Ick schnack platt, du ook?

Dr. Uwe Czubatynski ist Theologe und Bibliothekar, war von 1994–2007 Gemeindepfarrer in der Prignitz und 2007–2022 Archivar des Domstifts Brandenburg. Er ist Vorsitzender des Vereins für Geschichte der Prignitz.

Neues Leben für eine alte Sprache

Platt räden is bäter as platt maoken“ oder: „Uns‘ Platt is ook hüüt noch wat“ – mit solch eingängigen Sprüchen wird des Öfteren versucht, auf die Arbeit derjenigen aufmerksam zu machen, die sich um die Pflege des Niederdeutschen kümmern. Kritiker mögen der Ansicht sein, dass es sich um ein randständiges Thema handelt und damit bloße Traditionspflege betrieben wird. Aber es steckt deutlich mehr dahinter. Die Vorteile des Plattdeutschen liegen für jeden auf der Hand, der sich eingehender damit beschäftigt:

Wer Platt spricht, muss zwangsläufig eine einfache, bilderreiche Sprache benutzen und kann keine komplizierten Schachtelsätze bilden.

Die Wörter und Wendungen sind dem alltäglichen Erleben entnommen. Wer Platt schreiben will, muss zuvor dem Volk wirklich „aufs Maul geschaut“ haben. Und doch ist das Plattdeutsche alles andere als eine primitive Sprache. Im Mittelalter wurden im ganzen Gebiet der Hanse Urkunden und Briefe, Chroniken, Rechnungen und Testamente auf Niederdeutsch abgefasst. Verstanden wurde diese Sprache von Holland im Westen bis in die baltischen Staaten im Osten. Als Schriftsprache wurde sie aber seit dem 16. Jahrhundert weitestgehend durch das frühe Neuhochdeutsch verdrängt. Deshalb ist es umso erstaunlicher, dass sich das Plattdeutsche im mündlichen Gebrauch über die Jahrhunderte hinweg erhalten hat.

Allerdings sind die regionalen Unterschiede ganz erheblich. In Niedersachsen sind die grammatischen Formen anders als Mecklenburg-Vorpommern, im Magdeburger Raum ist die Lautung und die Aussprache nicht dieselbe wie in der Altmark, und selbst innerhalb der Prignitz wird kein einheitliches Platt gesprochen. Diese kleinen Differenzen erschweren den Austausch zwischen den einzelnen Landschaften, machen aber auch die Beschäftigung mit der Materie interessant. Jedenfalls ist das Niederdeutsche, so sagt es die Sprachwissenschaft, kein Dialekt des Hochdeutschen, sondern eine deutlich ältere Sprachstufe, die nicht zufällig viele Gemeinsamkeiten mit dem Englischen, dem Niederländischen und den skandinavischen Sprachen aufweist. Im politischen Sprachgebrauch hat sich inzwischen die Bezeichnung als Regionalsprache durchgesetzt, ein ganz glücklicher Kompromiss, der die schwierige Abgrenzung zur Hochsprache umgeht.

In Brandenburg hat es das Niederdeutsche nicht ganz einfach, da es hierzulande deutlich weniger Sprecher gibt als in Schleswig-Holstein, Niedersachsen oder Mecklenburg. Zurückgedrängt worden ist es durch den übermächtigen Einfluss Berlins, nach dem Zweiten Weltkrieg aber auch durch den Zuzug vieler Vertriebener und schon lange durch die Medien, die sich fast ausschließlich des Hochdeutschen bedienen. Trotzdem hat es immer wieder Aktivitäten gegeben, das Plattdeutsche mit seinem hohen kulturellen Wert zu bewahren. Schwerpunkte liegen insbesondere in der Uckermark und in der Prignitz, auch im Havelland, im Fläming und im Oderbruch mit ihren ganz eigenen Identitäten. An etlichen Orten gab und gibt es ungezwungene Treffen, bei denen die Kenntnisse ausgetauscht werden.

In jüngster Zeit haben diese Bemühungen erheblich an Fahrt gewonnen, weil auf europäischer Ebene erkannt worden ist, dass viele Regionalsprachen inzwischen akut gefährdet sind. Im vergangenen Jahr hat sich daher auch das Land Brandenburg entschieden – ein sehr ungewöhnlicher und bemerkenswerter Vorgang – das Niederdeutsche in seiner Verfassung zu verankern. Damit ist endlich anerkannt worden, dass nicht nur das Sorbische ein schützenswertes Kulturgut darstellt. Der Verein für Niederdeutsch im Land Brandenburg e.V. hat unterdessen nach dem Vorbild anderer Bundesländer eine plattdeutsche Fibel für den Schulgebrauch, neuerdings auch eine Handreichung für die Anwendung des Plattdeutschen im Pflegealltag herausgegeben.

