500 Kirchen – 500 Ideen

Elke Bergt ist Dipl.-Ing. Architektin und Leiterin des Baureferats der Evangelischen Kirchein Mitteldeutschland.

Von mutigen Aufbrüchen und notwendigen Abschieden

Ausstellung „500 Kirchen – 500 Ideen“ in der Erfurter Kaufmannskirche

Im zweiten Buch Mose heißt es „Soviel du brauchst“. Was aber ist das richtige Maß, wenn es um unsere Kirchen, Pfarr- und Gemeindehäuser und die vielen anderen Gebäude geht? Was brauchen wir als Kirche, was als Gesellschaft, und wer kann und sollte welchen Beitrag für deren Erhaltung leisten? Um Antworten auf diese Fragen ringen angesichts der aktuellen gesellschaftlichen Entwicklung alle Landeskirchen und wir stehen da noch immer am Anfang. Aufzeigen möchte ich, wie wir als Evangelische Kirche in Mitteldeutschland (EKM) uns gerade aufstellen, welche Wege wir verfolgen und auch, wofür es noch keine Lösungen gibt.

Die EKM ist eine Flächenkirche, die sich über vier Bundesländer erstreckt. Sie reicht von Sonneberg bis Salzwedel, von der ehemaligen innerdeutschen Grenze bis hinein nach Sachsen und Brandenburg. Es gibt unzählige Dörfer und kleinere Städte, aber kaum Metropolen. Der ländlich geprägte Bereich überwiegt deutlich und es gibt enorme Unterschiede zwischen Gemeinden im Thüringer Wald und in der Altmark; auf der einen Seite noch eine deutliche volkskirchliche Prägung, auf der anderen Seite Pfarrbereiche mit bis zu 27 Kleinstgemeinden. Etwa 20 Prozent aller evangelischen Kirchen Deutschlands stehen in der EKM; fast 4.000 Kirchen und Kapellen mit etwa 4.000 Orgeln, 10.000 Glocken und mehr als 150.000 Kunstgegenständen. Und sie stehen fast ausnahmslos unter Denkmalschutz. Viele sind mittelalterlichen Ursprungs. Für all diese Schätze sind immer weniger Kirchenmitglieder zuständig.

Um mit dieser Situation umzugehen, gibt es in der EKM seit Jahren mehrere Projekte. So sind unsere „Erprobungsräume“ eine Ermunterung, Kirche inhaltlich neu zu denken. Wir unterstützen intensiv die „Offenen Kirchen“ und fördern mit einem Ehrenamtspreis besonderes Engagement, kreatives Fundraising und innovative Nutzungsideen der über 400 Kirchbauvereine und -initiativen in der EKM. Seit zwei Jahren arbeiten wir auch verstärkt an Gebäudekonzeptionen. „Von mutigen Aufbrüchen und notwendigen Abschieden“ ist der Titel unserer Leitlinien. „Soviel du brauchst“. Das gilt es festzustellen und darauf die Kräfte der Kirchengemeinden zu konzentrieren – sich dessen bewusst, dass manches aufgegeben oder neue Konzepte zur Erhaltung gefunden werden müssen.

Damit bin ich bei den Modellprojekten kreuz und quer in Thüringer Kirchen. Die Internationale Bauausstellung (IBA) Thüringen ging 2013 mit dem Anspruch an den Start, Lösungen für die Herausforderungen des demografischen Wandels in Thüringen zu erkunden.

Themen: Bevölkerungsrückgang, Leerstand, Versorgung und Energie – alles nach wie vor hochaktuell.

Zum ersten Kandidatenaufruf 2014 bewarb sich die EKM mit der Fragestellung: „Perspektiven für kirchliche Gebäude – Aufgabe, Abgabe, Wandel?“ Damit wurden wir IBA-Kandidat. Ein Grund dafür war, dass man den Umgang insbesondere mit den Kirchengebäuden als gesellschaftlich relevant ansah, der andere, dass demografische Prozesse bei uns durch die zunehmende Säkularisierung der Gesellschaft noch einmal deutlich schneller ablaufen – ein gutes Versuchsfeld also.

