Mutmacher für Beharrliche
Förderpreis Startkapital – Eine Bilanz
Eva Gonda ist Journalistin
Die kleine Kirche hatte sich versteckt. Hinterm Dickicht von Bäumen und Sträuchern erlaubte sie nur einen Blick auf die Turmspitze und auf ein löchriges Dach. Wer das Schild „Einsturzgefahr!“ ignorierte und sich unerlaubt ins Innere wagte, blickte auf ein Gerüst, das notdürftig die brüchige Holzdecke sicherte; auf einen ramponierten steinernen Altartisch; auf Reste eines maroden Gestühls; auf zerbrochene Fenster, durch die der Efeu kroch.
Wie hier im uckermärkischen Küstrinchen war es um so manche Dorfkirche im Land Brandenburg bestellt, als der Förderkreis Alte Kirchen Berlin-Brandenburg 2002 das Projekt „Startkapital für Kirchen-Fördervereine“ ins Leben rief, anfangs unterstützt von der Robert Bosch Stiftung Stuttgart. Angesichts des erbärmlichen Zustands sakraler Gebäude insbesondere auf dem Land hatten sich schon vielerorts Menschen zusammengefunden, Christen und Nichtchristen, die ihre Dorfkirche vor dem endgültigen Verfall retten wollten. Das waren große Ziele für die oft kleinen Kirchengemeinden und Kommunen, und nicht selten trafen sie mit ihrem Einsatz für ein ruinöses, „nicht mehr benötigtes altes Bauwerk“ auf Widerstand. Das Startkapital sollte Mut machen. Den braucht man, wenn man sich auf einen langen, oft steinigen Weg macht.
Die Resonanz auf die erste Ausschreibung brachte die Jury ins Schwitzen. Man hatte mit einem guten Zuspruch gerechnet und schon die nicht geringe Zahl von zehn Preisen zu je 2.500 Euro angesetzt. Es kamen mehr als 40 Bewerbungen. Alle zeugten von imponierendem bürgerschaftlichen Engagement. Einige Vereine hatten bereits eine beeindruckende Arbeitsbilanz vorzuweisen, andere standen noch ganz am Anfang. So auch der Förderverein Dorfkirche Küstrinchen, der zu den ersten Preisträgern gehörte.
Der Verein hatte sich erst wenige Monate zuvor gegründet – in einem Dorf mitten im Wald, mit wenigen Häusern und damals 48 Einwohnern, von denen sich gerade noch neun zur Evangelischen Kirche zählten. Konnte hier ein wiederaufgebautes Gotteshaus überhaupt eine Zukunft haben? Der Jury muss großer Optimismus bescheinigt werden, als sie dem ehrgeizigen Vorhaben ein Gelingen zutraute und dem Verein einen Preis zusprach. Sie sollte Recht behalten.
Schon mit der Gründung des Fördervereins war es in dem stillen Dorf sehr lebendig geworden. „Alle hatten zugegriffen beim großen Arbeitseinsatz gegen den Wildwuchs rund um die Kirche, hatten gemeinsam den ersten Erfolg gefeiert und waren wieder enger zusammengerückt“, erzählt Udo Gomoll, seit vielen Jahren Vereinsvorsitzender. Mit einem Preis in der Hand konnte man nun weitere Fördermittel beantragen, Sponsoren gewinnen und Spenden einwerben, zugleich als ersten dringenden Schritt die Dachsanierung planen.
Dann gab es fast in jedem Jahr guten Grund zum Feiern:
Ostern 2003: Erster Gottesdienst seit fast 30 Jahren in der leeren, aber gesicherten Kirche. Die Dorfbewohner bringen Bänke und Stühle mit. Pfarrer Gerhard Stechbart stellt ein schlichtes Kreuz auf den provisorischen Altar, dazu die Osterkerze in einer Stalllaterne, damit sie nicht vom Frühlingswind ausgeblasen wird, der durch die zerbrochenen Fenster weht. Mit seiner Trompete ersetzt er die Orgel und wird begleitet vom Gezwitscher der ein- und ausfliegenden Vögel.
2005: Abschluss der Turmsanierung mit dem Aufsetzen der golden schimmernden restaurierten Bekrönung. Im gleichen Jahr stehen die Küstrinchener Spalier für die neuen Glocken, die auf ihrer Fahrt ins Dorf über holprige Straßen schon von weitem ihren Klang hören lassen – ein Geschenk der Kirchengemeinde Ratingen, wo sie nicht mehr gebraucht wurden. Und als „Zugabe“ ein Orgel-positiv. Das wird noch unter freiem Himmel vor der Kirchentür mit einem Loblied angestimmt.
Aber nicht nur aus Küstrinchen gibt es solche Erfolgsgeschichten, die einst mit einem Startkapital vom Förderkreis Alte Kirchen begannen.
Da ist die Dorfkirche von Gadow in der Prignitz, ein stattlicher neogotischer Bau, viel zu groß für den kleinen Ort am Rande der Kyritz-Ruppiner Heide. Seit den Siebzigerjahren des vorigen Jahrhunderts war sie dem Verfall preisgegeben. Perspektive aus DDR-Sicht: Nur der Turm sollte als Feuerwachturm erhalten werden. Gleich nach der Wende begannen beherzte Bürger mit ersten Sicherungsarbeiten, gründeten einen Förderverein, dem 2004 ein Starkapital zugesprochen wurde. Der Verein hat bis heute im Ort eine breite Basis. Fast ein ganzes Jahrzehnt brauchte es, bis als krönender Abschluss wieder Kugel und Kreuz auf die Turmspitze gesetzt werden konnten. Die Enthusiasten um die Vereinsvorsitzende Renate Schüler bewiesen und beweisen bis heute einen sehr langen Atem. Schon in der Bauphase wurde die Kirche wieder zum Mittelpunkt des Ortes. Die Pforte öffnete sich nicht nur für Gottesdienste, viele kreative Angebote ermöglichen seitdem ein abwechslungsreiches Kulturprogramm ganz im Sinne der Grundsätze für die Startkapital-Vergabe, die auch eine erweiterte Nutzung der sakralen Bauten fördern will.
