Alles Raben: „Ach, ach Schwartz vor wie nach“
Die himmlische Dusche
Dr. Ulrich Schöntube ist Pfarrer in Berlin-Frohnau
Im vergangenen Jahr standen die Gestühlsmalereien der uckermärkischen Dorfkirche Kunow im Mittelpunkt einer Spendenkampagne des Förderkreises Alte Kirchen und des Brandenburgischen Landesamtes für Denkmalpflege. Die 61 Bilder zeigen sehr oft ein Herz, das sich in sagenhaften Situationen befindet. Mal ist das Herz in einer Muschel auf einem Meer oder es wird von einer Geldkiste erdrückt. Der größte Teil der Malereien geht auf Emblembücher des Stettiner Lutheraners Daniel Cramer (1568 – 1637) zurück. Die Emblematik war eine Literaturgattung im Barock, in der Bild und Text in allegorischen oder symbolischen Bezügen miteinander verwoben sind. Die Emblembücher Daniel Cramers sind vergleichsweise einfach zu verstehen. Sie waren deshalb seinerzeit als Vorlage für Kirchenausstattungen sehr beliebt. Drei Kunower Embleme lassen sich allerdings auf andere Quellen zurückführen. Zu ihnen gehört der Rabe. Er wird von himmlischer Hand begossen. Dazu wurde die Überschrift gesetzt: „Ach, ach Schwartz vor wie nach.“ Woran sollte der Betrachter des Bildes denken – vielleicht an die Taufe? Luther hatte die Taufe so verstanden, dass der Mensch den „alten Adam täglich“ ersäufen müsse. Mit dem heiteren Zusatz „Aber der Hund kann schwimmen“ meinte er: Der Getaufte soll sich täglich seine Taufe aneignen, weil er – so könnte man das Emblem deuten – auch nach der Taufe ein schwarzer Adamsrabe ist.
Auf der Ebene der Quelle stellt sich das Verständnis des Rabenemblems jedoch ganz anders dar. Der Schlüssel ist eine emblematische Tafelmalerei in der Dorfkirche Mellenthin auf Usedom. Hier ist ein Gärtner dargestellt, der gleich drei Raben begießt. Im Hintergrund ist ein Brunnen zu sehen. Das Motto variiert ein wenig im Vergleich zu Kunow: „Ach Ach Schwartz vor als nach“. Die Bilder in Kunow und Mellenthin sind in Motiv und Motto verwandt. Für Mellenthin konnte als Quelle ein Andachtsbuch von Johann Lassenius (1636-1692) durch den Münchener Emblemforscher Dietmar Peil identifiziert werden. Lassenius stammte aus dem pommerschen Waldow, studierte unter anderem in Rostock Theologie bei Heinrich Müller, verdingte sich als Hofmeister und Lehrer in Nürnberg, bis er Hauptpastor in der deutschen Petrikirche in Kopenhagen wurde. Lassenius war einer der eloquentesten Prediger des Barock. Seine Bibelauslegungen wurden bis in das 19. Jahrhundert hinein rezipiert. Dazu gehört auch der sogenannte „Heilige Perlenschatz“, ein umfangreiches Buch biblischer Tagesandachten für jeden Morgen und Abend. Das Buch erschien erstmals 1688. Lassenius’ Sprache ist sehr bildreich. Dies regte offenbar den Herausgeber an, Kupferstiche für einige der Andachten entwerfen zu lassen. Ein direkter, durch den Autor erklärter Zusammenhang zwischen den Kupferstichen und den Auslegungen besteht oft nicht. Meist scheint es nur ein Stichwort in der Andacht zu sein, das eine Bildidee für den hinzugesetzten emblematischen Kupferstich lieferte. Dies gilt auch für das Rabenemblem. Für den Abend des 28. Juni bedenkt Lassenius die Vergeblichkeit der guten Predigt.
Dazu gibt es in einem Nebensatz der Andacht einen für uns interessanten Vergleich: Mancher predigt vergeblich, ohne dass ein Wille zur Änderung in der Gemeinde vorhanden ist. „Der Arbeit Frucht muß Gott heimgestellt werden; Verzweiffelte Sünden / und schwartze Raben, lassen sich mit keinem Wasser weiß machen? Der Meister thut doch sein Bestes; auch der Prädicant das Seinige; Der die Blutrothe Sünde kann weiß machen? Könnte auch jenes / so die schwartzen Sünder selbst wollten;“ Also mit anderen Worten: Aus den schwarzen Raben könnten weiße Tauben der Reinheit werden, wenn sie nur hören wollten. Lassenius’ Kupferstecher Hubert Schaten orientierte sich an diesem Vergleich. Er entwarf ein Bild, in dem ein Gärtner schwarze Raben begießt. Der Gärtner ist also der Prediger, der seine Gemeinde mit dem Wort Gottes überschüttet, die jedoch „Ach, Ach schwartz vor alß nach“ der Predigt bleibt. „Der arme Gärtner“, möchte man denken. Aber Mitleid braucht gar nicht aufzukommen. Denn nun kommt die Vignette des Kupferstichs in Betracht. Der Fluss des Wassers aus der Kanne des Predigers ergießt sich über die Vignette aus dem Bild heraus auf den Leser zu. Ein Rabe mit geöffnetem Schnabel scheint den Seufzer des Mottos zu hauchen: „Ach“. Dadurch wird der Leser hineingezogen in die Szene, denn auf ihn strömt das Wasser ja zu. Er ist also auch so ein Rabe, der im Fluss der Worte des Kopenhagener Pfarrers steht.
In der Rezeption dieses Emblems in Mellenthin und Kunow ist dieses anregende, performative Element des literarischen Emblems weggefallen. In Mellenthin wurden das zentrale Bild und das Motto recht unverändert übernommen. In Kunow wird das Motiv jedoch sehr interessant transformiert. Die Bildttafel, die sich heute ganz in der Nähe der Kanzel im wahrscheinlichen Pastorengestühl befindet, ist gegenüber der Vorlage auf das Wesentliche konzentriert – nämlich auf die himmlische Dusche. Eine Hand aus den Wolken begießt den Raben. Aber wenn Gott nun selbst sein Wort ausgießt, in welcher Rolle sah sich dann der Prediger? Was dachte er bei diesem Bild? Auf dem Weg zur Kanzel muss er doch darauf geschaut haben? Falls er um diese spezielle Herkunft des Bildmotivs aus dem Perlenschatz wusste, welche Ironie beflügelte dann seinen Dienst: Seine Gemeinde und „Ach“ auch er selbst – Alles Raben!