IBA, das hieß für das Kirchenprojekt eine gesamtgesellschaftliche Betrachtung, das hieß Experimentierraum und externe Expertise durch den IBA-Fachbeirat und eine Projektleiterin. Wir wollten einen ehrlichen innerkirchlichen und einen öffentlichen Diskurs zum Thema, das Ausloten von Grenzen hinsichtlich der Nutzung und Gestaltung unserer denkmalgeschützten Kirchen, aber auch Offenheit für neue Partnerschaften. Und wir stellten die Frage, was es braucht, damit Kirchengemeinden sich auf Neues einlassen.

Heute, neun Jahre später, im Finaljahr der IBA Thüringen blicken wir auf einen sehr inspirierenden, weitgehend erfolgreichen und mitunter mühsamen Weg zurück. Die Inspiration will ich gern weiter geben, aber auch einige Erfahrungen zu den Mühen und Hemmnissen.

2016 starteten wir mit einem Ideenaufruf an Kirchengemeinden, Künstlerinnen und Künstler, Studierende, Kinder, Kirchbauvereine, Bürgermeister und verschiedenste Akteure in den Orten. Die Ergebnisse konnten wir 2017 in der Ausstellung „500 Kirchen – 500 Ideen“ in der Erfurter Kaufmannskirche zeigen und diskutieren. 500 Kirchen, das waren die, welche nach unseren Erfahrungen kaum oder gar nicht mehr genutzt wurden, nämlich 25 Prozent der rund 2.000 EKM-Kirchen in Thüringen. Und tatsächlich kamen bis zum Ende der Ausstellung über 500 Ideen zusammen.

Sie ließen sich folgenden Themengruppen zuordnen: Kunst, Natur, Beherbergung, Gesundheit, Vernetzung und Soziales. Erste Erfahrungen machten deutlich:

An Ideen mangelt es nicht und es geht nicht um Umnutzungen, sondern um Quernutzungen, die parallel zur Liturgie und den klassischen gemeindlichen Nutzungen etabliert werden.

Eine Co-Existenz, keine Umwidmung. Kirche soll Kirche bleiben! Eine weitere Erkenntnis war, dass der Zugang einer breiten Öffentlichkeit zu diesen Räumen ein Schlüssel für Kirchenerhalt ist. Dementsprechend lautete das Thema des Kirchbautags 2019 „Aufgeschlossen – Kirchen als öffentlicher Raum“.

Dass Kirche mit ihren Räumen ein Motor für Zukunftsprozesse sein kann, möchte ich Ihnen anhand einiger Modellprojekte erläutern. Matthias Horx vom Zukunftsinstitut beschreibt in „Die fünf Pfeiler der progressiven Provinz“, was es für ein zukunftsfähiges Dorf braucht. Unsere Modellvorhaben lassen sich damit gut verbinden.

PFEILER NUMMER 1

Lokale Visionärinnen: Die Netzwerkkirche Ellrich

Ellrich ist eine Kleinststadt mit etwa 3.000 Einwohnern. Sie liegt im Südharz nahe der ehemaligen innerdeutschen Grenze und hat eine schwierige Geschichte: KZ-Außenstelle im Zweiten Weltkrieg, Grenzgebiet zu DDR-Zeiten und ein hoher Einwohnerverlust nach der Grenzöffnung 1989. Ein Wahrzeichen dieser Geschichte sind die fehlenden Türme der Johanniskirche mitten in der Stadt, wegen Baufälligkeit abgebrochen in den 1970er Jahren.