Ebenso geht es beim Projekt Startkapital um die Erhaltung und gegebenenfalls Wiederherstellung der ortsbildprägenden Umgebung alter Kirchen. Ein Beispiel ist das Pfarrhaus von Groß Döbbern im Landkreis Spree-Neiße. Das denkmalgeschützte Gebäude aus dem 16. Jahrhundert bildet gemeinsam mit Kirche und Schule ein einzigartiges Ensemble in der Dorfmitte und gilt als eines der ältesten Profanbauten Brandenburgs. Dem 2005 gegründeten Förderverein Altes Pfarrhaus Groß Döbbern gelang es, das Gebäude zu retten, zu sanieren und herzurichten für eine gemeinschaftliche kulturelle Nutzung. Viele Veranstaltungen, so die traditionelle Neujahrsbegrüßung, das Frühlingsfest, der Tag des offenen Denkmals und der jährliche Weihnachtsmarkt, haben inzwischen Gäste aus nah und fern.
Viele ähnliche Erfolgsgeschichten aus Brandenburger Dörfern ließen sich erzählen. Darin geht es immer um Menschen, die ihren vertrauten, manchmal auch neuen Heimatort lieben, die das von den Vorfahren übernommene Erbe bewahren und die Geschichte ihrer Heimat weiterschreiben wollen. Sie alle nehmen dafür viel Mühe und Arbeit in Kauf. Die Auszeichnung mit einem Startkapital ist Anerkennung ihres ehrenamtlichen Einsatzes, macht die Projekte öffentlich und hilft damit, weitere Mittel einzuweben und andere Förderer mit ins Boot zu holen. In vielen Fällen konnte der Förderkreis Alte Kirchen durch objektbezogene Spendensammlungen die Vereinssäckel zusätzlich aufbessern. Was aber nicht im Kassenbuch nachzulesen ist und dennoch allerseits hoch geschätzt wird, ist die beratende Begleitung durch den Förderkreis bei der Vereinsgründung und bei den ersten Schritten.
Bis heute konnten allein durch das Startkapital 96 örtliche Vereine mit insgesamt 225.000 Euro unterstützt werden. In jüngster Zeit aber geht die Zahl der Neugründungen beständig zurück. Nun könnte man das als Bestätigung dafür werten, dass der Förderkreis Alte Kirchen mit seinem Startkapital-Projekt allumfassend für Hilfe gesorgt hat, so dass jetzt kaum noch Bedarf besteht. Dagegen sprechen die nicht wenigen kleinen und größeren Kirchen im Lande, die durchaus noch helfende Hände und kluge Ideen brauchen, um in der Zukunft Bestand zu haben. Fehlt es mancherorts an Initiative, fehlen solche unermüdlichen Enthusiasten wie Renate Schüler in Gadow oder Udo Gomoll in Küstrinchen, die für die Sache brennen und andere mitziehen? Der Förderkreis Alte Kirchen wird in diesem Jahr kein Startkapital ausschreiben und die Pause nutzen für Überlegungen, wie es weitergehen soll.
Und wie ist es in Küstrinchen weitergegangen? In dem kleinen Ort mitten im Wald gibt es immer noch nicht mehr als 21 Häuser und heute nur noch 40 Einwohner, „aber wir haben jetzt wieder Kinder im Dorf“, weiß Udo Gomoll zu berichten und erzählt auch von Hochzeiten und einer Konfirmation in der Kirche. Denn die ist inzwischen zu einem Anziehungspunkt für Besucher auch aus der weiteren Umgebung geworden. Schon während des großen Bauens sorgten Benefizkonzerte namhafter Künstler für ein volles Haus und oft eine gut gefüllte Kasse. Sogar Sänger der Wiener Staatsoper traten auf, Theatergruppen sorgten für Stimmung, das Fernsehen drehte hier eine „Filmhochzeit“, Lesungen fanden statt. Seit dieser Zeit kommt auch das Preußische Kammerorchester Prenzlau in jedem Jahr für ein Konzert nach Küstrinchen. Heute müssen die Musiker nicht mehr fürchten, dass ihnen der Sommerwind die Notenblätter vom Ständer fegt – die Fenster sind längst verglast.
Viel Besuch von außerhalb hat Küstrinchen auch bei den Ostergottesdiensten mit traditionellem Osterfeuer auf dem Anger, bei den fröhlichen Erntedankfeiern, bei den herbstlichen Hubertus-Messen und bei den Weinachtsandachten in dieser schlichten Kirche, wo die Altarkerze noch immer in einer Stalllaterne auf einem provisorischen Steinsockel steht, Der ursprüngliche Barockaltar war damals aus dem einsturzgefährdeten Bau evakuiert worden und steht heute in Hennickendorf. Was aber im Ort ganz besonders deutlich wird: Mit den Arbeiten an der Kirche wuchs wieder eine lebendige Dorfgemeinschaft, in der Aufgaben gemeinsam angepackt werden, aber auch gelegentlich fröhlich gefeiert wird.
Übrigens: Wer sich in Küstrinchen einmal umsehen will – die Kirchentür steht im Sommer für Besucher immer offen. Heute muss sich das kleine Gotteshaus ja nicht mehr verstecken.