Der Garten des Buches
Ein interreligiöses Projekt im Kloster Lindow
Susanne Gloger ist Kunsthistorikerin.
Unbestritten attraktiv als Ausflugsziel ist Lindow (Landkreis Ostprignitz-Ruppin), über das bereits Theodor Fontane schreibt: „Lindow ist so reizend wie sein Name.“ Auf einer Landbrücke gelegen, umgeben von drei Seen zwischen Neuruppin und Gransee, liegt das beschauliche Städtchen. Seinen Namen hat es von dem nahegelegenen Zisterzienserinnenkloster Lindow, das 1230 gegründet wurde. Hier wächst auf dem Gelände des Evangelischen Stift Kloster Lindow ein integratives interreligiöses Gartenprojekt heran, der „Garten des Buches“.
„Wie die Sterne am Himmel“, so erstaunt sich Jacob von Vitry etwa 1220, vermehrten sich gerade die Frauenklöster des Reformordens, der sich dem Ideal der Benediktregel „ora et labora“ verschrieben hatte. So auch in der Mark Brandenburg, wo neben den drei Männerzisterzen Lehnin, Chorin und Himmelpfort – Zinna war eine magdeburgische, Dobrilugk und Neuzelle jeweils eine sächsische Gründung – zehn Nonnenklöster eingerichtet wurden. Zum einen wurde so der religiösen Frauenbewegung des 13. Jahrhunderts entsprochen, zum anderen sicherten die Klöster den märkischen Adligen eine standesgemäße Versorgung ihrer Töchter und Schwestern. Darüber hinaus scheint die Gründung in Grenznähe der Sicherung und dem Ausbau neu erworbener Gebiete gedient zu haben, der Ring der Nonnenklöster um die in der Mitte der Mark gelegenen Klöster der Mönche ist auffällig.
Im rasch zu großem Reichtum gelangten Klo-ster Lindow lebten und wirtschafteten knapp 300 Jahre lang Zisterzienserinnen, bis mit der Reformation der Besitz vom Kurfürsten eingezogen und es zu einem Fräuleinstift umgewandelt wurde. Im Dreißigjährigen Krieg wurde die Klosteranlage zerstört und im Anschluss die Ruinen der Klosteranlage, auch die der Kirche, größtenteils zur Gewinnung von Baumaterial abgetragen. Das Leben im Damenstift setzte sich jedoch in bescheidenem Umfang fort und konnte im 19. Jahrhundert einen Aufschwung erleben, der sich in der Errichtung mehrerer Gebäude manifestierte.
Aus dieser Zeit stammt auch die literarische Rolle Lindows, die Theodor Fontane dem adligen Fräuleinstift als Kloster Wutz in seinem Roman „Der Stechlin“ zuweist. Süffisant schildert er die Domina während eines Besuchs ihres Neffens: „Was aber, …, den Verkehr mit ihr so schwer machte, das war die tiefe Prosa ihrer Natur, das märkisch Enge, das Mißtrauen gegen alles, was die Welt der Schönheit oder gar der Freiheit auch nur streifte“. Zwei der vier Stiftsdamen sind als Tischdamen seiner Begleiter zum Essen geladen, die eine, nicht mehr jung, bemüht sich vergeblich, jung zu wirken: „Ihr lag daran, jung zu sein, obwohl sie keinen rechten Nutzen mehr daraus ziehen konnte. Benachbarte Adlige gab es nicht, der Pastor war natürlich verheiratet und Fix auch. Und weiter nach unten ging es nicht.“ Die andere, ein Fräulein von Triglaff „in dunkler Seide, mit Kopfschleifen und tiefliegenden, starren Kakadu-Augen, die in das Wesen aller Dinge einzudringen schienen, …, verband in sich den Ausdruck höchster Tiefsinnigkeit mit ganz ungewöhnlicher Umnachtung, und ein letzter Rest von Helle, der ihr vielleicht geblieben sein mochte, war ihr durch eine stupende Triglaffvorstellung schließlich doch auch noch abhandengekommen.“ Die Gespräche sind nicht erbaulich, das Ambiente zusammengewürfelt, die Meißner Suppenterrine ist angeschlagen, immerhin der Garten, den die kleine Gesellschaft vor und nach dem Mahl besucht, überzeugt: „Der Garten hier links“, sagte Woldemar, „ist der Garten der Domina, meiner Tante Adelheid; etwas primitiv, aber wundervolles Obst. Und hier gleich rechts, da bauen die Stiftsdamen ihren Dill und ihren Meiran. Es sind aber nur ihrer vier, und wenn welche gestorben sind – aber sie sterben selten – so sind es noch weniger.“
Auch in seinen „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“, in denen Fontane Lindow ein kurzes Kapitel in „Die Grafschaft Ruppin“ widmet, zeigt er sich gleichermaßen fasziniert von den Gartenanlagen wie von den Ruinen der malerischen Klo-steranlage am Wutzsee: „… nach links hin der von Lindengängen eingefaßte See, zwischen uns und ihm ein buntes Durcheinander von Blumen- und Gemüsegärten und, mitten hineingestellt in diese, das villenartige Haus der Domina, dicht grenzend mit einem in Trümmern liegenden Langbau, der sehr wahrscheinlich einst das Refektorium des alten Klosters ausmachte. […], und jeder Zauber wäre von dieser Verfallstätte längst abgestreift, wenn nicht die hohen, stehengebliebenen Giebelwände wären, mit ihren gotischen Nischen und Fenstern und einem Storchennest darauf.“
Einen Garten im Kloster anzulegen liegt auch heute nahe, sind doch Klöster im Allgemeinen als die Keimzelle des Gartenbaus anzusehen und die der Zisterzienser im Besonderen, denn sie werden gern als Pioniere des Landesausbaus, der klugen Bewirtschaftung und Kultivierung sowie der Verbreitung neuer Pflanzen bezeichnet.