Die Idee, aus dieser Kirche einen Ort für neue Impulse made in Ellrich zu machen, entstand, indem man sich zunächst den Wunden widmete. In Hörkreisen, die der Schweizer Künstler Jürg Montalta durchführte, wurden Geschichten und Geschichte erzählt um sich dann, befreit von der Last der Vergangenheit, der Zukunft Ellrichs zu widmen. In einer Werkstattwoche wurde zunächst multiple Kirchennutzung getestet. Um die Menschen aus Ellrich in die Kirche zu locken, war die Aufgabe, dass alle Gegenstände, die man dafür braucht, im Ort zusammengeborgt werden. Und man brauchte viel im Ellricher Gastgeberklub, denn in St. Johannis gab es eine Woche lang Tischtennisspiel, Pizzabacken, Ausstellungen, Leseveranstaltungen und vieles mehr; und es wurde gemeinsam gekocht und gegessen.

Netzwerker wollte man sein für die aus mehreren Dörfern bestehende Kirchengemeinde und für die Stadt Ellrich. Im Schulterschluss mit dem Bürgermeister gelang es inzwischen, den Innenraum der Kirche so umzugestalten, dass ein großer Möglichkeitsraum entstanden ist. Am 1. Dezember 2022 wurde der neue Raum eingeweiht. Gerade arbeitet eine lebendige Arbeitsgruppe unter der Leitung einer jungen nach Ellrich zurückgekehrten Architektin an dem Konzept einer Möbellandschaft, die diesen Raum in ein Atelier, eine Werkstatt, einen Markt, ein Theater, eine Messehalle – aber immer auch wieder in eine Kirche verwandeln kann. Und natürlich hat man inzwischen längst ein Konzept zum Wiederaufbau der Türme sowie die Finanzierung dazu. Ein Gemeinschaftswerk von Kirchengemeinde, Kirchbauverein, Kommune und einer Gruppe, die sich nicht ohne Grund „Die Netzwerker“ nennt.

Es sind Visionäre und sie verfolgen erfolgreich, manchmal stur, ihre Ziele. Ohne Anstoß von außen, ohne die vielen Diskussionen zwischen Kirche, Stadt und IBA wäre man heute nicht an dieser Stelle. Auch Visionäre brauchen Impulse und Ermutigung.

PFEILER NUMMER 2

Transitorische Architekturen: Das MA in Apolda

Apolda: Entwurf Atelier S+T Leipzig

MA für Martinskirche. Hier entsteht ein soziokulturelles Zentrum, und zwar in einer aufregenden und andersartigen Architektur als man das in Apolda erwarten würde.

Ursprünglich war es die Idee eines Sozialkaufhauses, das in der Martinskirche geplant war. Sozial Schwache sollten in der Stadt für ihre Bedürfnisse sorgen können und nicht im Industriegebiet am Rande der Stadt. Leider ließ sich das in der mittelalterlichen Kirche mit begrenztem Platz nicht realisieren. Aber einen sozialen Zweck sollte das ungenutzte Kirchenschiff dennoch bekommen. Nun wird dort der Treffpunkt MA entstehen. Er umfasst Gemeinderäume als Haus im Haus sowie im Turm und bietet im Erdgeschoss einen Platz für diverse öffentliche, insbesondere auch soziale Zwecke an. Man kann sich dort ein Café vorstellen; durch die zu drei Seiten geöffneten Türen fahren Jugendliche von der benachbarten Skaterbahn direkt durch diesen Raum zur Schule. Oder es findet eine riesige Tafel für Bedürftige dort Platz. Freiwillige Jugendliche und Mitarbeitende der Diakonie, die im benachbarten ehemaligen Pfarrhaus arbeiten, kochen und kümmern sich um ihre Gäste. Es gibt Musik und auch eine kleine Ausstellung. Auch hier entsteht ein Möglichkeitsraum, darüber alles, was die Kirchengemeinde für ihre Arbeit – die übrigens bereits jetzt sozial ausgerichtet und sehr vielfältig ist – braucht. Die Kirchengemeinde Apolda hat hier ihr Zuhause. Andere Gebäude werden dafür abgegeben.

Auf die besondere Architektur, die aus einem Wettbewerb hervorgegangen ist, ist man sehr stolz. Bereits jetzt ist das Interesse der Apoldaer und darüber hinaus groß. Nicht jeder findet den Entwurf gut, aber man diskutiert darüber; er wird wahrgenommen.

