von Jan Raue

Ein Panorama mittelalterlicher Kunst

Wandmalereien im Nordosten Brandenburgs

Prof. Dr. Jan Raue ist Präsident des Verbandes der Restauratoren (VDR). Er unterrichtet Konservierung und Restaurierung/Wandmalerei an der Fachhochschule Potsdam.

Das Team des Forschungsprojektes in der Dorfkirche Trebenow bei der Aufnahme der Wandmalerei, die den Heiligen Christophorus zeigt; Fotos: Jan Raue

In der Schriftenreihe „Forschungen und Beiträge zur Denkmalpflege“ des Brandenburgischen Landesamts für Denkmalpflege und Archäologischen Landesmuseums (BLDAM) erscheint im 1. Halbjahr 2021 die Publikation „Mittelalterliche Wandmalerei in Brandenburg, Band 2: Der Nordosten – Uckermark, Barnim, Oderland“. Das Pilotprojekt zur Niederlausitz (Band 1, erschienen 2010) erweitert sich somit nun wie geplant zu einer Reihe mit dem Ziel der katalogischen Erfassung des mittelalterlichen Wandmalereibestandes im Land Brandenburg, der dabei auch in seinen landes-, bau- und restaurierungsgeschichtlichen, kunsthistorischen und -technologischen Zusammenhängen besser erforscht werden soll. 

Beim Untersuchungsgebiet des aktuellen Bandes, des märkischen „Nordostens“, handelt es sich nicht um eine in sich geschlossene Kunstlandschaft, wie sie etwa die Niederlausitz darstellt(e). Die Logik der schrittweisen Erfassung der mittelalterlichen Wandmalereien zwingt aber dazu, bestimmte Regionen zusammenzubinden und dabei so systematisch, wie es möglich ist, vorzugehen. Im Gesamtprojekt ergibt sich daraus eine „Wanderung durch die Mark Brandenburg“, die gegen den Uhrzeigersinn läuft (und vermutlich, nach den Erfahrungen bis zu dieser zweiten Station, noch eine ganze Reihe von Jahren andauern wird). Daraus ergibt sich, dass die nördlich und östlich an die Lausitz anschließenden Gebiete bis zur mecklenburgischen Landesgrenze – das Oderland oder auch das Land Lebus, der Barnim und die Uckermark – den Rahmen der Forschungen im nun vorliegenden zweiten Band bilden.

Dorfkirche Lübbenow, Detail der Ausmalung um 1515, Apostel Petrus, weitgehend unüberarbeitet erhaltener Zustand

Bei der Bearbeitung konnte sich das BLDAM als Träger des Projekts wieder auf ein Team von Expertinnen und Experten verlassen, angesiedelt u. a. an den beiden Potsdamer Hochschulen, maßgeblich aber am BLDAM sowie auch in der freien Wirtschaft. Die Finanzierung für diesen 2013/14 begonnenen und nun vollendeten zweiten Projektabschnitt gelang mithilfe der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU), der dafür großer Dank gebührt. Als einzige der Autorinnen soll hier stellvertretend Mechthild Noll-Minor, leitende Amtsrestauratorin beim BLDAM, genannt werden, bei der über Jahre alle redaktionellen Fäden zusammenliefen.

Die Partnerschaft mit der DBU hatte auch zur Folge, dass im konkreten Fall ein besonderer, restauratorisch-naturwissenschaftlicher Schwerpunkt zum Katalog hinzukam, der im sogenannten Monitoring besteht. In der Denkmalpflege versteht man darunter eine turnusmäßige Zustandskontrolle der anvertrauten Kunstwerke auf der Basis einer objektivierten Bestandserfassung anhand repräsentativer Ausschnitte. Verändert sich z. B. eine Wandmalerei umweltbedingt, etwa durch das Auftreten von Salz-ausblühungen, durch das als Pigmentumwandlung bezeichnete Verändern der Farbwerte oder durch Verluste an Substanz, so ist das als Signal zum konservatorischen Eingreifen zu verstehen – nur ist diese vermutlich konsensfähige Einsicht nicht viel wert, solange die Schäden nicht erkannt und verifiziert werden (können)! Die Grundlagen dafür zu liefern, ist neben der Bestandserfassung die ganz praktische Seite des im Buch präsentierten denkmalpflegerischen Projekts. Eine eigene Tagung zum Monitoring von Wandmalereien im Jahr 2017, verbunden mit der Veröffentlichung in einem Arbeitsheft des BLDAM (Nr. 47/2017), haben hier bereits zu Publizität und fachlichem Austausch beigetragen. 

