von Peter Knüvener

Der wandernde Denkmalschützer

Fontane und die märkischen Schnitzaltäre

Dr. Peter Knüvener ist Direktor der Städtischen Museen in Zittau. Er promovierte zur spätmittelalterlichen Kunst in der Mark Brandenburg.

Es ist bekannt, dass Theodor Fontane sich für die märkischen Altertümer, darunter auch die Kirchenausstattungen, interessierte. So gibt es in seinen „Wanderungen“ mitunter selbst für die Forschung interessante Passagen, weil sie über heue verlorene Kunstwerke oder zerstörte Zusammenhänge aufklären. Bei der Beschreibung des alten Rohrschen Herrenhauses in Wustrau liest man zum Beispiel:

„In dem schönen, höchst anmutig gelegenen Schloßgarten von Wustrau befindet sich bis diesen Augenblick, und zwar nur wenige Schritte vom See entfernt, das ehemalige Rohrsche Herrenhaus, ein alter Fachwerkbau, der jetzt teils als Gärtnerwohnung, teils als Orangeriehaus dient. Das Haus ist interessant, einmal dadurch, daß es uns zeigt, wie schlicht und anspruchslos der Landadel früher lebte, andererseits durch die Ornamentierung, die Graf Zieten eben diesem Hause gegeben hat. Als nämlich der Perleberger Dom im ersten Drittel dieses Jahrhunderts restauriert und der alte Schmuck desselben beseitigt wurde, kaufte Graf Zieten allerhand Glasmalereien und Holzschnitzwerk, namentlich Heiligenbilder und Engelsfiguren auf und begann mit Hilfe derselben die Fassaden und Fenster des alten Rohrschen Herrenhauses zu schmücken.

Wiedervereinigung der Skulpturen des Perleberger Hochaltars 2011 im Potsdamer Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte; Foto: Peter Knüvener

Im ersten Stocke desselben befindet sich eine Rüst- und Antiquitätenkammer von sehr ungleichem Wert, Gleichgültiges und Alltägliches steht neben wirklichen Raritäten.“(Aus: Wanderungen durch die Mark Brandenburg, erster Band, Die Grafschaft Ruppin, 1861)

Bei den Perleberger Figuren handelte es sich um Teile von mindestens drei Schnitzaltären. Das genannte Herrenhaus existiert heute noch ebensowenig wie die Sammlung, doch konnte mittlerweile festgestellt werden, dass sich Perleberger Skulpturen und Altarteile in der Wustrauer Dorfkirche erhalten haben. Eine Skulptur ist auch wieder nach Perleberg zurückgekehrt und befindet sich im dortigen Museum.

Doch Fontanes Interesse ging viel weiter als der Blick des Wanderers, der hier und da auch mittelalterliche Kunstwerke als Sehenswürdigkeiten registrierte.

So plante er eine Arbeit zum Thema Schnitzaltäre in der Mark Brandenburg. Das lag sicher auch daran, dass er befürchtete, die Kunstwerke, die er mitunter in schlechtem Zustand vorfand, würden bald vollends zerstört werden. Viele Retabel dämmerten seit langer Zeit wenig beachtet vor sich hin. Zudem musste Fontane beobachten, wie im Zuge der Industrialisierung Kirchen restauriert und neu errichtet wurden und dabei die alten Kirchenausstattungen nach und nach verschwanden. Seine Studie wäre die erste ihrer Art für die Mark geworden, selbst im Vergleich mit anderen Regionen wäre dies früh gewesen. Die Forschung wäre anders verlaufen!

