von Dirk Schumann

Die Botschaften der Backsteine

Inschriften in mittelalterlichen Kirchenbauten der Mark Brandenburg

Dirk Schumann ist Kunsthistoriker und Bauarchäologe mit zahlreichen
Veröffentlichungen zu Kunst und Archäologie der Mark Brandenburg.

Brandenburg an der Havel, Bauinschrift von Hinrich Brunsberg an der Nordkapelle der St. Katharinen-Kirche; Fotos: Dirk Schumann

„Anno domini MCCCI constructa est
haec ecclesia in die assumtionis Mariae
virginis per magistrum Hinricum
Brunsbergh de Stettin“

Mit dieser lateinischen Inschrift (zitiert nach Adler S. 17) teilte der Baumeister Hinrich Brunsberg aus Stettin den Besuchern der Katharinenkirche in der Brandenburger Neustadt mit, dass die Kirche im Jahr des Herrn 1401 am Tag der Aufnahme der Jungfrau Maria in den Himmel durch Meister Hinrich Brunsberg aus Stettin errichtet worden sei.

Die vor dem Brennen in mehrere Tonrohlinge geschnittene Inschrift befindet sich für alle sichtbar am Mittelpfosten des ehemaligen Hauptzugangs an der Nordkapelle der Katharinenkirche. Offenbar sollte die Inschrift den bis dahin in der Mark Brandenburg noch relativ unbekannten Baumeister mit diesem prächtigen Kirchenbau in Verbindung bringen. Vergleichbare Inschriften gibt es eine ganze Reihe, und sie treten nicht nur an norddeutschen Backsteinbauten auf. In der Regel lassen sich dabei die Bauherren, die Kirchenpfleger oder auch die Vorsteher einer solchen Baustelle verewigen, verschiedentlich werden auch die Baumeister selbst überliefert.

Neben diesen absichtsvoll sichtbar angebrachten Mitteilungen gibt es aber auch eine Reihe von Inschriften, die nicht für jedermann sichtbar in den Backstein geritzt worden sind. Eines der berühmtesten Beispiele ist jene ungewöhnliche Inschrift, die zwischen 1884 und 1885 bei der Sanierung der Seitenschiffstraufe der Klosterkirche in Chorin aufgefunden wurde (Raue S. 45). Zwei verschiedene Schreiber haben sie vor dem Brennen des Tons auf die Innenfläche eines Formsteins geritzt, auf eine Stelle, die nie sichtbar sein sollte, sondern im Mauerwerk verschwunden ist.

Der gelehrte lateinische Dialog entstand offenbar ganz spontan auf einem zum Trocknen ausgelegten Ziegelrohling und lautet sinngemäß: „Der da hat schlecht geschrieben. – Bändige die Zunge. Er selbst hat schlecht geschrieben.“(von Perger S. 28) Ausgeführt wurde die Inschrift anscheinend mit einem Schreibgriffel, den man im Mittelalter benutzte, um Notizen in kleinen Wachstafelbüchern festzuhalten, die man später wieder ausglätten konnte, eine Technik also, die dem Schreiben im weichen Ton nahezu gleichkommt und die zu dieser Zeit weit verbreitet war. Zwar wissen wir damit noch nicht, wem wir die Entstehung dieser Inschrift verdanken, doch dürfte es sich um Mitglieder der klösterlichen Gemeinschaft gehandelt haben, wie Mönchen, einem Novizen oder vielleicht auch Konversen, die für die Arbeiten auf der Baustelle oder auf dem Ziegelhof zuständig waren, die aber meist als lateinunkundig galten.

Wie die jüngsten restauratorischen und bauhistorischen Untersuchungen der Choriner Klosterkirche beweisen, gibt es heute noch siebzehn Textinschriften, zu denen noch zahlreiche Buchstaben- und Zahleninschriften hinzukommen und die sich vor allem an den um 1272 begonnenen Ostteilen der Klosterkirche konzentrieren. Sie wurden alle vor dem Brennen in die Backsteinrohlinge geritzt. Diese Inschriften waren auf den sichtbaren Außenflächen der Ziegel im Innen- und Außenraum angebracht. Da sie sich bis auf ganz wenige Ausnahmen in großer Höhe befinden, waren sie anders als die Bauinschriften nicht an ein irdisches Publikum gerichtet. Am nachvollziehbarsten erscheint heute noch die Anbringung einer Namensinschrift an der Außenwand des westlichen Klausurflügels. Sie verbindet den Buchstaben „T“, der zu einer der häufigsten Passmarken oder Mei-sterzeichen der Choriner Maßwerk- und Gewändeformsteine gehört, mit dem Namen Dankwart, der sich auf diese Weise offenbar als einer der maßgeblichen Verfertiger des Choriner Backsteindekors verewigte.

