Fast hundert Orgeln aus Sonnewalde
Das Wirken der Niederlausitzer Orgelbauerfamilien Claunigk und Schröther
Albrecht Bönisch ist Pfarrer der Kreuzkirchengemeinde in Görlitz.
Wer in den Kirchen der westlichen Niederlausitz auf die Orgelemporen schaut, kann damit rechnen, ein Instrument zu sehen, das in Sonnewalde gebaut wurde – einem Städtchen im Landkreis Elbe-Elster, das ohne die eingemeindeten Dörfer heute lediglich etwa 1.000 Einwohner zählt. Oftmals sind es nur noch die Orgelgehäuse, die erhalten sind. Es ist jedoch die prägende Wirksamkeit der Claunigks und Schröthers spürbar, die sogar bis Berlin reichte. An den erhaltenen Orgeln können ihre Klangvorstellungen noch heute erlebt werden. Vielfach war es den Kirchengemeinden in den letzten Jahren ein großes Anliegen, diese Instrumente restaurieren zu lassen.
Dabei ist beachtlich, dass für eine geraume Zeit im kleinen Residenzstädtchen Sonnewalde gleich zwei Orgelbauerfamilien parallel arbeiten konnten. Die Nachfrage nach Instrumenten vor allem für die Dorfkirchen war um 1800 enorm groß. Eine echte Konkurrenz bestand wohl zwischen den beiden Werkstätten nicht. Nur einmal haben beide zu einem Neubauprojekt zugleich einen Kostenanschlag abgegeben.
Die beiden Familien waren nicht die ersten, die in Sonnewalde Orgeln bauten. Schon 1730 kam Johann Christoph Pfennig als Organist und Orgelbauer in die Stadt. Er schuf einige Instrumente, hatte aber nach einem Stadtbrand tragischerweise kein Kircheninstrument mehr, auf dem er spielen konnte. So verließ er Sonnewalde.
Die Herkunft von Matthäus Claunigk (1708 – 1781) ist unbekannt. Er ist wohl um 1740 nach Sonnewalde gekommen. Sein Sohn Carl Gotthold (1761 – 1829) übernahm später die Werkstatt. Zeitgleich mit letzterem wurde auch Johann Christoph Schröther d. Ä. (1747 – 1822) wirksam, der aus einer Sonnewalder Tischlerfamilie stammte. Es ist denkbar, dass er in der Claunigk-Werkstatt ausgebildet wurde. Während das Wirken der Claunigks nach dem Tode Carl Gottholds nur kurz durch dessen Sohn Johann Wilhelm fortgesetzt wurde, führte Johann Christoph Schröther d. J. (1774 – 1859) die Parallelwerkstatt länger fort. Die letzte Orgel aus Sonnewalde wurde 1880 durch die dritte Orgelbauergeneration der Schröthers, nämlich durch Carl Wilhelm (1811 – 1885), in Babben (Elbe-Elster) erbaut und ist erhalten.
Im 18. Jahrhundert entwickelten die Sonnewalder einen Orgelstil, der besonders den Ansprüchen von Dorfkirchen gerecht wurde. Daran hielten die Nachfolger in sehr konservativer Weise fest. Dies hatte den Vorteil, dass die bewährte und funktionssichere Bauweise als grundsätzliche Qualität erhalten blieb. Hingegen gingen die technischen Entwicklungen im Orgelbau an Sonnewalde vorbei, und man orientierte sich kaum am Wandel des Klanggeschmacks. Dies führte letztlich dazu, dass die Schröther-Werkstatt bedeutungslos wurde. Ihre Orgeln wurden vielfach umgebaut oder durch Neubauten ersetzt.
Oftmals blieb nur das Gehäuse erhalten, mit dessen Rautenschleierwerk die Schröther-Werkstatt ein Markenzeichen gesetzt hatte. Diese klassizistischen Elemente waren anfangs noch mit mehrtürmigen Prospektgestaltungen verbunden, die an barocke Architektur erinnern und vor allem in den Werken der Claunigks noch lange durch prächtiges Schnitzwerk ausgezeichnet wurden. Die späteren schlichteren Formen hat die Schröther-Familie wohl für eine vereinfachte Manufakturbauweise typisiert. Fast jährlich entstand eine neue Orgel. Insgesamt waren es am Ende 98 bis heute bekannte Instrumente, die die Sonnewalder Werkstätten verließen.
Klanglich transportieren die Sonnewalder Orgeln viele Vorstellungen des Barock bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts hinein. Die kleinen Orgeln haben bisweilen eine Teilung in Bass und Diskant, sodass auf einem Manual mit zwei Klangfarben gespielt werden kann. Dazu gehören dann etwa das „Cornet“ im Diskant für die Verstärkung der Höhe und die „Mixtur im Bass“ als Aufhellung der Tiefe. Charakteristisch sind auch Register mit Holzpfeifen, die als „Flauto traverso“ dem namengebenden Instrument sehr nahekommen, oder in fast identischer Bauweise einen schmiegsamen Klang als „Viola da Gamba“ hervorbringen. Für eine klare Basslinie erscheint in manchen Orgeln im Pedal nur ein hölzerner „Violon 8’“ und auf die ansonsten typische 16’-Lage wird verzichtet. Selten taucht eine „Posaune 8’“ auf. Vor kurzem wurde eine solche Zungenstimme in Groß Meh-
ßow (Oberspreewald-Lausitz) rekonstruiert, sodass die Klangidee wieder erlebt werden kann. Diese Merkmale erlauben im ökonomisch begrenzten Rahmen eine ideenreiche Vielzahl von Klangkombinationen. Nur in Golßen und Dahme bekam Johann Christoph Schröther d. Ä. die Möglichkeit, seine Kunst auch an zweimanualigen Instrumenten zu zeigen, von denen aber ebenfalls nur die Gehäuse erhalten sind.
In den Sonnewalder Heimatblättern wurde in den letzten Jahren das Wirken der Familien Claunigk und Schröther dokumentiert. Biografische Angaben trugen Konrad Ziegler und Christhard Kirchner zusammen (Konrad Ziegler: Die Sonnewalder Orgelbauer — 1. Familie Schröther. In: Sonnewalder Heimatblätter (SH) 4/2004, S. 40 – 48; Christhard Kirchner: 2. Familie Claunigk. In: SH 16/2016, S. 82 – 90). Ein Werkverzeichnis mit Angabe der Dispositionen sowie einer Fotosammlung wurde 2017 – 2020 veröffentlicht (Albrecht und Rudolf Bönisch: Werkverzeichnis der Sonnewalder Orgelbauerfamilie Claunigk. In: SH 17/2017, S. 44 – 95; Albrecht Bönisch: Werkverzeichnis des Sonnewalder Orgelbauers Johann Christoph Schröther d. Ä. In: SH 18/2018, S. 88 – 122; Ders.: Werkverzeichnis des Sonnewalder Orgelbauers Johann Christoph Schröther d. J. und seiner Söhne (Teil 1). In: SH 19/2019, S. 120 – 175; (Teil 2) in: SH 18/2018, S. 72 – 119)