„… das ist ein zu weites Feld“
Zu Besuch bei Effi Briest auf dem Stahnsdorfer Südwestfriedhof
Bernd Janowski ist Geschäftsführer des Förderkreises Alte Kirchen Berlin-Brandenburg e. V.
Ein Besuch des Stahnsdorfer Friedhofes lohnt doppelt: Zum einen lädt die gepflegte Garten- und Parklandschaft zu einem Spaziergang ein. Und zudem finden sich hier die Grabstellen zahlreicher Prominenter aus Politik, Kultur und Wissenschaft; eine auch nur annähernd repräsentative Aufzählung würde bei weitem den Rahmen dieses Beitrags sprengen. Uns interessiert im Fontanejahr das Grab von Effi Briest, Fontanes vermutlich populärster Romangestalt. Der Leser wird jetzt verwundert fragen: „Hier, in Stahnsdorf…?“
Der Stahnsdorfer Südwestkirchhof erstreckt sich über eine Fläche von mehr als 200 Hektar und ist damit, nach Hamburg-Ohlsdorf, der zweitgrößte Friedhof Deutschlands. Angelegt wurde er im Jahre 1909 als Begräbnisstätte für mehrere Berliner Innenstadtgemeinden, deren Friedhöfe aufgrund des massiven Bevölkerungswachstums der Hauptstadt an Platzmangel litten. Von Wannsee aus wurde eine S-Bahn-Anbindung geschaffen, deren Stationsgebäude direkt vor dem Hauteingang des Friedhofs lag. Kirchenarchitekt Gustav Werner schuf eine hölzerne Friedhofskapelle nach dem Vorbild norwegischer Stabkirchen. Als 1938 Hitlers Generalbauinspektor Albert Speer seine Pläne für die Welthauptstadt Germania präsentierte, waren fünf Schöneberger Friedhöfe der vorgesehenen Nord-Süd-Achse im Wege. Innerhalb von zwei Jahren wurden mehr als 15.000 Grabstätten nach Stahnsdorf umgebettet, darunter repräsentative Erbbegräbnisse. Nach 1945 war der Friedhof von seinen ursprünglichen Gemeinden durch die Berliner Mauer abgeschnitten. Heute wird er wieder genutzt und zahlreiche Grabstellen sind aufwändig restauriert.
Zurück zu Effi Briest: Nach der tödlichen Duellaffäre und der Scheidung von Baron Geert von Innstetten lässt Fontane seine Effi im Gutshaus ihrer Eltern im havelländischen Hohen-Cremmen früh sterben. Hier wird sie auch begraben: „Auf dem Rondell hatte sich eine kleine Änderung vollzogen, die Sonnenuhr war fort, und an der Stelle, wo sie gestanden hatte, lag seit gestern eine weiße Marmorplatte, darauf stand nichts als „Effi Briest“ und darunter ein Kreuz. Das war Effis letzte Bitte gewesen: „Ich möchte auf meinem Stein meinen alten Namen wiederhaben; ich habe dem anderen keine Ehre gemacht.“ Und es war ihr versprochen worden.“
Im Gegensatz zur Romanheldin wurde ihr reales Vorbild fast einhundert Jahre alt. Auf der Grabplatte in Stahnsdorf, die nicht aus Marmor, sondern aus schlichtem Granit gearbeitet ist, liest der Besucher: „Elisabeth Baronin von Ardenne, geb. Freiin und Edle von Plotho, geb. 26.10.1853, gest. 5.2.1952, Offb. Joh. 14,13“.
Elisabeth von Plotho wurde 1853 als Tochter des Rittergutsbesitzers und Königlich-Preußischen Deichhauptmannes Carl Albert Heinrich Felix Otto Waldemar von Plotho und seiner Frau Maria Franziska Mathilde in Zerben, einem im Jerichower Lande an der Elbe gelegenen Ort, geboren. Mit achtzehn Jahren heiratete sie den fünf Jahre älteren Offizier Armand Léon von Ardenne, dessen Vater als Königlich belgischer Generalkonsul für das Königreich Sachsen tätig war. Verlobung und Hochzeit fanden im Gutshaus der verwandten Familie von Bredow im havelländischen Stechow bei Rathenow statt. Nicht weit von hier trägt ein Dorf den Namen Briest, was Fontane vielleicht zur Namenswahl für seine Protagonistin animierte.
