von Detlef Fechner

Rätsel und Merkwürdigkeiten

Zur Baugeschichte der St. Marienkirche in Treuenbrietzen

Detlef Fechner ist Lehrer und Heimatforscher; er studierte Kunst-geschichte in Frankfurt/Oder.

Foto: Maximilian Boje
Stadtkirche St. Marien Treuenbrietzen, Ansicht von Norden

Mit der Marien- und der Nikolaikirche besitzt die märkische Kleinstadt Treuenbrietzen gleich zwei bemerkenswerte alte und kunsthistorisch interessante Stadtkirchen innerhalb ihrer ehemaligen Mauern. St. Marien gilt zudem als früheste gewölbte Stadtpfarrkirche der Mark Brandenburg. Warum jedoch gleich zwei städtische Pfarrkirchen für das vergleichsweise kleine mittelalterliche Brietzen (so hieß die Stadt bis ins 15. Jahrhundert)? Mit dieser Frage beginnt der Reigen der Merkwürdigkeiten, die am Ende womöglich den Schluss zulassen, dass St. Marien nicht als typische Stadtpfarrkirche geplant und gebaut worden sein kann, zumindest nicht in ihrer ersten Bauphase.

Detlef Fechner ist Lehrer und Heimatforscher; er studierte Kunst-geschichte in Frankfurt/Oder.

Der aufmerksame Betrachter wird ferner bei einem Umgang um St. Marien erstaunt feststellen, dass die im Osten gelegene Apsis der Kirche keine zehn Meter vom Lauf der Nieplitz entfernt ist und die einstige Stadtmauer unmittelbar hinter der Kirche entlang ging, ohne dass noch Platz für eine Straße geschweige denn eine sonstige Bebauung gewesen wäre. Ein Blick auf den ovalen Stadtgrundriss macht die absolute Randlage dieser Kirche deutlich. Wahrscheinlich findet sich in unseren märkischen Breiten kein weiterer Stadtkern, bei dem die Hauptpfarrkirche unmittelbar an der Stadtmauer und gleich neben dem Stadttor stand. In abgeschwächter Form weist ebenso die Nikolaikirche eine tendenzielle Randlage auf.

So verdichtet sich erneut die Vermutung, dass es mit der Marienkirche eine besondere Bewandtnis haben könnte. Zumindest für diese Randlage findet sich eine triftige Erklärung. Nach Einschätzung aller kunst- und architekturhistorischen Standardwerke wurde mit dem Bau der Marienkirche in den 1220er bzw. 1230er Jahren begonnen; schriftliche Dokumente aus der Erbauungszeit sind leider nicht mehr vorhanden. Wie gleich gezeigt werden soll, existierte zu dieser Zeit auf dem heute noch gut erkennbaren Stadtgrundriss noch keine rechtlich selbständige Stadt, allenfalls zwei kleine vorstädtische Siedlungskerne. In der Fachliteratur wird einhellig angenommen, dass sich im Bereich der Nikolaikirche (vermutlicher Baubeginn 1230/1240) zunächst eine Handwerker- und Kaufmannssiedlung befand und die Marienkirche das geistliche Zentrum einer Burgsiedlung gewesen sein könnte. Ein im 19. Jahrhundert noch erkennbarer Burghügel und die heutige Burgwallstraße lassen erahnen, dass die ehemalige Burg Brietzen sich unweit und östlich von St. Marien befunden haben muss.

Gut 50 Jahre nach Baubeginn der beiden Kirchen fließen die schriftlichen Quellen für Treuenbrietzen vergleichsweise reichlich. In ihnen lässt sich erkennen, dass die Grenzen der heutigen Altstadt wohl erst kurz vor dem Jahre 1300 abgesteckt worden sind und frühestens 1296 der Bau der Stadtmauer begann. In diesem Zusammenhang wurden gleichzeitig drei bis fünf umliegende Dörfer aufgelöst und deren Bewohner zur Aufstockung der Stadtbevölkerung in der Stadt angesiedelt. Im Einzelnen scheint es sich folgendermaßen abgespielt zu haben: Jeweils durch die herrschenden Markgrafen wurden der Stadt Brietzen 1290 die „Haidehufen“ verkauft und überlassen (wir wissen nicht, ob dazu eine dörfliche Siedlung gehörte), 1296 die Erlaubnis zum Bau der Stadtmauer gegeben (mit Gewährung einer zehnjährigen Steuerbefreiung), 1301 das Dorf Sernow verkauft und überlassen, 1313 ebenfalls das Dorf Darbrietzen und 1319 die Zusicherung gewährt, dass dort, wo einst die Burg stand, keine Burg mehr gebaut werden soll. Für das ebenfalls aufgelöste und eingemeindete Budorf liegt eine solche Urkunde nicht mehr vor und ebenfalls nicht für die sogenannten „neuen Hufen“, hinter denen sich eventuell ein ehemaliges Neuendorf verbergen könnte. Die das Dorf Sernow betreffende Urkunde von 1301 macht Ziel und Zweck der Erwerbungen sehr anschaulich deutlich:

„…daß wir unseren geliebten Bürgern der Stadt Brietzen … das Dorf Sernow mit allen seinen Zugehörigkeiten, nämlich Äckern, Wäldern, Weiden und Wiesen und was sonst dazu gehört zu immerwährendem Besitze übereignet haben, so daß besagte Bürger die in dem genannten Dorfe errichteten Gebäude abreißen und das Dorf mit seinen erwähnten Zugehörigkeiten nach Stadtrecht immer besitzen sollen.“

Das heißt also, dass Brietzen erst durch ein erhebliches Anwachsen der Einwohnerzahl um das Jahr 1300 zu der Stadt wurde, wie sie für einige Jahrhunderte innerhalb der neu errichteten Stadtmauer existierte. Diese Stadtmauer sollte dabei die beiden bereits existierenden Kirchen in das Stadtareal einbeziehen. Dies gelang nur, indem beide Kirchen eine eher unübliche Randlage bekamen und die Stadt damit eine Größe, die sie für die geringe Einwohnerzahl von 1500 – 2000 Bürgern eigentlich nicht benötigte. Gäbe es sonst eine andere triftige Erklärung für die verschwenderische Breite der zentralen Groß-Straße? In allen vergleichbaren mittelalterlichen Städten herrschte in der Regel eine drückende Enge. Gleichzeitig dürfte die Stadt erst durch den Abriss der Burg und den Erwerb des Magdeburger Stadtrechts die volle rechtliche Souveränität erhalten haben. Somit wäre erwiesen, dass die Stadt Brietzen als Bauherr der Marienkirche nicht in Frage kommen kann. Wer aber gab sie dann in Auftrag und zu welchem Zweck wurde sie gebaut?

Foto: Dehio Brandenburg, Deutscher Kunstverlag GmbH Berlin/München, Seite 1111
Stadtplan von Treuenbrietzen

Eine mögliche Antwort führt zweifelsfrei zum Besitzer der 1220/30 noch bestehenden Burg und damit zum Herrn des gesamten Burgbezirks. Leider besteht für Treuenbrietzen keine Eindeutigkeit, wer zu diesem Zeitpunkt die landesherrliche Hoheit über dieses Gebiet innehatte. Während die ältere Mittelalterforschung die askanischen Markgrafen von Brandenburg favorisierte, geht die jüngere Forschung für die Zeit bis etwa 1250 weitgehend vom Magdeburger Erzbischof als Landesherrn aus. Brietzen wäre demnach zur anfänglichen Erbauungszeit von St. Marien noch Teil der erzbischöflichen Enklave um den Hauptort Jüterbog gewesen und der Erzbischof der Auftraggeber für diesen Kirchenbau. Welche Absicht verfolgte er mit dieser großen und sehr aufwändigen Kirche? Eine Art Burgkirche für wenige hundert Bewohner der Burgsiedlung? Gewiss unwahrscheinlich. Eine zentrale Kirche des gesamten Burgbezirks einschließlich aller umliegenden Dörfer? Schon wahrscheinlicher, zumal die Forschung für Teile der Fläminglandschaft für die ersten Jahrzehnte nach der deutschen Besiedlung solche zentralen Burgwardkirchen nachweisen konnte. Dies betrifft nicht zuletzt die sogenannte Dammkirche in Jüterbog, auch Marien- bzw. Liebfrauenkirche genannt. Dieser Kirche – ebenfalls in unmittelbarer Nähe der ehemaligen Burg gelegen – kam anfänglich die Funktion eines zentralen Gotteshauses für die Dörfer der Jüterboger Region zu. Gleichzeitig wurde sie bereits 1173/74 mit Mönchen des Prämonstratenserordens besetzt und gut 100 Jahre später in ein Zisterzienserinnenkloster umgewandelt.

Foto: Maximilian Boje
Baunaht, Übergang vom Feldstein- zum Backsteinbau

Ergibt diese Kombination aus Burgward- und Klosterkirche in der Dammvorstadt von Jüterbog die passende Schablone für die ursprüngliche Zweckbestimmung von St. Marien in Brietzen? Dies umso mehr, als aus architekturhistorischer Sicht immer wieder darauf hingewiesen wurde, dass St. Marien eine Fülle von Stilelementen aufweist, wie sie eigentlich nur für Klosterkirchen typisch sind. Dazu zählt die auffällige und aufwändige Gestaltung der Fenster an der Hauptapsis. Zwei Reihen mit je fünf Fenstern finden sich in unserer Region nur noch an der Klosterkirche zu Lehnin. Der Grundriss von St. Marien zeigt ebenso, dass diese Kirche ursprünglich über zwei Nebenchöre verfügte, die durch eine Apsis jeweils nach Osten hin abgeschlossen wurden; ein Stilelement, das sich fast ausschließlich an Klosterkirchen findet. Bis ins 15. Jahrhundert hinein hatte die Kirche keinen Turm, wieder ein typische Merkmal von Klosterkirchen. In seiner ersten Bauphase – bis einschließlich des recht beachtlichen Querschiffes – wurde St. Marien aus sorgfältig behauenen Granitsteinen errichtet, ähnlich wie die 1226 fast zeitgleich geweihte Klosterkirche von Zinna. Überhaupt haben die dreigestuften Portale an den Querschiffen beider Kirchen eine verblüffende Ähnlichkeit.

