von Andreas Kalesse

„…erhebe deine Stim, wie eine Posaune…“

Die Dorfkirche von Groß Glienicke

Andreas Kalesse war 27 Jahre lang Stadtkonservator der Landeshauptstadt Potsdam.

Foto: Doreen Duras
Dorfkirche Groß Glienicke vor der Putzabnahme

Zur Dorfgeschichte

Das heute zur Stadt Potsdam eingemeindete Dorf Groß Glienicke hat eine komplizierte Geschichte, die bis heute vor allem seit seiner Gründung bis ins 15. Jahrhundert nicht erforscht ist. Eine Ortslage Klein Glienicke verschwand bis heute unentdeckt und ging in der heutigen Gemarkung Groß Glienicke auf. Auch der Dorfgrundriss, ein nicht vollständig ausgebildetes Sackgassendorf, und die merkwürdige Position des Rittergutes weit außerhalb des eigentlichen Dorfes sind bis heute ungeklärte Phänomene des wenig bekannten Gründungszeitraumes um 1250.

Foto: Doreen Duras
Dorfkirche Groß Glienicke nach der Putzabnahme und Neuverfugung

Man darf davon ausgehen, dass die aus behauenen Feldsteinen errichtete Dorfkirche keinen Vorgängerbau hatte. Sie ist als einfache, ungewölbte gotische Saalkirche ohne Turm mit zwei nördlichen Eingängen, einer Priester- und einer Leutepforte (letztere nach der Reformation vermauert), zu Beginn der Dorfgründung um 1250 auf dem höchsten Punkt des Dorfes errichtet worden. Drei Schachbrettsteine, bis heute die einzigen bekannten westlich von Berlin, an der ehemaligen Priesterpforte, an der Nordostecke der Kirche und an der Westseite, deuten auf diesen Entstehungszeitraum hin. Sie sind neben dem Kirchenbau selbst die bedeutendsten mittelalterlichen Kleindenkmale des Dorfes. Als besonders markierte Steine an Feldsteinkirchen darf man sie als Sinnzeichen auf die Textstelle im Epheserbrief von Paulus (Eph 2,19-22) beziehen, in dem es heißt: „So seid ihr nun nicht mehr Gäste und Fremdlinge, sondern Mitbürger der Heiligen und Hausgenossen, erbaut auf den Grund der Apostel und Propheten, da Jesus Christus der Eckstein ist, auf welchem der ganze Bau ineinandergefügt wächst zu einem heiligen Tempel in dem Herrn. Durch ihn werdet auch ihr mit erbaut zu einer Wohnung Gottes im Geist.“ Dieses Eckstein-Motiv dürfte die wesentliche Unendlichkeitsmethapher für all die zahlreichen Schachbrettsteine an Kirchenbauten sein, welches sich wie ein breites Band östlich von Berlin bis in den Oder-Raum, von Skandinavien bis zur Lausitz erstreckt. Diesem zumeist aus dem 13. Jahrhundert stammenden Phänomen eine apotropäische (Unheil abweisende) Funktion zuzuweisen, ist wissenschaftlich nicht haltbar.

Foto: Doreen Duras
Schachbrettsteine

Die Geschichte des Dorfes blieb unspektakulär, bis von 1572 bis 1788 die brandenburgische uradlige Familie von Ribbeck hier ihren osthavelländischen Zweig begründete. Ihre Mitglieder waren am Hofe der Kurfürsten als Militär- und Verwaltungsbeamte tätig und bewirtschafteten mehrere Güter in umliegenden Dörfern, stellten in Spandau Festungskommandanten und anderes mehr. Hans Georg III. von Ribbeck (1639 – 1703) hatte eine gute Ausbildung genossen und verrichtete von 1660 bis 1666 als Kammerjunker seinen Dienst bei der Frau des Großen Kurfürsten, Luise Henriette (1627 – 1667). Er bekleidete anschließend hohe Verwaltungsämter, wurde 1669 Domherr in Brandenburg und stieg 1681 zum Dechant im Domstift auf. Schließlich heiratete er 1683 die wohlhabende Witwe Eva Katharina geb. Brandt von Lindau (1656 – 1710) und begann damit ein neues Leben als kirchlicher Würdenträger und Gutsherr. Sichtbarer Ausdruck dafür war der Umbau der Dorfkirche zur Familiengrablege des osthavelländischen Familienzweiges zwischen 1679 und 1684.

Die Dorfkirche

Über den früheren Zustand und die Ausstattung der Kirche vor dem großen Umbau ist wenig überliefert. Der mittelalterliche Saalbau hatte eine niedrigere Holzbalkendecke, 1639 dürfte das Taufbecken anlässlich der Taufe von Hans Georg III. geschaffen worden sein und dann wohl auch die Kanzel. Etwa 1666 könnte das Epitaph für Hans Georg II., den Vater des Dechanten des Brandenburger Domkapitels, in die Kirche unterhalb der Kanzel eingebaut worden sein. Da es noch keine Familiengruft gab, ist er noch in der Spandauer St. Nikolaikirche, in der Ribbeck-Kapelle, beigesetzt.

