Italienischer Barock in einem Dorf
Restaurierung des Gemäldes Madonna mit schlafendem Kind in der Kirche zu Warchau
Hans Tödtmann, Architekt, ist Regionalbetreuer des Förderkreises Alte Kirchen Berlin-Brandenburg e. V. für Teile des Landkreises Potsdam-Mittelmark und die Städte Potsdam und Brandenburg/Havel.
„Eine Kirche verfällt“ – mit diesem Titel machte im März 2018 ein Pressebericht auf die Dorfkirche in Warchau bei Wusterwitz (Potsdam-Mittelmark) aufmerksam: fingerdicke Risse im Feldsteinmauerwerk der Apsis und ein Ölgemälde mit blätternder Farbe. Pfarrer Holger Zschömitzsch wurde zitiert, er sei sich der Verantwortung, die Dorfkirchen seines Kirchspiels für die nächsten Generationen zu bewahren, durchaus bewusst, aber für die Unterhaltung einer Kirche, in der allenfalls noch zu Weihnachten ein Gottesdienst stattfinde, reichten die kirchlichen Finanzmittel nicht. Im August 2018 bat der Pfarrer den Regionalbetreuer des Förderkreises Alte Kirchen aber immerhin um organisatorische Unterstützung bei der dringend notwendigen Rettung des erwähnten Gemäldes.
Das Gemälde ist stilistisch dem italienischen Barock zuzuordnen. Es handelt sich um die Darstellung einer rot und blau gewandeten Maria, die den nackt vor ihr auf einem weißen Tuch liegenden Christusknaben liebevoll anschaut. Vor Augen geführt wird die Weihnachtsbotschaft: Gott wird Mensch! Die ungewöhnliche Größe des Kindes und die Anordnung von Mutter und Kind erinnern gleichzeitig an Pieta-Darstellungen. Möglicherweise ist der versteckte Hinweis auf den Tod und die Beweinung Christi vom Künstler beabsichtigt. Aber auch unabhängig von dieser Interpretation ist die Darstellung überaus anrührend.
Das Gemälde befand sich in einem beklagenswerten und hochgradig gefährdeten Zustand: Die Bildfläche war stark verschmutzt. Die Leinwand zeigte große Wellen; die Farbe hatte sich fast überall schuppenförmig von der Leinwand aufgestellt und es waren schon zahlreiche Fehlstellen zu erkennen. Der goldfarbene klassizistische Rahmen schien weniger stark beschädigt zu sein. Im Archiv des Pfarramtes fand sich ein Gutachten aus dem Jahr 1999, das schon das gleiche Schadensbild beschrieb. Die Restaurierung scheiterte seinerzeit an der Finanzierung.
Ende November 2018 ergab sich die Gelegenheit, den Landeskonservator und die Denkmalschutzbehörde des Landkreises Potsdam-Mittelmark für die Rettung des Gemäldes zu gewinnen. Noch vor Jahresende legte die Restauratorin Martina Runge ein Fachgutachten vor, das die aktuellen Schäden präzisiert und die zur Restaurierung des Gemäldes erforderlichen Leistungen beschreibt. Auf der Grundlage dieses Gutachtens wurden die denkmalrechtliche Erlaubnis erteilt und die restauratorischen Leistungen ausgeschrieben.
Im Februar 2019 beschloss der Gemeindekirchenrat Wusterwitz-Bensdorf, das Madonnengemälde zu erhalten. Der Regionalbetreuer des Förderkreises Alte Kirchen wurde bevollmächtigt, sich um die Organisation und Finanzierung zu kümmern. Das günstigste Angebot für die restauratorischen Leistungen legte die Dresdener Restauratorin Annette Heiser vor. Es war mit Kosten von etwa 18.000 Euro zu rechnen. Der Gemeindekirchenrat beschloss den entsprechenden Finanzierungsplan. Fremdmittel wurden beim Land Brandenburg, beim Landkreis und bei der Kirchlichen Stiftung Kunst- und Kulturgut in der Kirchenprovinz Sachsen beantragt.