Zur Bearbeitung gehörten viele, teils lange Fahrten über Land – unvergesslich, wenn in Dorfkirchen an dämmrigen Spätherbsttagen beim Einschalten der Arbeitsleuchten plötzlich farbige Malereien aufstrahlten! Die meisten Kirchen sind drei- bis viermal, einige auch deutlich häufiger aufgesucht worden. Bauforscher, Restauratorinnen, Fotografen, Kunsthistorikerinnen und Naturwissenschaftler erfassten die mittelalterlichen Gebäude mit Wandmalereien nach ihren jeweiligen Fachgebieten. Fruchtbar war dabei, dass die Beteiligten nicht als Einzelkämpfer in den Stadt- und Dorfkirchen sowie in den Archiven unterwegs waren, sondern Interdisziplinarität als Austausch über die Fachrichtungsgrenzen hinweg den gesamten Prozess prägte. Keineswegs zufällig war auch die Evangelische Landeskirche Berlin-Brandenburg-Schlesische Oberlausitz (EKBO) am Projekt beteiligt, die in diesem Rahmen ihre Datenbank zur Inventarisation „ihrer“ Kirchen voranbringen konnte. Die EKBO bot mit ihren Räumen in der Berliner Georgenkirchstraße den „in der Fläche“ Forschenden eine zentrale Anlaufstelle und Heimstatt u. a. für Zwischenauswertungen und -besprechungen. 

Dorfkirche Wilsickow, Detail des kleinen Gewölbes mit Wandmalerei zum Weltgericht, die früheste Wandmalerei in einer Kirche des Untersuchungsgebietes, wohl noch Mitte des 13. Jahrhunderts

Von Altlandsberg bis Wilsickow sind es 47 große und kleine, allesamt „alte“ Kirchen mit Wandmalerei, die für den Katalog des „Nordostens“ erfasst worden sind. Die Katalogeinträge gliedern sich in lokal- und baugeschichtliche Angaben, stets mit einem als Baualtersplan angelegten Grundriss versehen sowie farbig bebilderten Beschreibungen der Wandbilder unter den Gesichtspunkten von Bestand, Ikonographie, kunstgeschichtlicher Einordnung, Restaurierungsgeschichte und Zustand. Im Untersuchungsgebiet ergaben neben der größten Gruppe der Feldstein-Dorfkirchen die Handvoll Stadtpfarrkirchen, allen voran Bernau und Frankfurt (Oder), und v. a. die ehemaligen Klöster – die der Franziskaner in Angermüde, Frankfurt und Prenzlau, die der Zisterzienser in Chorin sowie der Dominikaner ebenfalls in Prenzlau – reichlich Stoff für vertiefende und vergleichende Untersuchungen. Dabei sind es oft nicht oder nicht nur die Klosterkirchen, die mit Wandmalereien Aufmerksamkeit erregen, häufiger verbergen sich auch in den „halbprofan“ genutzten Räumen der Klausuren, wie den Refektorien und Kreuzgängen oder in dem berühmten sog. Choriner Fürstensaal teils noch kaum bekannte Malereien. 