1881 wurde Ardenne zu den Düsseldorfer Husaren versetzt; das Ehepaar zog von der Spree an den Rhein. Zur Bekanntschaft der Familie gehörte hier der ebenfalls verheiratete Amtsrichter und talentierte Hobbymaler Emil Ferdinand Hartwich. Zwischen ihm und Elisabeth begann ein Liebesverhältnis, das brieflich fortdauerte, als die Ardennes 1884 nach Berlin zurückkehrten, wo Ardenne eine Stelle im Kriegsministerium erhielt. Elisabeth und Hartwich blieben in brieflichem Kontakt und beschlossen jeweils die Scheidung von ihren Ehepartnern. Baron von Ardenne wurde misstrauisch, brach eine Kassette mit kompromittierenden Briefen auf und forderte Hartwich zum Duell, das am 27. November 1886 in der Berliner Hasenheide stattfand. Hartwich wurde schwer verletzt in die Berliner Charité eingeliefert, wo er wenige Tage später verstarb. Die Ehe der Ardennes wurde geschieden. Baron Ardenne wurde zu zwei Jahren Festungshaft verurteilt, nach achtzehn Tagen jedoch durch einen Gnadenakt Kaiser Wilhelm I. aus der Haft in Magdeburg entlassen. Seiner Karriere tat die Affäre keinen Abbruch; er quittierte seinen Dienst 1906 als Generalleutnant.
Soweit in Kurzform die Geschichte, die Theodor Fontane zu seinem berühmtesten Roman inspirierte. Fast zeitgleich veröffentlichte übrigens der mit Fontane gut bekannte Schriftsteller Friedrich Spielhagen unter dem Titel „Zum Zeitvertreib“ einen weiteren, heute zu Recht vergessenen Roman, der die Affäre Ardenne – im damaligen Berlin natürlich Stadtgespräch – zum Thema hatte.
Elisabeth von Ardenne flüchtete nach der Scheidung zunächst zu den Stätten ihrer Jugend zurück. Für einige Zeit lebte sie in Stechow bei ihrer Cousine Ida von Bredow. Im Gegensatz zu ihrem literarischen Abbild Effi Briest verzweifelte sie jedoch nicht, sondern begann eine Ausbildung zur Krankenpflegerin, einem Beruf, dem sie sich aufopferungsvoll bis ins hohe Alter widmete. Religiösen Trost fand sie immer wieder bei dem seinerzeit bekannten Erweckungsprediger Johann Christoph Blumhardt im württembergischen Bad Boll.
Elisabeth von Ardenne, geborene von Plotho, starb 1952 in Lindau am Bodensee. Über ihr Leben ließe sich noch vieles berichten. Aber an dieser Stelle ist das wohl leider ein zu weites Feld…
Eine wunderbare Würdigung erfuhr Elisabeth durch ihren Enkel, den Physiker Manfred von Ardenne: „Noch im hohen Alter war ihr Gesicht von einer berückenden, edlen Schönheit. Ein kluger Mann hat einmal gesagt, eine Frau, die mit sechzehn Jahren schön ist, verdiene keinerlei Bewunderung. Ist sie es aber noch mit sechzig Jahren, dann dankt sie dies ihrer Seele… Ihr Lebensweg, ihre tiefe Menschlichkeit und Lebensweisheit machte aus meiner Großmutter eine der verehrungswürdigsten Frauengestalten, die späteren Generationen in schweren und leichten Tagen unendlich viel geben können.“
So viel Geschichte und Geschichten erzählt eine unscheinbare Grabplatte auf dem Stahnsdorfer Südwestkirchhof. Während der Besucher noch über Effi und Elisabeth nachsinnt, ist es durchaus möglich, dass er plötzlich aus seinen Gedanken gerissen wird, wenn er auf dem Rückweg, nicht weit von der Kapelle, auf einem aufgerichteten Findling den Namen Theodor Fontane liest. Ein zweiter Blick schafft Klarheit: Der hier Beigesetzte war „Wirklicher Geheimer Kriegsrat“ und lebte von 1856 bis 1933; es handelt sich um den zweitältesten Sohn des Dichters. Sein Vater, der märkische Wanderer und Romanautor, fand seine letzte Ruhe auf dem Friedhof II der Französischen Gemeinde an der Liesenstraße in Berlin-Mitte.