Zwei Inschriften mit dem Namen „Johannes“ wurden an zwei gegenüberliegenden Chorfenstern und damit in genau jener Achse angebracht, in der 1880 ein mittelalterliches Grabbauwerk freigelegt worden ist, das sich direkt vor dem damaligen Hochaltar befand. Da eine solche prominente Bestattung im Hochmittelalter in der Regel dem Klosterstifter vorbehalten blieb, wäre hier die Grablege des Klostergründers Markgraf Johann zu vermuten, was im Falle der Anbringung der beiden Namensinschriften nicht mehr an einen Zufall glauben lässt.

Die meisten der Choriner Inschriften überliefern jedoch mehr als nur Namen. In der Regel handelt es sich um lateinische Textpassagen oder deren Abkürzungen. Sie beziehen sich auf die Bibel oder auf liturgische Texte und bedienen sich in einigen Fällen sogar der Dichtung. Viele dieser Botschaften lassen sich als „Gotteslob“ bezeichnen. Vielleicht ist dies auch ein Grund dafür, warum sich diese Inschriften oft in so großer Höhe befinden, dass sie mit bloßem Auge nicht zu erkennen sind.

Auch hier könnte mehr als nur der Zufall eine Rolle bei der Verteilung der Inschriften am Bauwerk spielen. Bisher wurden drei Inschriften festgestellt, die sich direkt auf liturgische Gesänge beziehen. Sie befinden sich an den wichtigsten Innenwänden der Klosterkirche: dem Chorscheitel sowie dem nördlichen und dem südlichen Querschiff, also jenen Bauteilen, in denen diese Gesänge einst erklangen. An der Innenwand des um 1280 errichteten Nordquerhauses befindet sich eine Inschrift, die auf eine Textstelle im Buch des Propheten Jesaja anspielt. Diese lautet in der Übertragung: „Gott der Herr ist mein Helfer, und darum fürchte ich mich nicht“ (von Perger S. 22). Der Text bildet den Anfang eines liturgischen Wechselgesangs, der zum morgendlichen Stundengebet am Palmsonntag gesungen wurde und auch bei Zisterziensern gebräuchlich war.

Direkt über dem Hauptaltar auf der Innenseite eines Fenstergewändes steht eine lateinische Inschrift, die aus einem Lobgesang zu Ehren Maria Magdalenas stammt und einen Bezug auf die Fußsalbung Jesu während des Gastmahls im Hause Simon des Aussätzigen herstellt.

Pritzwalk, Chor der Stadtpfarrkirche

Im südlichen Querhaus am Gewände der Verbindungsöffnung zwischen Kirche und Schlafsaal der Mönche, durch die einst die Klänge der liturgischen Gesänge in die Wohnräume des Klosters drangen, befindet sich eine Inschrift, die den Beginn eines schon im 12. Jahrhundert verbreiteten Weihnachtsgesanges („Procedentem / sponsum“) zitiert. Dabei handelt es sich zudem um den ältesten Nachweis für diesen liturgischen Gesang in Nordostdeutschland, der auch aus anderen Zisterzienserklöstern überliefert ist (von Perger S. 23).

Die Harmonie liturgischer Gesänge spiegelt die göttliche Vollkommenheit und entspricht damit der Konzeption gotischer Architektur, die in der Summe der Maß- und Strebewerke sowie ihrer Rippengewölbe in gleicher Weise eine himmlische Vollkommenheit veranschaulichen soll. Die Anbringung der Textpassagen an hervorgehobener Stelle unterstreicht die konzeptionelle Bedeutung der Choriner Ordensarchitektur.

