von Christian Modehn

Theodor Fontane und seine (unsere) Dorfkirchen in der Mark Brandenburg

Hinweise und Vorschläge

Christian Modehn, katholischer Theologe und Philosoph, arbeitet als Journalist. Er ist Gründer und Initiator des Religionsphilosophischen Salons Berlin. Sein Beitrag erreichte die Redaktion als Reaktion auf Beiträge in unserer Broschüre „Offene Kirchen“ 2019.

Foto: Bettina Paßmann-Möbis /www.be-pictured.de
Bildnis Theodor Fontane (1883) von Carl Breitbach, Öl auf Leinwand; Privatbesitz

Was wäre die Mark Brandenburg ohne ihren „märkischen Wanderer“, ohne Theodor Fontane? Er hat den Menschen dort Selbstbewusstsein, vielleicht sogar Stolz, vermittelt. Die Mark Brandenburg ist für ihn eben keine öde Gegend am Rande der Kultur. Ihre Orte und Städtchen sind zwar nicht von „überwältigender Schönheit und Pracht“, wie Fontane etwa im Blick auf Italien und Rom bemerkte. Aber es ist die Stille, die Schlichtheit, die Bescheidenheit des Lebens, die Erinnerungen an die Kultur einst, es ist Natur, „diese Landschaft!“, die Fontane so mochte. So dass er – der Sohn eines Hugenotten – sagen konnte: Diese so auf den ersten Blick eher anspruchslose Mark Brandenburg ist auch meine Heimat, so sehr er an Berlin auch gebunden blieb. Wenn sich heute die (auch „zugereisten“) Berliner für die Mark begeistern, sich dort (zeitweise) niederlassen und alte Dörfer „beleben“: Dann wirkt da wohl immer noch unterschwellig die Hochschätzung Fontanes für diese Region weiter.

In seinen „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“, begonnen 1859, in Büchern publiziert von 1862 bis 1889, stehen – neben den Schlössern und Herrenhäusern, den Seen und den Klosterruinen – die noch erhaltenen Kirchen im Mittelpunkt vieler Berichte. Und ihre Pastoren sind oft die besten Kenner der Ortsgeschichte. Davon hat der Wanderer sehr profitiert. Das alte Dorf-Pfarrhaus mit dem oft gebildeten Pastor hat Fontane noch erlebt, auch wenn er genau weiß, dass es mehr konservative und nur einige mutige, vorwärts denkende Pastoren gibt: Sie lösen sich langsam aus der Bindung der Kirche an die wilhelminische Monarchie, die ja tatsächlich eine Abhängigkeit vom konservativ-national bestimmten Staat war. Eine Bindung, die über das Ende der Monarchie bis in die Weimarer Republik unerfreulich weiter dominierte!

Man denke aber auch an die sympathische Gestalt des Pastors Lorenzen, der schon Ende des 19. Jahrhunderts mit sozialen, „linken“ Ideen sympathisiert. Er zweifelt an der Gültigkeit der Maxime der Konservativen: „Was einmal galt, soll immer gelten“ „… Eine neue Zeit bricht an. Ich glaube, eine bessere und glücklichere“, so Lorenzen im Roman „Der Stechlin“. Der selbst eher dem Konservativen zuneigende Fontane war im Alter eben doch so liberal, dass er voller Sympathie diesen Pastor förmlich zu einer Hauptperson seines letzten großen Romans machte …

Unter den vielen Themen, die im Fontane-Jahr 2019 dokumentiert und debattiert wurden, finde ich die Frage wichtig: Welche Bedeutung haben die Kirchen in den Dörfern der Mark Brandenburg, für Fontane damals, aber vor allem: für die Gegenwart und Zukunft? Über „Fontanes Umgang mit alten Kirchen“ hat Prof. Hubertus Fischer, Ehrenpräsident der Theodor Fontane Gesellschaft, einen einführenden Aufsatz verfasst in dem Jahresheft „Offene Kirchen 2019“.

Hubertus Fischer zitiert Fontane: „Nur unsere Dorfkirchen stellen sich uns vielfach als Träger unserer ganzen Geschichte dar und die Berührung untereinander zur Erscheinung bringend, besitzen sie und äußern sie den Zauber historischer Kontinuität“. Der Autor weist darauf hin, wie sehr Fontane sich auseinandersetzte mit den Architekten, die alte Dorfkirchen einfach abrissen und neue „Basilika-Kirchen“ bauten. „Sie haben mit der (langen) Vergangenheit gebrochen… sie sind eine „Schale ohne Kern“. Der Eindruck des Mittelalterlichen, des Erhabenen, sollte geweckt werden. Kirchenarchitektur als Beispiel für Herrschaftsideologien.