Retabel aus Trechwitz, bis 1945 im Märkischen Museum, heute im Stettiner Nationalmuseum; Foto: Stettin, Nationalmuseum

Der Aufruf und seine Folgen

Im Fontanearchiv in Potsdam liegt ein Konvolut von Briefen, die aus der gesamten Provinz Brandenburg an Fontane ergangen waren und die als Antwort von Lehrern und Pfarrern auf folgende Ausschreibung im Schulblatt für die Provinz Brandenburg, erschienen in der Ausgabe Mai / Juni 1863, eingegangen sind:

„Einige Bilderaltäre (vergoldetes Schnitzwerk, Scenen aus der heiligen Geschichte darstellend), die vor einigen Monaten hier in Berlin – wo sie restauriert worden waren – ausgestellt, und von Kunstliebhabern in Augenschein genommen wurden, haben die Frage angeregt, wieviel von solchen alten Schnitzwerkaltären wohl noch in der Mark, zumal in den alten Dorfkirchen zu finden seien. Der Unterzeichnete ist, nach Erfahrungen, die er in einem verhältnismäßig kleinen Kreise gemacht hat, der Ansicht, daß von solchen mehr oder weniger wertvollen Bildwerken aus der katholischen Zeit hier noch sehr vieles (mehr als gewöhnlich geglaubt wird) vorhanden sein muss und spricht den Herren Geistlichen, Kantoren und Lehrern unserer Provinz gegenüber den Wunsch aus, daß die Genannten die Freundlichkeit haben möchten, mich wissen zu lassen, wo sich dergleichen findet. Erlaubt es ihre Zeit, eine kurze Beschreibung beizufügen, so werde ich ihnen doppelt zu Dank verpflichtet sein.

Zuschriften bitte ich zu adressieren an Theodor Fontane,
Alte Jakobsstraße 171
Berlin,
im April 1863“

In den Antwortbriefen werden Retabel beschrieben, teilweise sehr detailreich und mit Informationen, die für uns noch heute wertvoll sind, da die Altäre verändert oder schlecht zugänglich sind. Briefe wie der des Lehrers Schumacher aus Trechwitz zeugen von alarmierenden Zuständen der Kunstwerke, die Fontane sicherlich in seinem Vorhaben, diese Kulturschätze bekannt zu machen, bestärkt haben dürften:

„Sehr geehrter Herr!

Auf Ihren im Mai und Juni Heft des Schulblatts ausgesprochenen Wunsch kann ich Ihnen die Mitteilung machen, daß sich in hiesiger Kirche aus der katholischen Zeit ein altes Schnitzwerk befindet.

Dasselbe besteht aus einem circa 4 Fuß hohen und 2 ½ Fuß breiten hölzernen Kasten, in demselben befindet sich ein Kreuz, ein aus Holz geschnitzter Christus mit ausgebreiteten Armen und übereinandergelegten Beinen etwa 1 ¼ Fuß hoch, früher an dem bezeichneten Kreuz befestigt, jetzt aber von demselben abgelöst im Kasten liegend und wohl erhalten.

In den Nischen der beiden Türen des Kastens stehen Heilige, Apostel wohl mit Attributen versehen, ebenso zieren die innere Rückwand geschnitzte, weibliche Figuren, die Mutter Maria u. andere darstellend.

Der Kasten selbst scheint früher in der Kirche aufgehangen gewesen zu sein, hat jetzt aber seinen Platz in einer Turmecke von Staub und Spinnenweben überzogen.

Mit Achtung zeichne ergebenst
Schumacher, Lehrer
Trechwitz, d. 18. Juli 63“

Detail aus dem Brief des Pfarrers Hermanni mit der Inschrift Gerard Wegers am Altar aus Meßdunk; Theodor-Fontane-Archiv

Einige der in den Briefen beschriebenen Retabel sind heute nicht mehr vorhanden, so dasjenige aus Kuhsdorf in der Prignitz, das angeblich nach Frankfurt am Main verkauft worden ist – man denkt sogleich an den Pfarrer Münzenberger, der u.a. für den Frankfurter Dom eine veritable Altarsammlung zusammengetragen hat und dafür auch in Salzwedel einen Altar erwarb, also die Region zielbewusst bereist hat. Leider konnte das Kuhsdorfer Retabel bisher nicht identifiziert werden.