Im kirchlichen Bereich ist das Plattdeutsche erst ganz allmählich wiederentdeckt worden, in Brandenburg jedenfalls deutlich später als in anderen norddeutschen Regionen. Einer der ganz wenigen, der bereits zum Ende der DDR-Zeit plattdeutsche Gottesdienste hielt, war Pfarrer Gottfried Winter in Groß Breese (Prignitz). Sie erfreuten sich großer Beliebtheit, weil sie nicht nur den Eindruck einer bodenständigen Verkündigung hinterließen, sondern weil sie die biblische Botschaft auf eine ganz neue Art zu erschließen vermochten. Vier Bände dieser Predigten sind im Druck erschienen. Gottfried Winters Erbe wird bis heute an verschiedenen Orten fortgesetzt. Ende 2018 haben sich diejenigen, die sich in dieser Form der Verkündigung engagieren, unter der Leitung von Ute Eisenack zu einer Arbeitsgemeinschaft „Plattdüütsch in de Kirch Berlin-Brannenborch“ zusammengeschlossen.

Die Vorbereitung der plattdeutschen Gottesdienste erfordert einen erheblichen Aufwand, weil nicht nur die Predigt, sondern auch sämtliche Lieder, die liturgischen Stücke und Lesungen sowie die Fürbitten in Platt geschrieben oder übertragen werden müssen. Quitzöbel zum Beispiel, direkt an Elbe und Havel gelegen, gehört zu den relativ wenigen Dörfern der Prignitz, in denen gelegentlich noch Platt gesprochen wird. Die Lage des Dorfes abseits von den größeren Städten hat dafür gesorgt, dass sich wenigstens Reste dieser jahrhundertealten Umgangssprache bis in die Gegenwart erhalten haben. Seit 1996 gibt es in der ansehnlichen Dorfkirche einmal jährlich einen plattdeutschen Gottesdienst mit anschließender Kaffeetafel im Dorfgemeinschaftshaus. Zu den Besonderheiten dieses gut besuchten Gottesdienstes zählt es, dass sich mehrere Lektoren an den Lesungen beteiligen, die immer wieder neu den örtlichen Sprachgewohnheiten angepasst werden müssen.

Dorfkirche Quitzöbel

TERMIN VORMERKEN

Plattdeutscher Gottesdienst in Quitzöbel: Sonntag, 16. Juli 2023, 14.00 Uhr

Kostprobe aus dem Psalm 23

In jüngster Zeit bemüht sich die Arbeitsgemeinschaft mit Unterstützung der Neuen Hamburger Bibelgesellschaft darum, eine kleine Auswahl von Psalmen in das Prignitzer Platt zu übersetzen. Als kleine Kostprobe dessen, was die freie, aber möglichst sinngemäße Übertragung jener altbekannten Texte bedeutet, soll an dieser Stelle Psalm 23 stehen:

  1. De Herr nimmt mi an de Hand, mi werrd nix fähln.
  2. He stellt mi up de gröne Wischen un gifft mi frischet Waoter to drinken.
  3. He maokt mien Seel janz nei. He bröcht mi up denn rechten Wech, dorüm dat sien Naom hillig is.
  4. Wenn ick ook wannern do, wo dat düster is, hebb ick keen Bang, denn du büst alltied bi mi. Dien Sticken un dien Stock hemm mi tröst.
  5. Du hest een Disch för mi indeckt, wenn mi ook änner Lüü trakteern. Du salwst mi in müt düerm Öl un maokst mi dat Glas bet bowen vull.
  6. Dien Mitleed bliwwt bi mi so lang, as ick läwen do. Un ick will bliewen in dien Huus för ümmer un ewich.
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Die Zahlen haben gewaltige Ausmaße: Angesichts der ständig sinkenden Zahl von Kirchenmitgliedern werden bis zu 30 Prozent aller Kirchen in Berlin und Brandenburg in den nächsten zwanzig Jahren für den Gottesdienst selten bis gar nicht mehr genutzt werden.

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Das Kirchliche Bauamt der EKBO und der Kirchenkreis Prignitz sowie die Kooperationspartner: der Förderkreis Alte Kirchen Berlin-Brandenburg e.V., der Förderverein Baukultur Brandenburg e.V., das Brandenburgische Landesamt für Denkmalpflege und Archäologisches Landesmuseum, die Brandenburgische Architektenkammer, das Deutsche Nationalkomitee für Denkmalschutz und die Deutsche Stiftung Denkmalschutz laden Sie zu der Tagung.