Die erforderlichen Eigenmittel in Höhe von 20 Prozent waren ganz ohne Beteiligung der Kirchengemeinde oder des Kirchspiels aufzubringen. Im Rahmen einer Exkursion des Förderkreises Alte Kirchen im August des Fontane-Jahres 2019 lasen Kara und Wolfgang Huber in der Warchauer Dorfkirche aus einer Erzählung des Dichters. Die Kollekte bildete den Grundstock der Eigenmittel. Wenig später gingen beim Förderkreis auf einen Spendenaufruf im Mitteilungsblatt „Alte Kirchen“ zweckgebundene Spenden in Höhe von mehr als 2.500 Euro ein! Den restlichen Eigenmittelanteil erbrachten Zuschüsse des Förderkreises und des Kirchenkreises Elbe-Fläming. Anfang 2020 erhielt die Restauratorin den Auftrag.
Gleich nach der Abnahme des Gemäldes von der Wand wurden die zahlreichen Partien der Malschicht, die sich von der Leinwand schuppenförmig vorgewölbt hatten, zur Transportsicherung mit kleinen Papierchen überklebt. Nach dem Ausrahmen im Atelier wurde sichtbar, dass bei einer früheren Restaurierung des Gemäldes die recht grob gewebte Original-Leinwand von dem ursprünglichen Keilrahmen durch allseitig umlaufenden Schnitt gelöst, auf eine Doublier-Leinwand aufgeleimt und auf einen neuen Keilrahmen aufgezogen worden war. Es ist zu vermuten, dass diese Restaurierung sogleich erfolgt war, nachdem das Gemälde nach Warchau kam.
Zur Herkunft des Warchauer Madonnengemäldes berichtet Ernst Wernicke in seinem 1898 erschienenen Inventar Beschreibende Darstellung der älteren Bau- und Kunstdenkmäler der Kreise Jerichow, dass das stark beschädigte Gemälde von dem Herrn von Schwarzenau auf Schloss Dammer in der Provinz Posen dem Warchauer Patron im Tausch für den barocken Warchauer Altaraufsatz übergeben wurde, als dieser dem heutigen neugotischen Retabel weichen musste. Auf Wernicke geht auch die Vermutung zurück, dass das Gemälde dem Umfeld des Bologneser Barockmalers Guido Reni (1575 – 1642) zuzuordnen sei.
Die Restauratorin löste nun die alte Doublier-Leinwand samt dem vom Holzwurm befallenen Keilrahmen von der originalen Leinwand. Nach der Trennung der Leinwände wurden auf der Rückseite des Originals die mit Pinsel in schwarzer Farbe aufgetragenen Buchstaben GL sichtbar. Es liegt nahe, dass es sich hier um die Initialen des Künstlers handelt.
Ein Schwerpunkt der Konservierungsarbeiten war die Reinigung sowohl der Malschicht als auch der Rückseite der Original-Leinwand. Offenbar hat das Gemälde einmal einen heftigen Wasserschaden erlitten. Dadurch hat sich der Kleber zwischen der Original-Leinwand und der Doublier-Leinwand teilweise aufgelöst. Es sind dabei Wellen in der Leinwand entstanden. Schimmel breitete sich aus. Insekten legten Eier in die durch die Wellungen entstandenen Zwischenräume. Die Restauratorin musste einige Spinnennester von der Rückseite der Original-Leinwand entfernen.
Die schuppenartigen Aufwölbungen der Malschicht mussten Partie für Partie mit Hilfe eines Heizspachtels niedergelegt und die gelöste Malschicht schließlich wieder mit Störleim an der Leinwand befestigt werden. Damit sich die Schuppen nicht erneut aufwölbten, wurde für eine gewisse Zeit ein wenig Druck aufgebracht. Wegen der starken Aufwölbung zahlreicher Farbschuppen musste diese Planierung mehrmals wiederholt werden.