Die Vorbereitung der 2018 im Kloster Chorin eröffneten Ausstellung „Sprechende Steine“, die das Phänomen von Backsteininschriften über Brandenburg hinaus betrachtet, brachte Ungewöhnliches zu Tage. Zwar war schon seit längerem bekannt, dass sich an einigen Chorpfeilern der Pritzwalker Stadtpfarrkirche Inschriften befinden, die man in gleicher Weise wie in Chorin noch vor dem Brennen in die Backsteinrohlinge ritzte. Doch zeigte erst die Übertragung der mehr als 100 Inschriften, dass es hier einige direkte Parallelen zu Inschriften an der Choriner Klosterkirche gibt, wie die lateinische Inschrift: „Homo q[ui]dam / fe[ci]t“, deren Entsprechung am südlichen Querhaus der Choriner Klosterkirche zu finden ist (von Perger S. 20). Vervollständigt lautet sie „Ein Mensch machte ein großes Abendessen“ und bezieht sich auf das Gleichnis vom Abendmahl im Neuen Testament (Lukas 14, 16).Vielleicht überrascht diese Entsprechung auch deshalb, weil zwischen der Errichtung beider Bauten annähernd anderthalb Jahrhunderte vergingen.

Wann genau mit dem Chorneubau der Pritzwalker Stadtpfarrkirche begonnen wurde, ist nicht überliefert, mehrfach tritt unter den Pfeilerinschriften das Datum 1425 auf. Fertig war der dortige Chorneubau spätestens 1441, denn für dieses Jahr ist eine Chorweihe überliefert, bald darauf beginnt man mit der Einwölbung der Ostteile der Kirche.

In Pritzwalk waren die Inschriften größtenteils in Sichthöhe angebracht worden und befanden sich vor allem auf der dem Chor abgewandten Pfeilerseite, wo sie auch für die städtische Laiengemeinde erkennbar blieben. Neben den mit der Hand geschriebenen Inschriftentexten gibt es hier auch gestempelte Inschriften, Heiligendarstellungen sowie Siegel- und Münzabdrücke. Neben Bezügen zur Bibel oder auf liturgische Texte und Gebete haben einige Inschriften auch hier ganz allgemein das Gotteslob zum Thema und verraten vielfach ein hohes Bildungsniveau der Schreiber. Die Maurer, die die Chorpfeiler der Stadtkirche errichteten, waren der Schrift dagegen offenbar unkundig, denn einige der über mehrere Backsteine konzipierten Texte sind unvollständig oder sogar verkehrt herum eingemauert worden.

Doch warum treten an einer Stadtkirche gleichlautende Inschriften wie an einer Klosterkirche auf? Möglicherweise veranschaulichen sie die spätmittelaterliche Laienfrömmigkeit, die auf eine Fürsorge für das Jenseits gerichtet ist. Diese führte unter anderem dazu, dass an vielen Stadtkirchen Chordienste nach dem Vorbild von Stifts- und Klosterkirchen eingerichtet wurden. Dazu gehörten auch liturgische Gesänge. So darf man annehmen, dass die in Pritzwalk zitierten Gesänge im dortigen Chordienst eine Rolle spielten.

Stadtpfarrkirche Pritzwalk, Inschriften am südwestlichen Chorpfeiler

Neben den „sakralen“ Texten gibt es jedoch auch eine ganze Reihe von Inschriften mit profanem Bezug, so treten neben Markgraf Friedrich von Nürnberg auch der Pritzwalker Bürgermeister Wehow und die Räte der Stadt auf. Besonders oft ist jedoch der Name Johannes Hogheberch zu lesen, der auch mehrfach sein Siegel in den Ton der Ziegel drückte. Möglicherweise handelt es sich hierbei um einen wichtigen Kleriker oder um einen der Pfleger oder Provisoren der Kirche, der vielleicht auch als einer der Verfasser der Inschriften in Frage kommt.

Anders als bei den Choriner Inschriften, die man mit Blick auf ihre Positionen am Bau geradewegs ins Jenseits richtete, waren die Pritzwalker Inschriften für ein irdisches Publikum sichtbar. Dabei ging es vielleicht gar nicht so sehr darum, dass die Inschriften im Einzelnen gelesen und verstanden werden konnten. Vielmehr hat man die Architektur des Kirchenraums – auch mit Blick auf einige profane Inhalte der Inschriften – um eine Bedeutungsebene bereichert, in der Liturgie und städtisches Gedächtnis miteinander verbunden wurden.


Literatur

Friedrich Adler: Mittelalterliche Backstein-Bauwerke des Preußischen Staates, Bd. 1, Berlin 1862 Bibliothek in Backstein. Inschriften an der Chori-
ner Klosterkirche, mit Beiträgen von Andreas
Behrendt, Mischa von Perger, Jan Raue und Stefanie
Wagner, Worms 2016

Außerdem dankt der Autor Mischa von Perger für Auskünfte und Hinweise.

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