Einen Planungswettbewerb und den Entschluss für einen so ungewöhnlichen Entwurf hätte es ohne Unterstützung durch die IBA Thüringen in Apolda nicht gegeben. Immer wieder wies die IBA-Projektleiterin auf die notwendige Exzellenz der Gestaltung hin und zerstreute damit auch Zweifel. Nach einem langen und zermürbenden Kampf um die Finanzierung kann in diesem Jahr endlich mit dem Bau begonnen werden. Hier brauchte es sehr viel Ausdauer, Kraft, Durchhaltevermögen und Unterstützung, um trotz vieler Widrigkeiten an der Idee festzuhalten.

DRITTER PFEILER

Es braucht Resonanzräume: Die Herbergskirchen

Dafür sind die Herbergskirchen am Rennsteig das beste Beispiel. Begonnen hat alles mit Horst und Hannes. Horst, Kirchenältester in Neustadt am Rennsteig und Hannes, ein junger Berliner Architekt mit Wurzeln im Thüringer Wald und der großen Sehnsucht der Stadtmenschen nach einer idyllischen, ländlichen Umgebung (nicht als Wohnort, aber zur Erholung). Hannes entwickelte die Idee der Her(r)bergskirchen plus. Kirchen entlang des Rennsteigs, die man erwandern, erkunden und in denen man auch schlafen konnte – allein oder zu zweit in einem riesigen Kirchenraum. Dazu die Kirchengemeinde, die Gäste empfängt, etwas über die Kirche, die Gemeinde und die Region erzählt und die Gäste auch am gemeindlichen Leben teilhaben lässt – ganz exklusiv. Für die Gastgeber steht hier Horst, ein drahtiger 70-jähriger voller Lebensfreude und Freundlichkeit; hinter sich eine Gruppe weiterer Mitstreiter, denn irgendjemand muss aufschließen, die Wäsche wechseln und vieles mehr. Die Herbergskirche in Neustadt am Rennsteig existiert seit 2017 und ist inzwischen in den Monaten April bis Oktober meist ausgebucht. Gäste kommen aus der ganzen Welt und die Eintragungen im Gästebuch sprechen von großer Dankbarkeit, dass dieses besondere Schlaferlebnis hier möglich ist. Die Einnahmen decken inzwischen die Kosten und helfen, die Kirche zu erhalten. Mittlerweile gibt es drei weitere Herbergskirchen am Rennsteig. Jede ist individuell angepasst. Mal ist es das Herbergszimmer im Turm, mal eine Liege, die sich der Gast nehmen und einen beliebigen Schlafort in der Kirche auswählen kann. Oder es ist das Einzel- oder Doppelbett auf der Empore. Gleich ist der blaue Vorhang, gleich ist auch die mit viel Raumgespür angepasste Gestaltung der Schlafstätten. Und gemeinsam haben alle Herbergskirchen, dass der bauliche Aufwand äußerst gering ist, man zusammen entwickelt und baut und dass in der Startphase begleitet wird. Zukunft braucht Resonanzräume mit Weltoffenheit, Kirchen können das leisten.

VIERTER PFEILER

USP des Dorfes: Die Feuerorgel in Krobitz

USP – Unique selling proposition oder Alleinstellungsmerkmal. Unsere Kirchen haben in der Regel viele Alleinstellungsmerkmale. Sie sind häufig das älteste Bauwerk im Ort, ihre Türme sind weithin sichtbar und die Räume atmen Geschichte. Als Glaubensorte gesellen sie sich maximal zu denen anderer Glaubensrichtungen. Das allerdings spielt gesellschaftlich keine so große Rolle mehr. Dennoch, sie sind besondere Orte, das wird jedem Besucher bewusst, auch wenn er die eigene Kirchengemeinde nicht kennt. Ein Beispiel dafür ist die kleine romanische Kapelle in Krobitz, einem Dorf mit nur acht Häusern und dieser kleinen Kirche auf dem Feld. Seit den 1950er Jahren diente sie nur noch als Lager und Abstellmöglichkeit. Einmal im Jahr fand vor der Kirche ein großer Himmelfahrtsgottesdienst statt. Die Lage mit freiem Blick in die Landschaft hinab ins Orlatal ist bemerkenswert.

