von Gerhard Richter

„… dass ich dir stetig blühe“

Kirche und Landesgartenschau in Wittstock

Gerhard Richter ist Radioautor und als Ephoralassistent beim Kirchenkreis Wittstock-Ruppin zuständig für die Öffentlichkeitsarbeit.

Moses mit Schilf
auf der Kanzeltür der Dorfkirche Küdow; Fotos: Gerhard Richter

Die Fahrt nach Norden in die Prignitz ist mit dem Auto derzeit kein Vergnügen, sondern eine Schleichfahrt durch Autobahn-Baustellen zwischen Berlin und Neuruppin. Dennoch sollte man die Fahrt wagen – vielleicht auch mit dem Prignitz-Express der Bahn. Denn Wittstock an der Dosse ist gerade in diesem Jahr eine Reise wert. So schön war die Stadt noch nie; so grün und farbenfroh hat man ihre kilometerlangen Mauern und Wallanlagen noch nie gesehen.

Am Gründonnerstag, dem 18. April beginnt hier in Wittstock die Landesgartenschau. Auf einem dreizehn Hektar großen Halbrund um die historische Stadtmauer blühen unzählige Blumen und Pflanzen. Wittstock – im nordwestlichen Brandenburg zwischen Hamburg und Berlin gelegen – erwartet 300.000 Besucherinnen und Besucher. Die Gäste erleben aktuelle Trends der Garten- und Landschaftskultur, eingebettet in eine Parklandschaft zwischen den beiden Flüsschen Dosse und Glinze.

Drei Tage nach dem Start der Landesgartenschau, am Ostersonntag dem 21. April, hält Markus Dröge, Bischof der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz die Predigt beim Ostergottesdienst in der St. Marien-Kirche. Damit startet er das kirchliche Programm zur Landesgartenschau. Das Motto lautet „…dass ich dir stetig blühe“ und stammt aus dem bekannten Kirchenlied von Paul Gerhardt „Geh aus mein Herz…“. Das umfangreiche Programm soll die Besucher der LaGa mit dem christlichen Glaubens in Kontakt bringen – einem Glauben, der die Bewahrung der Schöpfung beinhaltet. Dies ist eine Botschaft, die tiefer greift als die pure Komposition von Blumenbeeten. Diesen Anspruch zeigt die Kirche in Wittstock auf vielfältige Weise und an unterschiedlichen Orten.

Hauptschauplatz ist die mächtige St.-Marien-Kirche. Ihre Backsteine sind fast 800 Jahre alt und umschließen einen bedeutungsvollen Raum. Hier lebt auch Heimatgeschichte fort. Kirchen erinnern an unsere Herkunft – eine lange christliche Tradition in Brandenburg. Kirchen sind aber auch Orte für unsere Zukunft. Kirche – gerade weil sie sehr traditionsbewusst ist – kann Wertvolles bewahren. Sie verkörpert menschliche Werte wie Mitgefühl, Liebe und Solidarität. Im Raum steht auch die Frage nach dem tragenden Grund unseres Lebens und unserem Verhältnis zur Natur. Die Kirche liefert beständig Antworten, so auch in ihrem Beitrag zur Landesgartenschau. Das zeigt sie in mehreren Ausstellungen.

Akanthus am Altar der Dorfkirche Bechlin

Eine der ersten Ausstellungen ab dem 18. April widmet sich den Apfelsorten, die früher häufig waren und die es heute kaum noch gibt. Tatsächlich finden wir in den Regalen der Supermärkte nur noch einen kleinen Teil der Sorten, die noch vor wenigen Jahrzehnten angebaut und geerntet wurden. Die industrialisierte Obstproduktion mit ihren normierten Früchten und den wenigen marktbeherrschenden Sorten hat viele alte Varianten verdrängt. Eine Auswahl dieser beinahe untergegangenen Sorten wird in Pflanzkübeln rund um den Altar stehen. Die Apfelbäume mit ausführlichen Beschreibungen ihrer Herkunft und Eigenschaften sind bis Pfingsten in der Kirche zu bestaunen und werden dann in den Gemeinden an prominenten Plätzen ausgepflanzt.

Ebenfalls mit Pflanzen im weiteren Sinne beschäftigt sich eine weitere Präsentation: In den Kirchen tauchen häufig Blumen, Blüten, Blätter und andere Elemente der Natur als Schmuck an Wänden, am Mobiliar oder auf Geräten auf. Die Ausstellung „Flora in der Kirche – Zierde oder Botschaft?“ hat diese Abbildungen und Originalstücke aus den Kirchen des Kirchenkreises Wittstock-Ruppin gesammelt. In den Begleittexten wird die Herkunft ergründet und die Bedeutung als Symbol in der christlichen Glaubenswelt erklärt.

