„Ich bin nicht Priester geworden, um Kirchen zu schließen.“
Katholische Kirchen in der brandenburgischen Diaspora
Bernd Janowski ist Gesch.ftsführer des Förderkreises Alte Kirchen Berlin-Brandenburg e. V.
Während der Kämpfe am Ende des Zweiten Weltkrieges brannte die St. Marienkirche in Wriezen (Märkisch-Oderland) vollständig aus. Jahrzehntelang bestimmte die am Marktplatz gelegene mächtige Ruine das Bild der Stadt, bevor in den neunziger Jahren mit Instandsetzungsmaßnahmen begonnen wurde. In diesem Jahr soll die Rekonstruktion des steilen Satteldaches abgeschlossen und die Außenhülle fertig saniert werden.
Wenn der Besucher die Wriezener Altstadt in südwestlicher Richtung verlässt, steht er völlig unerwartet vor einem weiteren monumentalen Kirchengebäude. Die katholische Kirche St. Laurentius wurde 1912/13 nach Plänen des Darmstädter Architekten Theodor Sohms auf dem Gelände des ehemaligen „Großen Exerzierplatzes“ errichtet. Selbstbewusst reckt sich die mächtige Turmfront zur Straße hin. In nördlicher Richtung führt ein Verbindungsgang zum angebauten Pfarrhaus. Stilistisch ist das Bauensemble eine Mischung aus Romanik und Gotik mit dem zeitgenössischen Jugend- und Heimatstil. Eine katholische Gemeinde gab es in Wriezen bereits seit 1846, damals zumeist aus polnischen und schlesischen Saisonarbeitern bestehend. Ursprünglich nutzte die Gemeinde die kleine mittelalterliche Kirche St. Lorenz. Als dort die Plätze nicht mehr ausreichten, wurde der Neubau geplant. Das Patrozinium übernahm man; die alte Kirche wurde 1919 abgebrochen. Einen zeitweiligen Aufschwung erlebte die katholische Kirchengemeinde Wriezens noch einmal durch den Zuzug zahlreicher Flüchtlinge nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Heute jedoch ist „der katholische Dom des Oderbruchs“, wie Pfarrer Bernhard Kohnke das Gotteshaus ironisch benennt, für die kleine Schar der verbliebenen Gläubigen schlicht zu groß, der Unterhalt langfristig nicht mehr aufzubringen. Auch wenn das benachbarte Evangelische Johanniter-Gymnasium die Kirche zu Gottesdiensten und Zeugnisausgaben nutzt, ist der finanzielle Aufwand nicht zu rechtfertigen. Zu den 14-tägig stattfindenden Gottesdiensten kommen im Schnitt 10 bis 15 Besucher. Der letzte Pfarrer im Ort war hier bis 2011 tätig. Und so legte die Leitung des Erzbistums Berlin dem Kirchenvorstand den Verkauf für einen symbolischen Euro nahe. Pfarrer Kohnkes Reaktion spiegelt auch die Meinung der Pfarrgemeinde wider: „Ich bin nicht Priester geworden, um Kirchen zu schließen, sondern um die Gegenwart Gottes zu verkünden.“ Eine Lösung hat er jedoch auch nicht parat.
Die katholische Kirche im Erzbistum Berlin befindet sich derzeit in einem gewaltigen Reformprozess. Die erst 1930 gegründete Diözese umfasst Berlin, den zentralen und nördlichen Teil Brandenburgs, Vorpommern und die Stadt Havelberg in Sachsen-Anhalt. In der ohnehin nur dünn besiedelten brandenburgischen Region gehören nur noch knapp drei Prozent der Bevölkerung der katholischen Kirche an. Derzeit sind auf dem Gebiet Brandenburgs (wobei es Überschneidungen mit Berliner Randgemeinden gibt) 36 aktive Priester für 84 Gottesdienststandorte zuständig, wobei diese Zahl Kapellen in Krankenhäusern und Altersheimen sowie evangelische Kirchen, in denen die Katholiken Gottesdienste feiern dürfen, mit einschließt.
Unter dem Motto „Wo Glauben Raum gewinnt“ wurde vor einigen Jahren ein pastoraler Prozess angestoßen, der zu einer radikalen Reduzierung der Pfarreien führen soll. Im Jahr 2017 schlossen sich 105 Pfarreien zu 35 sogenannten Pastoralen Räumen zusammen, aus denen nach einer „Entwicklungsphase“ dann die neuen Pfarreien werden sollen. Für Wriezen ist dieser Prozess bereits abgeschlossen. St. Laurentius gehört seit dem 1. Januar 2021 zur katholischen Pfarrei Heiliger Christophorus Barnim, die Teile des Berliner Bezirks Pankow (Berlin-Buch und Buchholz), den Landkreis Barnim und weite Strecken des Landkreises Märkisch-Oderland umfasst. Für etwa 8.500 katholische Gläubige an elf Gottesdienststandorten stehen drei Priester, ein Diakon und ein Kirchenmusiker zur Verfügung – auf einer Fläche von 2.196 Quadratkilometern.