Im etwa zwei Kilometer entfernten Weira hat die Kirchengemeinde eine weitere Kirche. Sie reicht aus – und so war St. Annen in Krobitz eine vergessene Schönheit, die vor Ort niemand mehr sah. 2016 suchten wir nach einem Ort, an dem der Künstler Carsten Nicolai aus Berlin eine ungenutzte Kirche umgestalten konnte. Nach der Besichtigung von rund 20 Kirchen standen wir gemeinsam in der St.-Annen-Kapelle in Krobitz und waren verzaubert. Sie nahm uns sofort gefangen. Carsten Nicolai verwirklichte hier das Projekt „Organ“ mit der Doppeldeutigkeit des englischen Begriffs und erläuterte, dass er mit der Orgel dem Raum ein Lebensorgan wiedergeben wollte. Das ist ihm mit der Feuerorgel gelungen. Die gasbetriebene Orgel erzeugt durch Luftschwingungen in Glasröhren, die sich heben und senken, tiefe und kontemplativ wirkende Töne. Um dem Elf-Minuten-Stück von Carsten Nicolai zu lauschen, sitzt man auf der neuen umlaufenden Eichenholzbank. Ein Stampflehmboden ersetzt die vormals morsche Dielung. Jeden ersten Sonntag im Monat bzw. auf Anfrage wird die Kapelle geöffnet. Kümmerer sind die Bewohner des Ortes. Sie gehören nicht zur Kirchengemeinde, wollen aber diesen besonderen Ort für ihr Dorf erhalten und bewahren. Und auch die Kirchengemeinde hat diesen Ort wiederentdeckt. Inzwischen gab es schon eine Trauung in der Kapelle. Die Gäste der Feuerorgel kommen aus der nahen Umgebung, aber auch aus Leipzig, Berlin oder Chemnitz. Dass es in Krobitz eine Besonderheit gibt, eine kleine alte Kapelle mit einer modernen Feuerorgel, hat sich zumindest in Insiderkreisen herumgesprochen.

Was wäre aus der Kapelle geworden, wenn wir nicht nach einem Ort für die Kunst gesucht hätten, wenn die IBA nicht den Kontakt zu Carsten Nicolai vermittelt hätte, wenn der Bürgermeister nicht nach dem Zögern der Kirchengemeinde eine Bürgerversammlung einberufen hätte und wenn nicht zwei beherzte Familienväter den Anfang gemacht hätten? Es ist Gott sei Dank anders gekommen! Die St.-Annen- Kapelle ist ein Ort für das Dorf geworden. Zu Weihnachten oder zum Jahreswechsel trifft man sich hier, zündet Kerzen an, trinkt einen Glühwein und geht beseelt nach Hause. Besucher genießen die Gestaltung des Raumes, die Musik und den Blick in die Landschaft. Ein Ort der Ruhe und ein Stück Heimat.

FÜNFTER PFEILER

Global Mindset: Die Bienen-Garten-Kirche in Roldisleben

Roldisleben ist ebenfalls ein ganz kleines Dorf mit etwa 150 Einwohnern, ein Sackgassendorf im Nordosten Thüringens. Ringsum Felder so weit das Auge schaut. Mittendrin dieser grüne Fleck Roldisleben und mitten in diesem Fleck die kleine Kirche St. Peter und Paul. Auch diese Kirche wird eigentlich nicht mehr gebraucht. Aber es gab und gibt kreative Menschen, für die dieser Ort zu ihrer Heimat gehört. So entstand ein Projekt, das sich ganz bewusst der Natur und der Bewahrung der Schöpfung widmet, die Bienen- Garten-Kirche.