Ist die Marienkirche in Treuenbrietzen ursprünglich also als Klosterkirche konzipiert und gebaut worden? Bisher wurde diese Überlegung im besten Falle nur vage angedeutet, da sich ansonsten keinerlei Hinweise und Belege für eine solche Zweckbestimmung finden ließen. Lediglich die sich östlich der Stadt lokalisierbar machende Flurbezeichnung „Klostermathen“ könnte ein zarter Hinweis darauf sein. Dennoch bleibt eine solche Annahme gewagt, weil sich zugleich eine Erklärung finden lassen müsste, warum dieser Klostergründung offenbar ein abruptes Ende bestimmt war und eine nur wenige Jahrzehnte währende Existenz.

Nach der Fertigstellung des Querschiffes muss es an St. Marien zu einer Bauunterbrechung und einem radikalen Planwechsel für den Weiterbau des sich anschließenden Kirchenschiffes gekommen sein. Während der ursprüngliche Bau in spätromanischer Weise eine Flachdecke für das Kirchenschiff vorsah, ging man jetzt in frühgotischer Weise zur Einwölbung der Kirche über und zum einheitlichen Weiterbau mit Ziegelsteinen. Wer mag diesen massiven Planwechsel beschlossen haben und zu welchem Zweck? Der Erzbischof? Warum sollte er seine ursprünglichen Pläne so radikal korrigieren? Oder ein inzwischen neuer Landesherr, der mit der Kirche und vor allem mit einer Stadtgründung völlig andere Pläne hatte? Auf alle Fälle werden der Weiterbau und die Vollendung der Kirche – allerdings bis nach 1450 noch ohne Turm – in die Jahre um/nach 1250 datiert.

Foto: Maximilian Boje
St. Marien Treuenbrietzen, Apsis

Nun mag es ein Zufall sein, dass die historische Forschung den Übergang der politischen Herrschaft im Raum Treuenbrietzen aus der Hand des Erzbischofs in die Hände der brandenburgischen Markgrafen ebenfalls in die Jahre um/nach 1250 datiert. Die oben bereits genannte Urkunde von 1290 ist überhaupt die älteste erhaltene schriftliche Quelle, in der direkt und ausschließlich Anliegen der Stadt Brietzen verhandelt werden. Aussteller sind die brandenburgischen Markgrafen Otto und Conrad. Wie selbstverständlich ist darin die Rede von „unserer Stadt Brietzen“ („…civitati nostre Bryzenae…“). Nun wird den askanischen Markgrafen schon lange nachgesagt, dass sie in ihren Besitzungen nur sehr zögerlich und zurückhaltend Klostergründungen zuließen und das vor allem im Blick auf die Orden, die für ihre Klosterwirtschaft Grundbesitz benötigten, wie z. B. Benediktiner, Prämonstratenser und Zisterzienser.

So darf abschließend vermutet werden, dass sowohl die Baupause als auch der massive Planwechsel beim Bau von St. Marien ihre tieferen Ursachen im Herrschaftswechsel für den Burgbezirk Brietzen hatten. Ein sich dort etablierendes Kloster – das womöglich noch dem Erzbischof unterstellt und verpflichtet war – kann den politischen und stadtplanerischen Zielen der brandenburgischen Markgrafen nur im Wege gestanden haben. Schließlich stellte das neu erworbene Gebiet um Brietzen den südlichsten Zipfel ihrer Herrschaft dar und dies machte es strategisch notwendig, diese Stadt als eine Art wehrhafter Grenzburg auszubauen, sowohl gegen die erzbischöflichen Gebiete um Jüterbog als auch gegen die südwestlich gelegene Herrschaft der sächsischen Herzöge. Im benachbarten Jüterbog, wo weiterhin der Erzbischof die politische Macht ausübte, verblieb die Klosterkirche in der Dammvorstadt auf alle Fälle außerhalb der mittelalterlichen Stadtanlage.Eine interessante Parallele findet sich im brandenburgischen Oderberg. Im Schutz der Burg bestand dort von 1231 – 1258 das Prämonstratenserkloster Gottesstatt. Wahrscheinlich fand auch diese Klostergründung ihr schnelles Ende im Zusammenhang mit der Stadtgründung. Für das Jahr 1259 wurde Oderberg erstmals „civitas“ genannt.

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