Im Gespräch mit Stefan Förner, dem Pressesprecher des Erzbistums Berlin, will dieser für die Zukunft der katholischen Gotteshäuser im ländlichen Bereich Brandenburgs keine Garantie übernehmen. Das kirchliche Leben werde sich zukünftig vermutlich auf die mittleren bis größeren Städte konzentrieren. Priestermangel, fehlende Finanzen und Rückgang der Gemeindemitglieder führten dazu, dass immer wieder die Frage gestellt wird: Was können wir uns an Immobilien noch leisten? Große Chancen, so Förner, lägen in einem weiteren Ausbau der vielerorts bereits gut funktionierenden ökumenischen Zusammenarbeit mit den evangelischen Gemeinden. Die Zahl der entwidmeten und aufgegebenen katholischen Kirchen in Brandenburg ist überschaubar; sie umfasst zum größten Teil einfache Notbauten, die nach dem Zweiten Weltkrieg in kleineren Orten entstanden. In Berlin jedoch sieht das schon ein wenig anders aus. Den 2005 erfolgten Abriss von St. Raphael in Berlin-Gatow, an dessen Stelle sich heute ein Supermarkt befindet, hält Stefan Förner im Nachhinein für falsch. Den Umbau von St. Agnes zu einer Kunstgalerie jedoch sieht er als gelungenes Beispiel einer Nutzungsänderung an. Weitere Kirchengebäude wurden an andere christliche Gemeinschaften abgegeben, was sicherlich die beste Lösung darstellt. Zu St. Laurentius in Wriezen befragt, sagt Stefan Förner, dass eine Entscheidung über die Zukunft der Kirche bei der Pfarrei liege. Man werde diese bei ihren Entscheidungen nicht alleinlassen. Geld für Sanierungsarbeiten und den laufenden Unterhalt kann das Erzbistum jedoch nicht aufbringen.
Ein weiterer Blick in die katholische Diaspora: 2010 wurde die Rosenkranzkapelle im havelländischen Friesack aufgrund einer administrativen Entscheidung des Erzbischöflichen Ordinariats nach einer Gemeindefusion entwidmet. Der Abriss war bereits geplant. Die Kapelle war 1878 – mitten im Bismarckschen Kulturkampf gegen die katholische Kirche – errichtet worden. Da die Genehmigung für einen Kirchenbau damals nicht zu bekommen war, baute der katholische Laie Alfred Bode ein Fotoatelier, das er anschließend der bereits 1853 gegründeten Gemeinde als Gottesdienststätte zur Verfügung stellte. Von 1927 bis 1935 wirkte hier Pfarrer Albert Willimsky, ein entschiedener Gegner des Nationalsozialismus, der die Gemeinde wegen seiner Gesinnung verlassen musste und 1940 als erster katholischer Priester des Bistums Berlin im KZ Sachsenhausen ums Leben kam.
Gegen den geplanten Abriss der Rosenkranzkapelle regte sich in der Gemeinde Widerstand. Es gab berechtigte Bedenken, dass die Gemeinde und das Erzbischöfliche Ordinariat den Standort Friesack ganz „abkoppeln“ wollten. Zwölf Personen gründeten 2010 den Verein deo iuvante e. V. als „Katholischen und Kirchbauverein im Ländchen Friesack“. Deo iuvante – Mit Gottes Hilfe. Aber Gott allein wollten die Vereinsmitglieder das Schicksal der Rosenkranzkapelle dann doch nicht überlassen. Anfang 2014 kaufte der Verein die Kapelle für einen symbolischen Vatikan-Euro, wie Matthias Rheder, Vorsitzender von deo iuvante, berichtet. Für ihn war klar, „dass wir an das Bauen im franziskanischen Sinne herangehen müssen: Baue meine Kirche wieder auf!“
Gottesdienste finden seit der Entwidmung der Friesacker Rosenkranzkapelle im Gemeindesaal des katholischen Pfarrhauses am anderen Ende des Städtchens statt. Eine 2014 erarbeitete Projektskizze sieht für die Kapelle eine touristische und kulturelle Nutzung vor. Zudem könnten hier Kinder-Religions-Tage, Feste und andere Zusammenkünfte stattfinden. In diesem Jahr soll hier eine umfassende Ausstellung zum Wirken von Pfarrer Albert Willimsky während der Nazidiktatur eröffnet werden. Eine umfassende Sanierung des Gebäudes steht noch aus; Förderanträge hatten bisher keinen Erfolg; lediglich kleinere Reparaturen konnte der Verein in Angriff nehmen. Für Matthias Rheder ist die Rosenkranzkapelle nach ihrer Profanierung keine Kirche mehr. „Zumindest derzeit nicht“, fügt er hinzu und lässt die Zukunft offen.