Von Engeln behütet
Die Sanierung der Dorfkirche Pessin
Andreas Flender ist Vorsitzender des Fördervereins Kirche Pessin e. V. und Regionalbetreuer des Förderkreises Alte Kirchen für den Landkreis Havelland.
Die glatt geputzte Decke zeigt in der Mitte das Wappen der v. Bredow. Die vier das Wappen umschwebenden Engelchen im Hochrelief zeugen von naivem Unvermögen. Vier Engel in gleicher Ausführung sind in den Ecken der Decke angebracht“, so beschrieb 1913 Heinrich Jerchel in seinem Buch: „Die Kunstdenkmäler der Provinz Brandenburg: Teil 1 Westhavelland“ die Decke der Dorfkirche Pessin. – 2010, im Gründungsjahr des Fördervereins Dorfkirche Pessin e. V., hatte man wahrlich wichtigere Sorgen als sich mit solchen Phantasien zu befassen. Die „notdürftig angebrachten Sperrholzplatten an der Decke, die die Schäden mehr kaschieren als beheben, lösen sich nach und nach“ so beschrieb Arnulf Kraft, Regionalbetreuer des Förderkreises Alte Kirchen, damals die Situation sehr zutreffend. Der Ziegelfußboden brach an mehreren Stellen ein und der Echte Hausschwamm hatte sich unter den Emporen ausgebreitet. Gefahr also drohte von allen Seiten und von Engeln keine Spur. Dennoch, die zunächst 14 Vereinsmitglieder hatten einen Plan, konkret ein „Sanierungs- und Nutzungskonzept“. Der Vereinszweck sollte sich nicht auf die bauliche Rettung des über 800 Jahre alten Sakralbaus beschränken, sondern auch dessen sinnstiftende Nutzung voranbringen. Und so sind die ersten Veranstaltungen schon fast legendär: Zwei riesige Bautrockner bliesen Warmluft in eine bitterkalte Kirche; Partyzelt-Wände, im ganzen Dorf eingesammelt, kaschierten die Baustelle unter der Nordempore; mit Gardinen, Teppichen und einer Garderobe von zu Hause wurde ein Umkleideraum für die Theatergruppe abgetrennt; Baustrahler ersetzten die fehlende Beleuchtung. Musizierende, Theatergruppe, Vortragende, Kaffeekocher und Kuchenbäckerinnen – sie sind bis heute unverzichtbare Bestandteile des „Pessiner Kirchenkulturjahres“, das Verein und Kirchengemeinde jährlich neu auflegen.
Nach vier Jahren war die Sanierung der äußeren Hülle und des Innenraums abgeschlossen und – Patronatswappen und Engel waren wieder da. Beim Anblick der „glatt geputzten Decke“, die zunächst wieder entstand, gab es eine Folge wundersamer Begebenheiten: Zunächst erinnerte sich eine Dorfbewohnerin an puppenähnliche Körperteile, die man einst vor der Entsorgung am Kirchberg gerettet hatte. Sie passten auffällig zu den obigen Schilderungen und einem Foto aus den „Kunstdenkmälern“ und weckten unverzüglich das Interesse des Landesamtes für Denkmalpflege. Eine auf Stuck spezialisierte Firma hatte den Auftrag für den Innenraumputz erhalten und konnte sofort unterstützen. Parallel interessierte sich eine Mäzenin für den besonderen Befund und steuerte das Geld für die (Mehr-)kosten bei. Seit 2014 behüten die Engel wieder den wohl größten barocken Kirchsaal in der Region.
In den Folgejahren wurde in die Nutzung investiert. Ganz oben auf der Prioritätenliste standen der Einbau von Toiletten und einer Teeküche im Kirchturm sowie eine energetische Sanierung der ehemaligen Winterkirche. Beides konnte 2016 im neuen Besucherzentrum der Radfahrerkirche Pessin eröffnet werden. Hinzu kamen eine barriere-freie, digitale Akustikanlage und eine mobile Bühne. Jetzt begann die musikalische Ertüchtigung der Kirche. Die Orgelempore stand lange leer und war baufällig. Zuerst waren also Zimmerleute, Tischler und Statiker gefragt. Die „neue“ Orgel wurde 1821 erbaut und stammt aus einer Kirche im thüringischen Erfurt, wo sie seit Jahrzehnten unbespielbar auf einen neuen Eigentümer wartete. Sowohl ihr Alter als auch die musikalische Ausprägung (14 Register/1 Manual) entsprechen nahezu dem ursprünglichen Pessiner Instrument. Seit 2018 wachen die Engel über einem Stück UNESCO-Weltkulturerbe ebenso wie über die Fortsetzung der Restaurierungsarbeiten an den Emporen. Die Trauben an den Arkadenbögen, der Kanzelaltar, ein freigelegter Bibelspruch, der Auferstandene und der Heilige Geist wurden vor kurzem erst ergänzt. Mehr als 20 Wappen warten noch auf ihre Restaurierung.
2020, im Jubiläumsjahr des Fördervereins, soll die musikalische Ertüchtigung nun vollendet werden – mit einem neuen Glockengeläut. Die Dorfkirche teilt hier das Schicksal der meisten Kirchengebäude. In Folge der Weltkriege wurden zwei von drei Glocken abtransportiert. Die einzige verbliebene Glocke genügt für den Stundenschlag, aber nicht für ein festliches Geläut. Vor allem ist auch sie sanierungsbedürftig. Wieder sind zuerst Zimmermann, Tischler und Statiker gefragt. Wieder wurden die Geschichtsschreiber fündig: „1599 wurde eine um 1300 gegossene Bronzeglocke aufgehängt, die als größte Glocke der Mark galt“ zitiert die Pessiner Ortschronik das Allgemeine Lexikon der Gegenwart (Thieme-Becker). Und diesmal staunten die Fachleute. Denn genau diese Glocke befand sich, entgegen anderer Informationen, nach wie vor im Glockenstuhl. Weihnachten 2019 schwieg sie jedoch, weil sie quasi zur Notoperation in die Niederlande transportiert werden musste. Nun wird die gute Stube der ältesten Glocke des Havellandes wieder hergerichtet. Nach ihrer Rückkehr wird ihr eine über 700 Jahre jüngere Bronzeglocke zur Seite gestellt. Es ist eine der letzten im Land Brandenburg gegossenen Glocken, im Jahr 2016, in der Kunstgießerei Lauchhammer. Fachleute und Verein entdeckten sie auf der Suche nach einem stimmigen Grundton. Dieser ist Voraussetzung für ein harmonisches Zusammenspiel und dafür, dass später daraus ein Dreiklang werden kann, wenn vielleicht dann noch eine dritte Glocke den Glockenstuhl wieder vollständig ausfüllt.Engel begegnen uns immer wieder und auf ganz unterschiedliche Weise. Mindestens einmal im Jahr zu Weihnachten erzählen viele Lieder davon. Für uns Pessiner Dorfkirchen-Fans gehören sie ein ganzes Jahr über dazu. Und vielleicht zeugen sie doch von mehr als von naivem Unvermögen: „Hoch oben schwebt jubelnd der Engelein Chor“.