Mit dem Blick nach unten
Was Fußböden in Dorfkirchen erzählen können
Theda von Wedel-Schunk ist Mitglied im Vorstand und Regionalbetreuerin des Förderkreises Alte Kirchen Berlin-Brandenburg e. V.
Es ist wirklich ein ganz spezieller Blickwinkel, mit dem die Künstlerin Andrea Grote die Dorfkirche betritt. Sie schaut nach unten. Ihr geht es vor allem um Fußböden und auch um Wände der Brandenburger Kirchen. Häufig aus Feld- oder Backsteinen gebaut, sind diese wie “Speicher” vergangener Jahrhunderte. Die ehemals gestalteten Wände und Böden weisen durch jahrhundertelange Nutzung, durch Kriege und Zerstörung an vielen Stellen Brüche, Löcher und vielfältige Benutzungsspuren auf. Häufig mit viel Kunstverständnis gelegt, zeigen gerade die Böden vielfältige Muster. Sie repräsentieren ein vergangenes, in der damaligen Zeit relevantes Kunst- und Handwerksverständnis.
Andrea Grote fotografiert diese Wände und Fußböden und bearbeitet danach die Fotografien. Wie in einer „zweiten Schicht” werden dann – durch Nutzung aktueller digitaler (Zeichen-)Apps – heutige standardisierte Muster und Formen auf die alten Fußböden und Wände „gelegt”. Diese verschiedenen Muster und Zeichnungen verbinden sich optisch miteinander und können, auf Leinwand, Alu, Dibond, Glas oder Papier gedruckt, in weiteren Arbeitsprozessen bearbeitet werden. So macht sie das Thema „Zeit“ sehr gut sichtbar.
Andrea Grote: „Durch die Nutzung von Kohle, Acrylfarbe, Fett- und Buntstiften füge ich weitere Strukturen hinzu und verstärke dadurch das vorhandene Muster, die Oberflächenbeschaffenheit und die Verfärbungen der Backsteine. Risse, Löcher, Altersspuren der Steine werden damit besonders sichtbar. Durch die Schichtung verschiedener Papiere mit unterschiedlicher Transparenz und Beschaffenheit entsteht eine räumlich-zeitliche Verdichtung der Oberfläche auf der Leinwand bzw. dem Papier. Diese differenziert aufgebaute Oberfläche der Bilder veranschaulicht und symbolisiert die Veränderung, den Abrieb und die Nutzung des Bodens, die Spuren der Zeit, die auf den Backsteinen sichtbar und spürbar wird. Die Brüche, die Löcher, die Verschiebungen der Backsteine zeigen das Verstreichen der Zeit in den letzten Jahren/Jahrhunderten. Durch Sand, Mehl, Erde, Wollreste, Staub und Blütenreste, die auf der Oberfläche der Bildträger aufgebracht sind, werden elementare Materialien genutzt, die sich im Laufe der Zeit auf den Böden angesammelt haben. Sie symbolisieren auch verschiedene Techniken und Medien, verbinden sich somit prozesshaft und stellen eine optisch sinnliche Aktualisierung und Visualisierung der alten Muster und abstrahierten Strukturen der Wände und Kirchenböden dar.“
Der Künstlerin geht es darum, den Ort „Kirche”, den Raum und die darin enthaltenen Artefakte respektierend wahrzunehmen und die Fotos, die in diesem Zusammenhang entstehen, durch eine künstlerische Bearbeitung in eine aktuelle und neue Sichtweise zu überführen. Dabei möchte sie insbesondere, dass sich alte und neue Spuren, Muster und Formen durchdringen und dabei erproben, wie diese etwas Neues hervorbringen. Die Aura des Ortes/des Fußbodens möchte sie erhalten und unter anderem durch geschichtete, räumlich wirkende malerische Bearbeitungsspuren hervorheben. Der Schwerpunkt ihrer künstlerischen Arbeit liegt seit vielen Jahren in der Auseinandersetzung mit dem Thema „Veränderung” sowie mit der Frage und Suche nach der Darstellbarkeit von „Prozessen” und „Zeit”.
Zum Lebenslauf der Künstlerin
1965 in Lawrence, USA, geboren, Studium an der Universität der Künste Berlin, Meisterschülerin, u. a. Stipendium an der Ecole Nationale Superieure des Beaux Arts Paris, Preisträgerin von oltro il muro, DHM /Brera Mailand, Teilnahme an vielen Bildhauersymposien (u. a. Ravensbrück, Halbe), Teilnahme an diversen Ausstellungen. Ihre Werke hängen in öffentlichen und privaten Sammlungen. Sie lebt und arbeitet südwestlich von Berlin in Kleinmachnow.
Spuren gesammelt hat die Künstlerin in vielen Brandenburger Dorfkirchen, so in Garrey, Wildenbruch, Lübnitz und in der Bricciuskirche in Bad Belzig. Ihre Arbeiten sollen, wenn es die pandemische Lage dann erlaubt, in einer Ausstellung gezeigt werden, möglichst vor Ort in einer dieser Dorfkirchen.