontane, Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Das Oderland, Berlin 1987.

Reinhard Schmook, Kirchen und Gemeinde-häuser im Evangelischen Kirchenkreis Oderbruch, Kunersdorf 2012.

Frank Mangelsdorf, Einst und Jetzt – Kirchen im Oderbruch, Berlin 2011.

Kirchen im Oderbruch und ihre Schicksale seit dem Frühjahr 1945, Hg.: Hans-Georg Rieger/Günther-Alexander von Wittich, Berlin 1992.

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