Inzwischen findet man dort vor der Kirche einen Pavillon mit Informationen zu Bienen; der Garten ist bepflanzt und es steht eine Schaubeute mit Bienen dort. Kinder der Schule des Nachbarortes sind mit ihren Lehrern Teil des europaweiten Naturschutzprojekts „we 4 bee“. Regelmäßig kommt ein Bienenprofessor von der Universität Wuppertal und hält Vorträge; Künstlerinnen und Künstler können zum Thema Wachs und Bienen ausstellen. Dazu wird dann auch mal schnell das Kirchengestühl herausgeräumt. Vergangenes Jahr wurde ein Gemeinwohlschrank aufgestellt und vor wenigen Wochen die Skulpturen „Petra und Paula“. Sie weisen auf das Thema Bienen hin und beherbergen Beuten. Gemeinsam mit dem Arboretum, in dem jedes Jahr der Baum des Jahres gepflanzt wird, und der „Spiegelarche“, einem Kunstprojekt in der weiten Landschaft, rückt hier das Dorf mit Blick auf das Thema Bewahrung der Schöpfung zusammen und entwickelt Stolz auf das Geschaffte. Die Hauptakteure sind Menschen verschiedener Generationen: ein älteres Ehepaar, hier schon lange fest beheimatet; ein Landschaftsarchitekten-Ehepaar aus Wiesbaden mit einer Liebe für die Thüringer Landschaft, ein aus den Niederlanden stammendes Holzkünstler-Ehepaar- vor einiger Zeit hierher gezogen, ein Pfarrer und seine Familie und viele andere mehr. Es ist ihr Dorf, ihre Heimat und sie gestalten sie.

Ohne die Projektentwicklung und die Anerkennung als IBA-Modellprojekt der EKM wäre das Projekt sicher nicht so weit gediehen. Die Würdigung und Unterstützung hat beflügelt, Impulse gegeben und immer wieder Neues angeregt. Es ist nach wie vor ein lebendiger Entwicklungsprozess in Roldisleben im Gang.

ZUM NACHLESEN

Roldisleben: Bienenskulpturen

Die erläuterten Beispiele sind zur Inspiration gedacht und ausdrücklich zur Nachahmung empfohlen. Mehr dazu kann man in den beiden Büchern zum Projekt, „500 Kirchen 500 Ideen“ und „Ein neuer Typus Kirche“ (beide erschienen im Jovis-Verlag) erfahren, auf der Website der IBA Thüringen oder der EKM-Website www.kirchen-aufgeschlossen.de. Auch bei den Zukunftsforschern lohnt es weiter nachzulesen, wenn es um die Rolle von Kirchen in unserer Zeit geht.

Wir brauchen sie – unsere Kirchen. Mit „wir“ meine ich nicht nur Christen, sondern die gesamte Gesellschaft. Und weil die Last der Gebäude so groß ist und wir auch Überlegungen für Kirchen anstellen müssen, um die sich niemand mehr kümmert, müssen wir als Kirche einerseits ein Stück loslassen, neue Ideen auch von Nichtkirchenmitgliedern zulassen und fördern und in unseren Landeskirchen Strukturen schaffen, die das ermöglichen. Wir brauchen andererseits aber auch das Bewusstsein von Politik und Gesellschaft, dass Kirchenerhalt eine gemeinsame Aufgabe ist. Machen wir uns gemeinsam auf. Jetzt.

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Vorwort

Liebe Freunde der brandenburgischen Dorfkirchen,sehr geehrte Leserinnen und Leser!Dieses Heft sieht anders aus als in den Vorjahren, denn es ist auf eine andere, leider dramatische Weise entstanden. Ursprünglich hatte Bernd […]

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Ein Dorf ohne Glockengeläut

Schnell war klar: ohne komplette Sanierung der Bausubstanz lässt sich auch die Glocke nicht so einfach wieder zum Klingen bringen. Und genauso schnell war auch klar, dass es sehr teuer wird und dass ohne Fremdkapital eine Sanierung nicht umsetzbar ist.