Foto: Doreen Duras
Schachbrettsteine

Als erstes verkürzte Hans Georg III. den Kirchensaal etwas, indem er 1679 eine starke Fachwerkwand in etwa 3,50 m Abstand von der Westwand in den Raum stellen ließ. Durch diesen dadurch geschaffenen Vorraum betritt man seither im Wesentlichen die Kirche. Die Leutepforte im Norden wurde vermauert, nur die mittelalterliche Priesterpforte mit dem Schachbrettstein blieb wohl zumeist auch der direkte Zugang für die Pfarrer. Anschließend ersetzte man die Holzbalkendecke durch das heutige stuckierte Spiegelgewölbe auf hoher Voute. Die Spiegel sind mit dem Gottessymbol und Engelsdarstellungen ausgemalt. Die Kirchenfenster wurden vergrößert, die Familiengruft angelegt und der Fußboden angehoben.

Die neue Wand ermöglichte es dann, die Patronatsloge anzulegen. Von ihr getragen, erreichte man die balkonartige, mit Sprüchen aus der Bibel geschmückte Anlage über das neue Turmuntergeschoss, welches den Treppenaufgang zur Loge aufnahm. Heute ist von der ursprünglichen Konstruktion nur noch wenig vorhanden. Bemerkenswert sind davon im Wesentlichen die drei Brüstungstafeln mit den Bibel-Sprüchen, die einst versetzt zueinanderstanden, die heute jedoch auf eine Brüstungsebene gebracht und 1851 zur Orgelempore umgebaut, den gesamten Kirchenraum monumental überspannen.

Foto: Hans Bach
Altarretabel nach der Restaurierung

1680/81 wurde die Kanzel seines Großvaters von ca. 1640 umgestaltet. So musste der Fuß verkürzt werden, weil der Kirchenfußboden angehoben wurde, und andererseits kam ein neuer Schalldeckel hinzu, der wesentlich höher ist als der ursprüngliche. Die gestalterisch sehr aufwändige bildhauerische Ausformung des neuen Schalldeckels ist bemerkenswert, weil er wie eine Bekrönung wirkt und zugleich direkt in den Himmel verweist. Der „Heilige Geist“, in der traditionellen Gestalt einer Taube vermutlich des alten Schalldeckels, ist in die Umgestaltung der Taufe übergegangen. Der neue Schalldeckel trägt seither an dessen Stelle aber die Ermahnung für jeden Pfarrer: „Ruffe getrost, schone nicht, erhebe deine Stim, wie eine Posaune, und verkündige meinem Volck ir übertreten, und dem Hause Jacob ire Sünde. Jes. 58.“

1681 ließ Hans Georg III. seine Taufe umgestalten und mit der berühmten Tulpenhaube verschönern. Jacob Schultz von (…)oltenstein schuf dieses Kleinod der Spätrenaissance und er schuf 1685 ebenfalls im Auftrag von Hans Georg III. die Taufe für die Ribbecksche Patronatskirche in Dallgow.

1683, wohl anlässlich der Hochzeit, ließ er schon im Vorgriff auf das neue Altarretabel das Predellabild von F. Lutherus malen. In Anlehnung an den Reformationsaltar in der Stadtkirche St. Marien zu Wittenberg, den Lucas Cranach d. Ä. 1547 schuf, ließ er sich ebenso wie Martin Luther platzeinnehmend am Tisch des Herrn darstellen. Das Retabel wurde 1684 mit dem Zentralbild „Ecce Homo“ von Cl. Hertzog abgeschlossen, der einzigen Darstellung dieser Art in einem Brandenburgischen Altarretabel. Anstelle der üblichen Schäfte für die gedrehten Säulen wurde ein Kranz einer sehr abstrahierten Tulpendarstellung verwendet. Der auferstandene Christus, die Bekrönung des Retabels, weist gestalterische Parallelen zum Merkur von Giambologna (Giovanni da Bologna) von etwa 1580 auf. Eine Nachbildung dieser Figur stand im Berliner Lustgarten des Großen Kurfürsten. Hans Georg III. wird sie dort gesehen haben. Die ungewöhnliche Qualität der Christusfigur verweist auf das Umfeld von Balthasar Permoser.

In der Kirche befinden sich an den Wänden drei barocke Epitaphien, die ebenfalls restauriert wurden. Auch sie waren weitgehend grau überstrichen. Es handelt sich dabei um das große Epitaph für Hans Georg III. von Ribbeck aus dem Jahre 1707 an der Ostwand, das Epitaph für Eva Margarethe von Lattorf, geb. von Grävenitz, aus dem Jahre 1728 an der Ostwand und schließlich das Epitaph für die Ehefrau des Patrons, Eva Katharina, geb. von Lindau, von 1756 an der Südwand. Sie sind schon allein wegen der Ahnenproben (Adelsproben) – Wappendarstellungen zum Nachweis der adligen Herkunft der Verstorbenen – interessante Zeugnisse der Adelsgeschichte Brandenburgs. Diese Ausstattungsstücke sind hervorragende bildhauerische Leistungen von erster Qualität.