Einen Garten unter dem Thema „Buch“ anzulegen, kann ebenfalls sinnfällig mit der Geschichte der Klöster, insbesondere der Nonnenkonvente, verknüpft werden, gab es doch hier nahezu die einzige Möglichkeit für Frauen im Mittelalter, Lesen zu lernen und Bildung in vielfältigen Bereichen zu erlangen.
Den „Garten des Buches“
in Lindow anzulegen jedoch fußt auf einem völlig anderen Gedanken. Hier
soll ein zukunftsweisendes Konzept umgesetzt werden, innerhalb dessen
die drei monotheistischen Religionen – Judentum, Christentum, Islam –
gemeinsam einen Ort der Begegnung und Verständigung bieten. Denn
gemeinsam beziehen sich alle drei Religionen auf Abraham als Stammvater,
gemeinsam ist ihnen jeweils eine Heilige Schrift: die Tora, die Bibel
und der Koran.
Von Anfang an war es ein Gemeinschaftsprojekt der
jüdischen Gemeinde, der muslimischen Gemeinschaft und des Kloster Stifts
Lindow. Der erste Spatenstich zum Klostergarten erfolgte bereits im
Juni 2017 durch den Stiftskapitelvorsteher, den Brandenburger
Landesrabbiner und einen Vertreter der Muslimischen Gemeinde aus
Potsdam. Dieser interreligiöse Ansatz verspricht spannende Begegnungen:
ein Entdecken und Kennenlernen, ja Verständnis der anderen Religionen,
Toleranz und eine versöhnliche Auseinandersetzung.
In allen drei Heiligen Büchern trifft man auf Pflanzen: allgegenwärtig die Feige und der Ölbaum, die mächtige Dattelpalme und viele andere, oft unscheinbare Pflanzen, wie beispielsweise Linsen, Zwiebeln oder Senf. Insgesamt 97 Arten sollen in Lindow gepflanzt werden in sorgfältig durchdachten Arrangements, beschildert mit botanischen Bezeichnungen, aber auch den Stellen ihres Vorkommens in den Heiligen Schriften und zusätzlich mit Brailleschrift und Pflanzenrelief ausgestattet.
Die Pflanzen mit ihrem symbolischen Gehalt dienen als Verbindungselement zwischen den Religionen und laden zum Kennenlernen und Verständnis der anderen Traditionen ein. Im Zentrum der Gartenanlage entsteht ein Labyrinth, das den verschlungenen, umständlichen (Lebens-) Weg symbolisiert, der – kein Irrweg – zu dem einem Mittelpunkt führt. Vorbei an Hochbeeten, Duftbeeten, Wüstenpflanzen, Heilkräutern und zahlreichen Bäumen und Büschen führen die Wege in den Park der Begegnung. In dessen Zentrum wiederum wächst ein dreifach veredelter Apfelbaum, ein Baum als Symbol gelebter Ökumene. „Das Veredeln einer Pflanze hat in allen Kulturen und Religionen eine lange Tradition. Es ist ein schmerzhafter, traumatischer Prozess, allerdings dient er auch der Veränderung und der Weiterentwicklung. Etwas völlig Neues entsteht auf den Wurzeln der Vergangenheit. Es ist ein Symbol der Vielfalt, die gemeinsam bestehen kann, ohne sich zu bedrängen oder zu verdrängen. Es zeigt die Unterschiedlichkeit, aber auch die Abhängigkeit.“
Faszinierend liest sich vorerst nur, was Planer und Gestalter auf dem Gelände des alten Klosters vorhaben, gleichermaßen eine Reminiszenz an Klo-stergärten wie die Möglichkeit eines spirituellen, sinnlichen, gartenkultur- oder religionshistorischen Erlebens.
Theodor Fontane hätte diese Anlage im Kloster Lindow sicherlich begrüßt und sie möglicherweise als Erweiterung seiner Beobachtung angesehen, als er sich hier „auf einer von prächtigen alten Bäumen überragten Parkwiese [befindet], die, den verschiedensten Bestimmungen dienend, all ihre Verschiedenheiten wieder in eine höhere Einheit zusammenfaßt. Die schönsten Teile dieser Parkwiese sind die, wo begraben wird. Von dem richtigen Gefühl ausgehend, daß Leben und Tod Geschwister sind, die sich nicht ängstlich meiden sollen, hat man hier die Spiel- und Begräbnisplätze dicht nebeneinandergelegt, und dieselben Blumen blühen über beide hin.“
In diesem Jahr soll der „Garten des Buches“ in Lindow in großen Zügen fertiggestellt und für Besucher zugänglich werden. Dann muss Lessings Ringparabel nicht in Stein errichtet werden, sondern kann wachsen, blühen und gedeihen.