von Peter Knüvener

Kirchen voller Narren

Mittelalterliche Darstellungen geben bis heute Rätsel auf

Dr. Peter Knüvener ist Direktor der Städtischen Museen Zittau. Er promovierte zur mittelalterlichen Kunst in der Mark Brandenburg.

Narr auf der Rückseite des Stendaler Rolands; Foto: Radovan Boček

Wer mit offenen Augen durch mittelalterliche Kirchen geht, stößt immer wieder auf Darstellungen von Narren. Es sind Menschen mit einer Narrenkappe, also einer Kopfbedeckung, die durch ihre langen Eselsohren auffällt und geradezu ein närrisches Erkennungszeichen ist.

Warum ist das so? mag man sich fragen. Man liest die verschiedensten Deutungen: Es ist davon die Rede, dass die Narren und damit das Närrische, Wahnsinnige, gebannt wird – genau wie die Monstren, die als Wasserspeier die Kathedralen bevölkern. Denn man möchte ja eine aus unserer Sicht sinnvolle Erklärung finden, da die Narren ja offiziell als sehr weit unten stehende Bevölkerungs- oder Berufsgruppe und nicht als seriös galten. So sieht man es im Berliner Totentanz, wo der Narr fast am Schluss kommt. Die Malerei ist an dieser Stelle leider fast vollständig zerstört und nur durch eine Zeichnung überliefert. Auch die Strophe des Todes fehlt, erhalten blieb aber die Antwort des Narren (übertragen in modernes Deutsch): 

Dom zu Bardowick, Chorgestühl, Heiliger Jakobus; Fotos: Peter Knüvener

„Ach, was wollt Ihr machen, Ihr fauler Knochen!

Lasst mich doch leben, wenn das möglich ist!

Ich will Euch ein Ständchen halten!

Das kann mir armem Knecht leider nicht helfen.

Deshalb rufe ich zu dir, Christus: Hilf mir bald.

Denn ich bin ein fauler Betrüger gewesen.“

Das ist wenig schmeichelhaft. Aber der Narr gehörte eben zur Gesellschaft, und so darf er hier nicht fehlen. Ähnlich ist es beim Haus Großer Markt 4 in Perleberg, das neben einer Auswahl verschiedener Standesvertreter auch eine Narrenmaske zeigt. Und als Gegenpart zum stolzen Stendaler Roland kauert ein lachender Narr auf dessen Rückseite. Macht er sich lustig über den stolzen (und ein wenig eitlen) Recken, der Recht und Ordnung auf dem Marktplatz verkörpern soll?

Das Narrentum und das närrische Treiben wurden von der Obrigkeit und gerade von der Kirche verteufelt und verurteilt – aber warum finden sich dann gerade hier so viele Narrenbilder? Man trifft auf sie an versteckten Stellen und muss manchmal zweimal hinschauen: Im Dom zu Bardowick bei Lüneburg gibt es ein wunderbares Chorgestühl mit geschnitzten Wangen. Dort schreitet Jacobus als Pilger einher (übrigens mit Wilsnacker Zeichen am Hut!). Auf den zweiten Blick sieht man, dass sein Wanderstab als Knauf einen Narrenkopf hat! 

Man trifft den Narren aber auch zentral, mitten im Gewühl der Kalvarienberge an, so in Stralsund (St. Nikolai) oder in der Salzwedeler Marienkirche. Hier verhöhnt er die Trauernden und ist ganz gewiss sehr negativ zu verstehen. Narretei war eine Schande, und so zeigen die Schandsteine, mit denen Übeltäter behängt wurden, im Mühlberger Museum ein Narrenrelief. Eine Schandmaske im Zittauer Museum hat Narrenohren.

Dom zu Bardowick, Chorgestühl, Heiliger Jakobus, Detail: Narrenkopf als Knauf des Wanderstabes

Besonders auffällig sind die zahlreichen Narren in den Kirchengewölben oder hoch oben als Gewölbekonsolen, so in Brandenburg an der Havel im Dom, in St. Stephan in Tangermünde, in der Luckenwalder Johanniskirche, in der Angermünder Marienkirche usw. In der Brandenburger Katharinenkirche in der Himmelswiese gibt es mit dem musizierenden Esel und seinem närrischen Gegenpart ein schönes Ensemble, und in ähnlicher Form auch in Briesen bei Cottbus, wo man auf der Westseite eine entblößte Musikantin nebst einer Gestalt mit einer Mischung aus Narrenkappe und Mitra antrifft – der Fantasie waren keine Grenzen gesetzt! Narren als Konsolen findet man in Alt Krüssow ausgerechnet im kapellenartigen Anbau, der einst die verehrte Reliquie enthielt; einer sitzt gar auf dem Fürstenwalder Sakramentshaus.

Einige Narren sind versteckt und werden nur von denjenigen gesehen, die „hinter die Kulissen“ schauen – Jahrhunderte, nachdem sie geschaffen wurden. So zeigt eine Apostelfigur aus dem Altar in Drebenstedt im Salzwedeler Danneilmuseum eine kleine Narrenschnitzerei – auf der Rückseite. Der Spaß eines mittelalterlichen Schnitzers, eine augenzwinkernde Botschaft, über die sich der heutige Kunstliebhaber sehr freut!

Sicher ist natürlich auch, dass Bilder und andere Zeugnisse aus dem nichtkirchlichen Kontext viel seltener erhalten blieben. Ein schönes Beispiel dafür, dass die Narren auch den Alltag „bevölkerten“, zeigen die Reste zweier Messingkessel in den Museen in Salzwedel und Perleberg. Es sind Henkelattaschen, also die Teile, an denen der Henkel befestigt war. Und sie haben eine Narrenform. Weitaus häufiger kennt man Kessel mit „neutralen“ Köpfen als Attaschen, und diese stammen dann eher aus dem kirchlichen Bereich.

St. Marien Salzwedel, Hochaltarretabel, Kreuzigung mit Narr

Der Narr hatte allerdings eine wichtige und auch geachtete Aufgabe. So durfte er Wahrheiten auch Mächtigen gegenüber aussprechen, die andere besser verschwiegen. Von der Weisheit der Narren zeugt das Wandgemälde in der Salzwedeler Katharinenkirche, ganz zentral an der Westwand. Das Schriftband ist zweisprachig, griechisch (aber mit lateinischen Buchstaben) und lateinisch: „GNOTI SE AUTON NOSCE TE IPSUM: NE QUID NIMIS“ und lautet übersetzt: „Erkenne Dich selbst erkenne dich selbst: Nichts im Überfluss“.

Wie auch immer, es wird verschiedene Gründe für das „närrische Treiben“ in den Kirchen geben, und man wird es sicherlich nicht bis ins Letzte erklären können – zu weit weg ist das Mittelalter und zu sehr unterschied es sich von unserer heutigen Zeit und ist unserem Vorstellungsvermögen fremd. Es fällt auch auf, dass die närrischen Darstellungen im 15. Jahrhundert ihre Blüte haben. In nachmittelalterlicher Zeit werden sie selten und verschwinden dann ganz – ein Zeichen der Aufklärung? Die Narrheit selbst starb jedoch keinesfalls aus, wie man bis zum heutigen Tag feststellen muss …

Danneilmuseum Salzwedel, Narr auf der Rückseite einer Heiligenfigur aus Drebenstedt
Danneilmuseum Salzwedel, Bronzefigürchen mit Narrenkopf
Briesen, Narrengestalt im Rankendickicht
St. Katharinen Salzwedel, Weiser Narr an der Westwand
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