Die Kirchenbänke, die ab etwa 1733 bis ins 19. Jahrhundert hinein aufgestellt wurden, sind nach dem Zweiten Weltkrieg umgebaut worden und entsprechen nicht mehr der ursprünglichen Aufstellung.

Die Restaurierung der Dorfkirche

Seit 2003, nachdem Groß Glienicke nach Potsdam eingemeindet worden war, setzte die Betreuung aller Maßnahmen durch die Untere Denkmalschutzbehörde der Landeshauptstadt ein. Die Reparaturen des Dachstuhls und die Schwammbeseitigung, die Neueindeckung des Daches sowie die Neuverschalung des Turms und die Restaurierung der Tafelgemälde waren schon vorher erfolgt. Im Inneren begann man dann mit der Restaurierung der gewölbten Decke und der ausgemalten Spiegel. Es folgten die durchgreifenden Restaurierungen aller Prinzipalstücke, der Taufe, der Kanzel sowie des Altarretabels. Alle vier großen Epitaphien sind inzwischen ebenfalls restauriert. Die Turminnenwand erfuhr eine gründlichere Schwammsanierung als zuvor und der gesamte Vorraum musste vollkommen verändert werden, um eine erneute Rückkehr des Schwamms zu verhindern. Das passierte vor allem durch die Schwammbekämpfung mit Wärmebehandlung und die vollständige Beseitigung der Betonputze, des Betonfußbodens und von betonverputzten Wänden; alles Hinzufügungen der Nachkriegszeit. In dem dadurch gewonnenen Raum konnte eine Sakristei eingebaut werden. Im Jahr 2018 erfolgte die vollständige Abnahme des dicken Betonaußenputzes der 8oer Jahre des 20. Jahrhunderts, der zu Feuchtigkeitsproblemen in der Kirchenwand durch Rissbildungen führte. Somit konnte das mittelalterliche Erscheinungsbild mit all seinen Veränderungen des 17. und 19. Jahrhunderts wieder sichtbar und die Baugeschichte vollständig nachvollziehbar gemacht werden. Mit der Neuverfugung wurde die Unregelmäßigkeit der behauenen Feldsteine berücksichtigt und der Fugenmörtel nicht wie ein Putz aufgetragen.

Ziel aller Restaurierungen im Innenraum war es, alle Ausstattungsgenstände, die zumeist grau überstrichen waren, in ihr jeweiliges originales Erscheinungsbild zurückzuversetzen. Die liturgischen Gegenstände sind gestalterisch und funktionell wieder in ihren ursprünglichen Formen und Bedeutungen zurückgewonnen worden und erfüllen nun wieder vollständig ihren Sinn und Zweck. Die gestalterische Kraft der mitteldeutschen Spätrenaissance im Übergang zum Frühbarock vereint sich mit ihren vielfältigen Aussagen hier in dieser Dorfkirche zu einem herausragenden Beispiel lutherischer Orthodoxie jener Zeit und zeugt von der ersten großen Neugestaltungswelle in den Kirchen der zweiten Generation nach der Reformation in Brandenburg.Eine Kirche mit dieser Ausstattung und dem großen gesamten Maßnahmeprogramm war in den letzten 20 Jahren nur mit umfangreicher Unterstützung von vielen Seiten her zu bewältigen. Es ist dem Land Brandenburg (Staats-Kirchen-Vertrag), der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-Schlesische Oberlausitz, dem evangelischen Kirchenkreis Falkensee, der Stiftung zur Erhaltung kirchlicher Baudenkmäler (KiBa), dem Förderverein Dorfkirche Groß Glienicke e. V., dem Förderkreis Alte Kirchen e. V., der KD-Bank, der Mittelbrandenburgischen Sparkasse, der Hoffmann- Stiftung in Hamburg, der Landeshauptstadt Potsdam, der Familie von Ribbeck, der Firma Terraplan aus Nürnberg, Herrn J. Fischer aus München sowie zahlreichen Spendern aus Groß Glienicke, Kladow, Berlin, Spandau, Potsdam u. a. m. zu danken.

Foto: Hans Bach
Kanzel von 1639, überarbeitet 1680 nach der Restaurierung

Weiterführende Literatur:

Andreas Kalesse: Das Taufbecken in der Dorfkirche von Groß Glienicke. Erklärungen zur Restaurierung. In: Mitteilungsblatt der Landesgeschichtlichen Vereinigung der Mark Brandenburg e. V. 112 (2011), H. 2., S. 63 – 72.

Bernhard Schmidt, Hrsg.: „Ein Interesse weckt nur noch das Altarbild.“ Der Ribbeckaltar in der Patronatskirche zu Groß Glienicke und seine Restaurierung. Berlin 2013.

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