Eine dritte Ausstellung zum Thema „10 Jahre FREIe HEIDe“ zeigt ab dem 5. Juli die Geschichte einer lokalen Friedensbewegung. Jahrzehntelang wurde die Kyritz-Ruppiner Heide vor den Toren Wittstocks als militärisches Übungsgebiet für Bombenabwürfe genutzt. Erst warfen die Tiefflieger der sowjetischen Armee ihre Bomben in den Heidesand, dann – nach der Wende – dröhnten die Düsenflugzeuge der Bundeswehr über der Heidelandschaft und den umliegenden Dörfern. Dagegen kämpfte eine von kirchlichen Akteuren mitgetragene Bürgerbewegung. Die Ausstellung zeigt Dokumente des langjährigen Widerstands. Es gab über 100 Protestmärsche, ungezählte Aktionen und langwierige Klagen. Seit 2009 hat die Bundeswehr die militärische Nutzung aufgegeben. Die Beseitigung der Blindgänger wird indes noch Jahre andauern. Dies ist ein Beispiel dafür, wie aufrechte Christen für den Frieden einstanden und mit dazu beitrugen, die Garnisonstadt Wittstock zu entmilitarisieren. Diese Ausstellung endet am 1. September und wird abgelöst von einer Karikaturenschau mit dem Titel: „Da blüht uns was“. Die Zeichnungen kreisen um die Themen Klimawandel, Landwirtschaft, Ernährung, Energiewende, Konsumverhalten und Nachhaltigkeit. Dabei wird auch die eine oder andere menschliche Schwäche im Umgang mit unserem Planeten mit spitzer Feder karikiert. Die Ausstellung wird kuratiert vom Verein Cartoonlobby, einem bundesweiten Zusammenschluss renommierter Karikaturisten.

Alle Ausstellungen spiegeln unser Verhältnis zur Natur wider – wie wir sie nutzen, genießen und schützen oder auch zerstören. In den letzten Jahrzehnten ist die Einsicht gereift, dass die Natur kein Supermarkt-Regal ist, aus dem man sich endlos bedienen kann, sondern ein sensibles Gefüge, das einen verantwortlichen Umgang erfordert.

Termine
Während der 170 Tage der Landesgartenschau wird es Führungen geben, regelmäßige Mittagsandachten und Gottesdienste und eine kleine Reihe großer Konzerte. Einige Termine stehen schon fest:
· Kindermusical Genesis (27. April)
· Chortag (19. Mai)
· Fête de la Musique (21. Juni)
· Blue Lake Fine Arts Camp (28. Juni bis 2. Juli)
· Landesposaunentag (7. September)
· Abschluss-Konzert „Die Schöpfung“ von Joseph Haydn (5. Oktober)
Weitere Termine und die Möglichkeit, sich für Führungen anzumelden, finden Sie auf der Homepage: www.laga-kirche-wittstock.de.
Zum Abschlussgottesdienst zum Erntedankfest am 6. Oktober 2019 werden die Mitarbeiter des kirchlichen LaGa-Teams, allen voran die freiwilligen Helfer, auf ein halbes Jahr intensiver Arbeit zurückblicken – auf eine besondere Zeit und auf hoffentlich reichliche „Glaubensfrüchte“.


Zum Abschlussgottesdienst zum Erntedankfest am 6. Oktober 2019 werden die Mitarbeiter des kirchlichen LaGa-Teams, allen voran die freiwilligen Helfer, auf ein halbes Jahr intensiver Arbeit zurückblicken – auf eine besondere Zeit und auf hoffentlich reichliche „Glaubensfrüchte“.

Eine passende Einstimmung dazu kann man in der Nordkapelle der St.-Marien-Kirche erleben. Sitzpolster laden zum Ruhen und zum Genießen der Hörinstallation „Avantgarde der Sehnsucht“ ein. Existentielle Worte und Gedanken von Jakob Böhme, Meister Eckhard, Novalis, Rumi und anderen Denkern und Mystikern klingen durch den Raum und fragen nach unserer Rolle auf dieser Erde in unserer Zeit.

Lilie an der Eingangstür der Dorfkirche Lüchfeld

Einen ganz besonderen Höhepunkt des Programms ist der Aufstieg in den Turm der Marienkirche. Schon die gewundenen Backsteintreppen sind ein Erlebnis, ebenso der Weg durch das imposante Dachgebälk, am Glockenstuhl vorbei zur Aussichtsplattform. Von oben hat man einen unerwartet weiten Rundblick in die Landschaft, aber auch direkt hinunter in die verwinkelten Höfe der Wittstocker Altstadthäuser. Eine neue Perspektive auf sonst Verborgenes. Hier ist die Kirche in ganz eigener Weise als ein „himmlischer Ort“ erfahrbar.

Die evangelische Gesamtkirchengemeinde Wittstock hat extra für die Gartenschau den Pfarrgarten umgestaltet. Die historische Ziegelmauer wurde saniert und erhielt einen Durchgang. Im frühen 18. Jahrhundert, als der Garten angelegt wurde, säte und erntete hier die Pfarrfamilie. Obst und Gemüse waren hochwillkommen für die eigene Küche. Jetzt ernten die Besucherinnen und Besucher im Pfarrgarten Ruhe, Kraft und Inspiration. Beim Wandeln im Kreuzgang findet jeder zu sich selbst und wird sich seiner schweren und leichten Tage im Leben bewusst. Abwechslung im Pfarrgarten bieten kleine Konzerte oder Lesungen.

Zwischen Kirche und Pfarrgarten liegt der Kirchplatz. Auch dieser Ort wurde neugestaltet und lädt ein zum Ankommen und Ausruhen. Hier gibt es eine lange geschwungene Sitzbank für Eltern und Großeltern, während die Kinder den Spielplatz mit der neu gebauten „Himmelsleiter“ erkunden können.

Weizen auf der Patene der Dorfkirche Katerbowa

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