Der bauliche Bestand stammt, wie sich zeigte, zu einem großen Teil noch aus dem 13. Jahrhundert, dabei sind die erhaltenen bildkünstlerischen Ausstattungen jedoch zumeist jünger (sieht man von so frühen wie seltenen Beispielen wie Wilsickow ab)und setzen oft erst im späten 14., vor allem aber im 15. Jahrhundert ein. Die regionale Streuung ist auf dem Land relativ gleichmäßig, dabei eher dünn; sie verdichtet sich selten zu kleineren Zentren. Von einem solchen lässt sich zuverlässig in und nordwestlich Prenzlaus sprechen, wo die Wandmalereien in Lübbenow und Milow starke Bezüge zu denen des Refektoriums im Dominikanerkloster aufweisen, so dass dort an eine lokal aktive Werkstatt im frühen 16. Jahrhundert gedacht werden kann. Eigene künstlerische Ausprägungen haben die Unterregionen, obwohl verschiedenen Bistümern zugehörig, kaum zu entwickeln vermocht; am ehesten lässt sich ganz im Norden etwas Eigentümliches in Form kaum nachlassender pommerscher „Grundierung“ erspüren.

Dorfkirche Lübbenow, Wandmalerei der Anna Selbdritt, in einer Restaurierung um 1980 stark übermalt

Dabei sind einige Denkmale den Bearbeitern besonders ans Herz gewachsen, nicht selten kleinere Dorfkirchen, deren Bestände im Zuge der aktuellen Forschungen erstmals systematisch untersucht worden sind. Hier denke ich etwa an die Dorfkirche in Polßen (Uckermark) mit ihren mystischen Putzritzungen an der Westwand des Turmes. Ein besonderer Höhepunkt war zweifellos die erstmalige umfassende Darstellung des Kreuzigungsfragments in der Maria-Magdalenen-Kirche in Eberswalde, einer böhmisch beeinflussten Wandmalerei von hohem künstlerischem Wert und voller maltechnischer Überraschungen – nachträglich nahezu unzugänglich in einem schmalen Treppenaufgang verborgen. Natürlich vermochten v. a. auch die Großen unter den nordöstlichen Kirchen mit ihren Ausmalungssystemen an Wänden und Gewölben zu begeistern: Das Wort vom „Himmlischen Jerusalem“ trifft für den Themen-, Farben- und Ornamentenreichtum der mittelalterlichen Backstein-Stadtpfarrkirchen ohne Einschränkungen zu – fast schon kurios ist es da, dass sich eine Darstellung des „echten“ Jerusalems in der kleinen Kirche von Ihlow (Märkisch-Oderland) erhalten hat. Neben der Bernauer Namenschwester ist es besonders die Marienkirche in Frankfurt u. a. mit ihrer eindrucksvollen Malerei der Mondsichelmadonna, deren Befunde erstaunen lassen, besonders, da diese Kirche, wie viele andere märkische Schwestern in dieser Region, so schwer unter den Kriegszerstörungen gelitten hat. Machen wir uns dies bewusst, so steht der vorgestellte Bestand vermutlich nur für einen Bruchteil der einst vorhandenen mittelalterlichen Ausmalungen. 

Eine andere Erkenntnis ist, dass kaum noch Malereien unverfälscht oder unüberarbeitet auf uns gekommen sind, da vom späten 19. Jahrhundert an und bis nahezu das gesamte 20. Jahrhundert hindurch Freilegungen, teils Wiederüberdeckungen und tief eingreifende Restaurierungen mit Retuschen erfolgten: Die in der Dorfkirche von Lübbenow dargestellten Apostel mit ihren schwarz übermalten Mündern sollen hierfür als Zeugen stehen. Nicht selten, wie z. B. in Biegen (Oder-Spree), erwies es sich als anspruchsvoll, den Anteil des Originalbestands von den Übermalungen gedanklich zu trennen, um zu einer klaren zeitlichen Einordnung der Malereischichten zu kommen. Dennoch existieren auch noch einige gänzlich unverfälschte, wenn auch gealterte Wandmalereien, wie sie u. a. im Refektorium in Chorin, in der Dorfkirche von Milow (Uckermark) und anderswo freigelegt und konserviert worden sind. Neben figürlichen mittelalterlichen Malereien fanden im Projekt auch die Ornamentik und die reine Architekturfassung im Inneren und – soweit noch erhalten – am Äußeren der Kirchen einschließlich der Putzritzungen und Fugengestaltungen Beachtung. Als Träger solchen, teils sogar figürlichen Dekors sind u. a. die Dorfkirchen in Klaushagen (Uckermark), Dolgelin (Märkisch-Oderland) und Briest (Uckermark) zu nennen. 