In der Original-Leinwand waren zudem eine Reihe von Löchern zu reparieren. Es mussten kreuzweise neue Einzelfäden eingesetzt und mit den Fäden der Leinwand verbunden werden – eine aufwändige Arbeit. Ein Tischler stellte nach altem Vorbild einen neuen Keilrahmen her. Vor dem Aufbringen der neuen Doublier-Leinwand auf den Keilrahmen wurde diese mehrmals mit heißem Wasser getränkt und getrocknet – eine Art künstlicher Alterung, um Maßänderungen durch Einwirkung von Wärme und Feuchtigkeit vorzubeugen. Zum Abschluss der Konservierungsarbeiten wurde die Original-Leinwand auf die neue Doublier-Leinwand und den Keilrahmen aufgebracht.
Der alte vergilbte Firnis musste Partie für Partie mit einem Lösungsmittel abgenommen werden. Es kam im Bild links oben der Blick in eine schöne Landschaft zum Vorschein, die zuvor kaum erkennbar gewesen war. Vor der eigentlichen Retusche der Fehlstellen in der Malschicht waren die Fehlstellen in der Grundierung zu reparieren. Die originale Grundierung war altrosa. Die richtige Wahl des Farbtons der Grundierung ist ein entscheidender Faktor für die Erzielung einer dem Original entsprechenden Farbwirkung. Die originale Malschicht zeigt zudem ein feines Rissnetz (Craquelé). Um eine gute Retusche zu erreichen, muss das Craquelé auf der Oberfläche der reparierten Partien der Grundierung imitiert werden.
Es ist das Ziel der Restaurierung, die Spuren der Geschichte des Gemäldes so weit wie möglich zu erhalten, das heißt frühere Retuschen in der Regel nicht zu beseitigen, besonders wenn sie dem Original gut angepasst sind. Die vorhandene großflächige Retusche im Antlitz der Madonna weicht zwar stilistisch vom Original ab, ist aber künstlerisch gut gelungen. Diese historische Retusche war selbstverständlich zu erhalten.
Die Restauratorin führte die erforderlichen Retuschen mit wasserlöslichen Gouache-Farben aus, damit sie reversibel sind. Zum Abschluss der Restaurierung erhielt das Gemälde einen neuen Firnis. Er dient hauptsächlich dem Schutz der Malschicht. Darüber hinaus wird mit dem Firnis eine Tiefenlichtwirkung erzielt.
Einige der Fehlstellen in der Malschicht waren so groß, dass sich die malerische Rekonstruktion nicht ohne weiteres aus dem Bildzusammenhang ergab. Auf der Suche nach geeigneten barocken Vorbildern schaute sich die Restauratorin zunächst das Werk von Guido Reni (1575 – 1642) im Internet an. Sie entdeckte dort sein Gemälde Madonna col Bambino dormiente, das ohne Zweifel das Vorbild für das Warchauer Gemälde ist. Reni malte es für einen Altar der Kirche Santa Maria Maggiore in Rom. Die Kunsthistorikerin Giulia Iseppi hat zur Geschichte des verloren gegangenen Originals geforscht. Sie rechnet dieses Werk zu den am meisten bewunderten und am meisten kopierten Gemälden des Meisters. Einige Kopien zeigen das Kind völlig nackt, während eine zeitgenössische Kopie von 1635 die Scham des Kindes durch ein Leinentuch verdeckt. Diese Version mit dem Leinentuch ist das Vorbild des Warchauer Madonnengemäldes, das damit als Kopie nach Guido Reni eines unbekannten Künstlers (mit den Initialen GL) zu identifizieren ist.
Inzwischen hat der Gemeindekirchenrat beschlossen, dass in der Warchauer Kirche jährlich mindestens drei kirchliche Veranstaltungen stattfinden sollen. Die Risse in der Apsis werden im Sommer 2021 saniert. Im November 2020 kehrte das wunderschön restaurierte Madonnengemälde in die Warchauer Dorfkirche zurück. Die Presse titelte: „Die Madonna ist gerettet“.