Und der aus der reformierten, also eher „bilderfeindlichen“ Tradition stammende Fontane kann es gar nicht verstehen, wie denn aus einem gewissen anti-katholischen Geist Objekte und Gemälde aus den alten, einst ja katholischen Kirchen entfernt werden. „Ein von Borniertheit eingegebener Antikatholizismus ist mir immer etwas ganz besonders Schreckliches gewesen.“

Nach der Wende wurde erst allgemein bewusst und bekannt, in welchem miserablen baulichen Zustand hunderte von Dorfkirchen in der Mark Brandenburg waren. Dem Förderkreis Alte Kirchen Berlin-Brandenburg e. V. ist es seit vielen Jahren gelungen, Kirchen vor dem Verfall zu bewahren, sie zu renovieren, die Kunstwerke dort zu retten. Auch in den Dörfern selbst haben Initiativen der Bürger dafür gesorgt, ihre Kirchen – oft die einzigen Zeugen der lokalen Geschichte – vor dem Verfall zu bewahren. So entstanden in „umgewandelten“ Kirchen Orte der Begegnung, der Kultur.

Aber: In vielen Dörfern nimmt die Anzahl der Einwohner ständig ab: Wer kümmert sich dann noch um die mit viel Mühe und viel Geld umgewandelten Dorfkirchen? Wer will sie nutzen? Wo sollen die Teilnehmer möglicher Veranstaltungen herkommen?

Foto: Bernd Janowski
Kaffeetafel nach dem Kirchenkonzert in Neuendorf (Barnim)

Natürlich gibt es viele Beispiele für Kirchengebäude, die kreativ genutzt werden, als „Hörspielkirche“ etwa oder als „NABU-Kirche“ oder als Vortragsort. Hinsichtlich der Nutzung umgewandelter Kirchen hat die Phantasie viel Raum, wenn denn das nötige Geld vorhanden ist.

Ganz andere Probleme ergeben sich, wenn man fragt: Was wird langfristig aus den nun zum Teil aufwendig renovierten Kirchen auf den Dörfern, die immer seltener als Stätten des Gottesdienstes, der Meditation, der Segnungen von Ehepaaren, der Bestattungen usw. genutzt werden? Bernd Janowski, Geschäftsführer des Förderkreises Alte Kirchen, hat in der Broschüre „Offene Kirchen 2019“ einen Aufsatz zu dem Thema verfasst: „Das Problem besteht in der Frage, wer in zehn oder zwanzig Jahren überhaupt noch in diese Kirchen hineingeht. Bereits heute gibt es nicht wenige Dorfkirchen in den berlinfernen Regionen, die nicht mehr oder nur äußerst sporadisch gottesdienstlich genutzt werden.“ Die Gemeindemitglieder sind sehr oft überwiegend ältere Menschen, die in einer „Diaspora“ leben, wo nur ca. 15 Prozent der Bevölkerung evangelisch sind. Die Zahl der Katholiken ist noch viel kleiner.

Es wäre eine ziemliche Katastrophe, wenn etwa die mühsam und kostspielig renovierten Dorfkirchen nach etlichen Jahren des Ungenutztseins der Vernachlässigung und damit dem langsamen Verfall preisgegeben werden müssten.

Sicher wird man da nur weiterkommen, wenn man auch theologisch Neues wagt, selbst wenn dies einigen Konservativen nicht gefällt. Wie sieht denn die ökumenische Zusammenarbeit aus? Damit meine ich nicht, dass in den evangelischen Dorfkirchen gelegentlich katholische Messen von den wenigen durchreisenden Priestern gelesen werden. Warum ist es nicht möglich, die wenigen Katholiken, oft „treue Kirchgänger“, einzuladen, an den evangelischen Gottesdiensten am Sonntag teilzunehmen, dann wäre der Kreis der Gottesdienst-Gemeinde nicht nur größer, es könnte auch ein weiterer Austausch stattfinden. Und Ökumene praktisch werden. Dass da die katholische Kirchenleitung Bedenken hat, ist klar. Aber die Gemeinden könnten sich kreativ über Bedenken und Verbote auch hinwegsetzen … um des Glaubens willen.

Was spricht dagegen, in den Kirchen selbst werktags Gesprächskreise anzubieten, mit einem kleinen Café in der Kirche selbst? Man sollte sich von dem Gedanken befreien, Kirchengebäude nur für „sakrale“ oder „hochkulturelle“ Veranstaltungen (Konzerte etc.) zu gebrauchen. Kirchengebäude sind spirituelle und menschliche Lebensräume.