Dorfkirche Biegen, Ausschnitt der Triumphbogenwand mit Rankenmalerei und Posaune blasendem Engel, Detail der Ausmalung des 14. Jahrhunderts

Bei einigen Wandmalereien führte die Erfassung zur Feststellung sofortigen konservatorischen Handlungsbedarfs. In mehreren Fällen konnten mithilfe der Gemeinden und der Landeskirche noch im Bearbeitungszeitraum restauratorische Sicherungen ermöglicht und beauftragt werden, hierzu zählt die erfolgreich abgeschlossene Restaurierungskampagne in Biegen. In anderen Fällen sind bisher unbekannte Wandmalereien erst während des Projekts aufgedeckt worden, so z. B. an der Chor-Ostwand der Kirche Altlandsberg (Märkisch-Oderland). Andere Dorfkirchen müssen noch weiter ausharren, bis die im Projekt als dringend notwendig erkannte Sicherung des wertvollen Bestands erfolgen kann, wie z. B. im uckermärkischen Kuhz mit seinen anrührenden, künstlerisch wertvollen Szenen. Der Idee, in diesem Fall über den Weg einer studentischen Sommerschule mit der FH Potsdam zu Fortschritten zu kommen, würde womöglich ein kleiner privater Spendenpool eine materielle Basis geben können!

Abschließend sei auf die einführenden Artikel im Band hingewiesen, die quasi die „Summe“ der Erkenntnisse aus der Erfassung verdichten und es systematisierend anstreben, Zusammenhänge freizulegen, Einordnungen vorzunehmen und Querverweise in andere Regionen und künstlerische Traditionen herzustellen. In diesen Beiträgen wird immer wieder herausgearbeitet, in welchem Maße Kirchenbau und polychrome Gestaltungen – auch wenn diese teils jünger sind – im Mittelalter eine Einheit bildeten. Außerdem gelingt es, vielfältige Bezüge zu weiteren deutschen und europäischen Kunstlandschaften, wie dem Hof Karls IV. in Prag, aufzuzeigen sowie „Produktionsbedingungen“ der Kunst, beispielsweise im spätmittelalterlichen Stiftungswesen angelegt, auszuleuchten. 

Um den Wandmalereibestand des „Märkischen Nordostens“ insgesamt auf die Landkarte der großen europäischen Kunstregionen zu heben, ist der Bestand zwar zu fragmentarisch, waren seit Jahrhunderten auftretende Kriegszerstörungen zu verheerend und Überarbeitungen zu zahlreich. Dennoch kann kein Zweifel bestehen, dass uns ein überraschend reicher, in Teilen einzigartiger Wandmalereibestand von hohem originalem Aussagewert überliefert ist, der um einige wichtige Neuentdeckungen bereichert werden konnte. Dies erkannt und herausgearbeitet zu haben, ist ein Verdienst des Projekts, dessen Fokus, und auch das gilt es noch einmal zu betonen, auf die Erhaltung der nun katalogisierten Wandmalereien gerichtet ist. Es ist wahrlich ein Vergnügen und gelegentlich ein kleines Abenteuer, die kleinen und großen Edelsteine des mittelalterlichen Kunsterbes im märkischen Nordosten zu entdecken, und dieser Band möchte seine Leserinnen und Leser dazu einladen.

Dorfkirche Kuhz, Chor teilfreigelegtes Wandmalereidetail an der Südwand
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