Skizze des Strausberger Altars mit zwei Armreliquiaren, diese heute im Märkischen Museum; Theodor-Fontane-Archiv

Manchmal sind auch wertvolle Skizzen enthalten, so im Fall des Pfarrers Hermanni aus Krahne vom 17.8.1863, der hinter einer Figur des Altars der Kirche in Meßdunk (heute in der Reckahner Kirche) die Signatur „Gerard Weger 1473“ dokumentiert hat. Weger wurde später als der Schöpfer des Hochaltars der Brandenburger Katharinenkirche (1474), also eines Hauptwerkes der mittelalterlichen Kunst in der Mark, identifiziert, weil man auch dort eine ähnliche Inschrift fand.

Fontane wertete die Zuschriften aus, wie einige seiner Notizbücher (besonders A 7 im Fontanearchiv) belegen, wo Ortslisten nach den märkischen Regionen vorhanden sind. Er besuchte auch die Kirchen und hielt Bemerkenswertes fest.

Interessant ist z. B. die flüchtig hingeworfene Skizze des Strausberger Altars – ein „reicher, vielpuppiger Bilderaltar“ – in einem seiner Notizbücher (Signatur A 6 im Fontanearchiv), weil man dort in den Schrein eingestellt zwei Armreliquiare sieht, die man allerdings nicht lange danach als unpassend entfernte und ins Märkische Museum gab, wo sie sich noch heute befinden. Fontane dürfte bewusst gewesen sein, dass es sich um Raritäten handelte. Heute sind es die letzten erhaltenen derartigen Reliquiare aus der Mark!

Museumsgründer Fontane?

Doch Fontane hatte nicht allein vor, Studien zu verfassen, um die Altertümer zu würdigen. So dachte er intensiv darüber nach, dass man in Berlin ein „national-historisches Museum“ gründen müsste „wie es die anderen europäischen Hauptstädte, wie es auch einzelne der kleineren deutschen Residenzen Hannover, Schwerin, Stuttgart ec. haben […]“. Überlegungen formulierte er 1868 in einem Brief an Mathilde von Rohr, von der er sich erhoffte, dass sie die Idee an die Regierung herantragen würde.

Fontanezimmer im Märkischen Museum 1908; Foto: Ernst von Brauchitsch

Es sollte die relevanten Epochen der Geschichte der Mark Brandenburg in „Zeitbildern“ darstellen. Er schlug vor, „daß man wie in großen Museen, beispielsweise in London, einen romanischen, einen früh-gothischen, einen spät-gothischen, einen Renaissance-, einen Roccoco-, einen Empire-Saal hat, Säle in denen jedesmal die ganze Epoche nach allen Richtungen hin, also in Bezug auf die Bildenden Künste, Kunstindustrie, Sitten und Trachten charakterisiert wird […]“. Es sollte also ein umfassendes Museum entstehen, in denen die Geschichte und Kultur des Landes sichtbar und vermittelt würde – in etwa so, wie es später dann im Märkischen Museum umgesetzt wurde. Die Sammlung böte die „zahlreichen Königlichen Schlösser“ und die „alten Kirchen in Stadt und Land“. Fontane konnte sich gar als Leiter dieses Museums vorstellen, denn er schrieb an Mathilde von Rohr: „Es würde mich glücklich machen, mit einer solchen Aufgabe betraut zu werden. […] Bitte, bringen Sie die Sache passenden Orts zur Sprache.“ Dazu kam es freilich nicht. Im nächsten Brief, schon einen Tag später, ist eine Ernüchterung Fontanes zu spüren, offenbar sah sich Frau von Rohr außer Stande, dem Schriftsteller weiterzuhelfen. Allerdings ist es nicht abwegig, dass Fontane seine Ideen später ins 1874 gegründete Märkische Museum einbrachte. Dafür könnte sprechen, dass Schnitzaltäre wie derjenige aus Trechwitz in die Sammlung gelangten (jener bereits 1876) – war es auf Hinweis des Dichters? Im Museum selbst hielt man Fontane in Ehren. In der Ausstellung im großen Museumsneubau von 1908 gab es ein Fontanezimmer, in dem man seine Schreibstube fast wie einen sakralen Ort nachstellte.

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