Wie könnte man die vom Dorf begeisterten Berliner gewinnen, sozusagen „ihre Dorfkirche“ zu adoptieren? Warum könnten nicht Künstler und Musiker, Schauspieler und Politiker, sofern sie denn spirituell bewegt und kompetent sind, in „ihren“ adoptierten Dorfkirchen Veranstaltungen organisieren, vielleicht auch spirituelle Übungen, Meditationen, Yoga, Zen, Lektürekurse der Bibel und anderer Schriften? Wenn man sich auf das uralte und überholte Modell fixiert: „Ein Pfarrer und seine Kirche“, wird man nicht weiterkommen. Menschen und Gruppen, die ihre Dorfkirche adoptieren, könnten auch Verantwortung übernehmen und die Kirche offen halten, selbst wenn sie nur an den Wochenenden im Dorf wohnen.

Foto: Bernd Janowski
Die privatisierte Dorfkirche in Briest (Potsdam-Mittelmark)

Mit anderen Worten: Nur neue Experimente, also Übertragung von Verantwortlichkeiten an Laien über die Pfarrer hinaus, werden die vielen Kirchengebäude auf den Dörfern retten, also als lebendige Gebäude bewahren. Aber im letzten geht es doch gar nicht nur um die Kirchen als Gebäude: Es geht um die Bewahrung und Weiterentwicklung der ländlichen Tradition, der Religion, auch der kirchlichen und sozialen Gemeinschaft in den Dörfern. Es geht um die Pflege und Entwicklung einer demokratischen Kultur. Auch und gerade in den Kirchen.

Dies lässt sich mit dem alten Denken wohl kaum mehr garantieren. Wenn es schon weniger Dorfpfarrer gibt: Warum könnte die Kirche nicht den neuen Beruf eines „Dorf-Moderators“ realisieren, also junge Frauen und Männer ansprechen, die auf dem Dorf für die „Belebung“ der Kirchengebäude und des soziokulturellen Lebens sorgen? Sie könnten in den alten, dann renovierten Pfarrhäusern wohnen und ihre Kirchen spirituell-religiös „bespielen“, wie man so gern sagt.

Aber eben nicht nur „religiös“: Denn bekanntermaßen sind ca. 80 Prozent der Bewohner in der Mark Brandenburg kirchlich „nicht gebunden“. Sind sie aber alle kämpferische Atheisten? Wohl kaum. Es sind die kirchlich kaum wahrgenommenen Menschen, die auf eigene Art ihr Leben gestalten, suchend, fragend, wie auch immer. Oder die sich bescheiden mit dem Alltäglichen zufrieden geben, oft resigniert, oft voller Wut, falls sie nicht sogar auf die Sprüche der AfD hereinfallen.

Mit diesen Menschen gilt es in den Dörfern und in den Dorfkirchen Gespräche und gemeinsame Aktionen zu organisieren. Dafür werden die neuen „Moderatoren der Dörfer“ gebraucht. Und sie sollten alle diese Menschen, die, oft mit dem Gefühl der Einsamkeit, des Vergessenseins, des Verlorenseins, am Rande der Kirche und der Gesellschaft stehen, einladen: In diese Kirchen zu kommen als Orten, in denen sie Gemeinschaft finden. Ob getauft oder nicht, ist völlig egal. Es gilt allein die „jesuanische Großzügigkeit“. Selbstverständlich sind auch Atheisten willkommen, auf der Suche nach Gesprächen, die vernünftig gestaltet werden, also ohne Dogmatismus auf beiden Seiten. Ich weiß, ich mute der Kirche vieles zu. Aber nur wenn sie über ihren Schatten springt, den Schatten der Dogmen und des permanenten (finanziellen) Machterhalts, wird sie mit weniger Schatten und weniger Angst den Weg in eine neue Zukunft finden zugunsten der Menschen.

Vielleicht sind also die Dorfkirchen, diese neuen Orte der geistvollen Kreativität, die Ausgangspunkte für eine Kirchenreform. Dies ist natürlich angesichts der real existierenden Kirchenbehörden eine Utopie. Aber können wir ohne Utopien leben?

Foto: Bernd Janowski
Herbst in der Uckermark: Die Dorfkirche Fergitz

Nebenbei gesagt: Theodor Fontane war stets ein kritischer spiritueller Mensch: „Ich persönlich kenne keinen Menschen, habe auch nie einen kennengelernt, der den Eindruck eines Vollgläubigen auf mich gemacht hätte“. (Maximilian Harden über Theodor Fontane 1898, in : Deutsche Abschiede, München 1984, S. 247.) Zu meinem Vorschlag der Gründung ökumenische Gemeinden auf den Dörfern: Es ist ermutigend, dass sich – nach Abschluss dieses Manuskriptes – Anfang Januar 2020 der evangelische Landesbischof Ralf Meister (Hannover) und der katholische Bischof von Hildesheim, Heiner Wilmer, gemeinsam ausdrücklich für ökumenische Gemeinden zumal in der „Diaspora“ und auf den Dörfern ausgesprochen haben. Dieser Vorschlag verdient weite Beachtung und sollte nicht gleich wegen des offiziell katholischen Widerstandes konservativer Bischöfe ad acta gelegt werden.

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