von Sebastian Rick

Gesucht: Anna, Christophorus, Georg und Sebastian

Zuletzt gesehen in der Grödener St. Martins-Kirche

Dr. Sebastian Rick ist Historiker.

Schnitzfiguren Christophorus, Georg und Sebastian; Fotos: Hermann Giesau

Es war wohl der größte Kulturgutverlust im Elbe-Elster-Kreis, als im Jahr 1961 vier spätgotische Holzplastiken aus dem Besitz der Evangelischen Kirchengemeinde Gröden entwendet wurden. Heute kann der Wert für alle vier Figuren auf ca. 30.000 bis 50.000 Euro geschätzt werden.

Was war passiert? Kurz vor dem Bau der Berliner Mauer im Jahr 1961 klopften zwei Männer an die Tür des Pfarrhauses in Gröden. Dabei handelte es sich höchstwahrscheinlich um den bekannten Berliner Bühnenbildner Hainer Hill, der einst eng mit Bertolt Brecht zusammengearbeitet hatte, und eine zweite Person, die sich als Museumsdirektor der Moritzburg ausgab. Beide gaben vor, die vier Grödener Plastiken (eine Anna selbdritt, ein Heiliger Christophorus, ein Heiliger Georg und ein Heiliger Sebastian) für wissenschaftliche Zwecke erwerben zu wollen. Leichtgläubig vertraute ihnen der damalige Grödener Pfarrer Heinrich Edler die Holzplastiken an. Die wertvollen Schnitzwerke kamen aber weder im Schloss Moritzburg bei Dresden noch im Kunstmuseum in der Moritzburg in Halle an. Seitdem fehlte jede Spur von Ihnen.

Bereits zuvor hatten die vier Figuren eine bewegte Geschichte hinter sich. Alle vier entstanden um 1520 vermutlich in der Großenhainer Schnitzwerkstatt von Pankratius Grueber und waren Teile der drei Grödener Schnitzaltäre. Nach der Reformation und der Umgestaltung des Kircheninneren im Barock wurden die spätgotischen Schnitzaltäre aus dem Kircheninneren entfernt und die Reste auf dem Kirchenboden sorglos ausgelagert. Erst im Jahr 1925 bei einer Besichtigung des sehr unzugänglichen Grödener Kirchendaches entdeckte der kunstsinnige frühere Pfarrer Burgstaller zusammen mit dem Kunstmaler Hans Nadler die Altarreste wieder. Die Fundstücke wurden in das Provinzialdenkmalamt nach Halle gebracht und restauriert. Darunter befanden sich neben dem seit 1929 wieder im Grödener Kirchenchor befindlichen Altarmittelteil auch die vier später entwendeten Figuren. Zum großen Glück für die Grödener Kirchengemeinde wurden während der Restaurierung vom Provinzialkonservator Hermann Giesau Fotografien der Schnitzwerke angefertigt, die heute als Eigentumsnachweis bei der Suche nach den verlorenen Plastiken unverzichtbar sind. Nach der Restaurierung waren die vier Figuren 1938 kurz vor Kriegsbeginn wieder von Halle zurück nach Gröden gebracht worden, wo sie schließlich 1961 entwendet wurden. Höchstwahrscheinlich gelangten die Schnitzwerke mit Hainer Hill noch vor dem Bau der Mauer nach Westdeutschland. Hill arbeitete zwar als Bühnenbildner in Ost-Berlin, wohnte aber im Westteil der Stadt. Als die Mauer gebaut wurde, entschied er sich, seine Arbeit im Osten aufzugeben und nach Karlsruhe zu gehen, wo er weiter als anerkannter Bühnenbildner arbeitete. Er verstarb dort im Jahr 2001.

Im Zuge einer umfassenden Recherche nach den verlorenen Figuren gelang es nun dem Autor, eine Spur der Anna selbdritt zu finden. Er recherchierte, dass diese Skulptur am 20. September 2002 im Stuttgarter Auktionshaus Nagel unter der Katalognummer 1103 für einen Preis von 13.000 Euro versteigert wurde. Im Katalog gab das Auktionshaus an, dass die Anna Selbdritt aus altem hessischem Besitz stamme. Auch zeigt das Foto im Katalog, dass sie seit der Entwendung restauriert und kleinere fehlende Stücke ergänzt wurden.

Anna Selbdritt; Katalog Nagel auction of September 20th 2002

In der Hoffnung, die Anna selbdritt zurückerhalten zu können, wandte sich die Kirchengemeinde an eine auf Kunstrecht spezialisierte Berliner Anwaltskanzlei. Diese nahm Kontakt zum Auktionshaus Nagel in Stuttgart auf und bat um Vermittlung zum Käufer aus dem Jahr 2002. Das Auktionshaus teilte allerdings nur kurz mit, dass in der Firma keine Unterlagen über Käufer vor 2007 mehr vorhanden wären und man daher nicht helfen könne. Da das deutsche Recht in diesem Fall, unter anderem aufgrund von Verjährungsfristen, keine strafrechtlichen Sanktionsmöglichkeiten vorsieht, bleibt der Kirchengemeinde nur noch die Hoffnung, dass bei einer späteren Kunstauktion die verlorenen Stücke wieder auftauchen. Um darüber einen Überblick zu behalten, meldete die Kirchengemeinde die vier Schnitzfiguren im Londoner Art Lost Register an. In diesem Register werden alle weltweit als gestohlen oder vermisst gemeldeten Kunstwerke aufgeführt. Die Mitarbeiter dieses Registers kontrollieren unablässig alle einschlägigen Kunstkataloge und informieren die Geschädigten bei einem Fund unverzüglich. In diesem Fall wäre es möglich, mit dem Verkäufer in Kontakt zu treten und gegebenenfalls eine der verlorenen Figuren doch noch zurückzuerhalten. Die Kirchengemeinde Gröden ist weiter fest entschlossen, nach den Heiligenfiguren zu suchen, denn ihr angestammter Platz befindet sich in der Grödener St.-Martins-Kirche.

Zur Kirche
Vorheriger Beitrag
Alles Raben: „Ach, ach Schwartz vor wie nach“

Die himmlische Dusche

von Ulrich Schöntube

Nächster Beitrag
Der melancholische Optimist

Ist Berthold Schirge als Landpfarrer ein Auslaufmodell?

von Konrad Mrusek